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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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ein starkes Parlament habe auch andre Mittel gegen pflichtvergessne Minister;
wodurch aber wird ein Parlament stark, wenn nicht durch verfassungsmäßige
Rechte? wo hat eine wirklich einflußreiche Volksvertretung existirt, welche
nicht das Recht gehabt hätte, die Minister zur Verantwortung zu ziehen?

Allerdings hat während der letzten 30 Jahre keine Ministeranklage in
England stattgefunden und Sir Robert Peel sagte: "tus ela^s ot' impeaeoe-
intmt g,r<z Zone" -- aber niemand denkt deshalb daran, die strafrechtliche
Verantwortlichkeit der Minister abzuschaffen. Die Waffe ruht nur, weil
ihr Gebrauch unnöthig geworden, weil der Regel nach jedes Mini¬
sterium schon nach einer entscheidenden parlamentarischen Niederlage zurück¬
tritt, sie existirt darum aber doch, und würde sich eventuell sehr fühlbar gegen
den Uebertreter geltend machen. Mögen die, welche die strafrechtliche Minister¬
verantwortlichkeit als etwas Ueberwundenes hinstellen, sich einmal fragen,
wie im englischen Unterhause ein Antrag aufgenommen würde, sie abzu¬
schaffen?

Soll die Verantwortlichkeit eine effektive sein, so darf man die Möglich¬
keit der Anklage offenbar nicht von der Uebereinstimmung beider Factoren
der Vertretung abhängig machen, da diese nicht leicht zu erreichen sein wird,
sondern muß ebenmäßig jedem Hause das Recht gewähren, die Anklage zu
erheben.

Wir vermögen uns nicht der Ansicht Rößlers anzuschließen, welcher die
Anklage dem Unterhause allein zugestehen will, weil jede Anklage, die von
dem unberechtigten Factor nicht unterstützt wäre, nicht im Lichte der Wah¬
rung großer Landesinteressen erscheinen würde, sondern im Lichte der Ver¬
theidigung eines mehr oder minder einseitigen Rechtsstandpunktes.

Ober- und Unterhaus haben eben jedes eigenthümliche Rechtssphären,
zu deren Wahrung sie berufen sind und welche sie folglich auch mit einer
Anklage zu schützen im Stande sein müssen, Msre euere is s, ri^ut, lucro
muLt b<Z a rsmecl^. Gegenstand der Klage ist, sofern nicht nachträglich eine
Indemnität gegeben wird, jeder Mißbrauch der ministeriellen Amtsge¬
walt, jede Überschreitung der verfassungs- und gesetzmäßig*) zustehen¬
den Befugnisse, jede Unterlassung amtlicher Pflichten, aber auch unzweifel¬
haft jede Handlungsweise, welche, ohne die Gesetze direct zu verletzen, den



") In England macht man bekanntlich einen Unterschied zwischen Ulloorrstitutioiial und
illegal, ein Act kann gesetzlich und doch unverfassungsmäßig sein. IZovver tZoust. I^an
p. 136. "Ik et<z XinZ vere to oreats on a sucläen an ovsrvKelminA vumber ol psers,
inen altogetksr äexenclevt on ete government > as lor instanos a hoäo ol private sol-
diers, etat act ^oulä de legal as an exercise vt' dirs imäoubtecl xrerogative ok ddo
ero>oil, but it roulai hö Irigdlv uneollstitutional ana tke minister guiltv ol Kigd orime
ana misclemeauor in aäviswZ a measurs so Äestructivs ok tus illäspsucleirce ol one
braneliö ol tue legislature."

ein starkes Parlament habe auch andre Mittel gegen pflichtvergessne Minister;
wodurch aber wird ein Parlament stark, wenn nicht durch verfassungsmäßige
Rechte? wo hat eine wirklich einflußreiche Volksvertretung existirt, welche
nicht das Recht gehabt hätte, die Minister zur Verantwortung zu ziehen?

Allerdings hat während der letzten 30 Jahre keine Ministeranklage in
England stattgefunden und Sir Robert Peel sagte: „tus ela^s ot' impeaeoe-
intmt g,r<z Zone" — aber niemand denkt deshalb daran, die strafrechtliche
Verantwortlichkeit der Minister abzuschaffen. Die Waffe ruht nur, weil
ihr Gebrauch unnöthig geworden, weil der Regel nach jedes Mini¬
sterium schon nach einer entscheidenden parlamentarischen Niederlage zurück¬
tritt, sie existirt darum aber doch, und würde sich eventuell sehr fühlbar gegen
den Uebertreter geltend machen. Mögen die, welche die strafrechtliche Minister¬
verantwortlichkeit als etwas Ueberwundenes hinstellen, sich einmal fragen,
wie im englischen Unterhause ein Antrag aufgenommen würde, sie abzu¬
schaffen?

Soll die Verantwortlichkeit eine effektive sein, so darf man die Möglich¬
keit der Anklage offenbar nicht von der Uebereinstimmung beider Factoren
der Vertretung abhängig machen, da diese nicht leicht zu erreichen sein wird,
sondern muß ebenmäßig jedem Hause das Recht gewähren, die Anklage zu
erheben.

Wir vermögen uns nicht der Ansicht Rößlers anzuschließen, welcher die
Anklage dem Unterhause allein zugestehen will, weil jede Anklage, die von
dem unberechtigten Factor nicht unterstützt wäre, nicht im Lichte der Wah¬
rung großer Landesinteressen erscheinen würde, sondern im Lichte der Ver¬
theidigung eines mehr oder minder einseitigen Rechtsstandpunktes.

Ober- und Unterhaus haben eben jedes eigenthümliche Rechtssphären,
zu deren Wahrung sie berufen sind und welche sie folglich auch mit einer
Anklage zu schützen im Stande sein müssen, Msre euere is s, ri^ut, lucro
muLt b<Z a rsmecl^. Gegenstand der Klage ist, sofern nicht nachträglich eine
Indemnität gegeben wird, jeder Mißbrauch der ministeriellen Amtsge¬
walt, jede Überschreitung der verfassungs- und gesetzmäßig*) zustehen¬
den Befugnisse, jede Unterlassung amtlicher Pflichten, aber auch unzweifel¬
haft jede Handlungsweise, welche, ohne die Gesetze direct zu verletzen, den



") In England macht man bekanntlich einen Unterschied zwischen Ulloorrstitutioiial und
illegal, ein Act kann gesetzlich und doch unverfassungsmäßig sein. IZovver tZoust. I^an
p. 136. „Ik et<z XinZ vere to oreats on a sucläen an ovsrvKelminA vumber ol psers,
inen altogetksr äexenclevt on ete government > as lor instanos a hoäo ol private sol-
diers, etat act ^oulä de legal as an exercise vt' dirs imäoubtecl xrerogative ok ddo
ero>oil, but it roulai hö Irigdlv uneollstitutional ana tke minister guiltv ol Kigd orime
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/240>, abgerufen am 28.09.2024.