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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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fidenten, in dem sich die politischen Grundsätze, welche es vertritt, gleichsam
verkörpern*). Ludwig XIV. mochte nach Mazarins Tode erklären, er werde
fortan sein eigener Premierminister sein, der repräsentative Staat kann sich
nicht mit Fachministern begnügen, denn der Regent wird in den meisten
Fällen auf den Vortrag eines solchen, welcher der Natur der Sache nach
nur vom Standpunkte seines Ressorts ausgeht, nicht im Stande sein, die
andern vielleicht gleichberechtigten Gegengründe zu übersehen. Wirksame
Leitung eines Ministerpräsidenten verbürgt daher allein den innern Zusam¬
menhang der Regierungsmaßregeln und die Ausgleichung der unvermeidlichen
Meinungsverschiedenheiten der einzelnen Minister. Dabei kann die Frage
offen bleiben, ob der Ministerpräsident sich wie in England auf diese oberste
Leitung beschränkt, oder selbst ein Portefeuille verwaltet. -- Die Verant¬
wortlichkeit der Minister ist eine doppelte und zwar in zweifachen Sinne,
sie ist nach oben wie nach unten, gegen den Souverän, wie gegen die Volks¬
vertretung, eine politische und eine strafrechtliche. Der König kann die Mi¬
nister jederzeit entlassen, wenn er mit ihrer Amtsführung nicht einverstanden
ist und er ist ebenso berechtigt, sie vor das competente Gericht zu stellen,
falls sie in seinen Augen die rechtlichen Obliegenheiten ihres Amtes positiv
verletzt haben. Die politische Verantwortlichkeit der Minister gegen die Lan¬
desvertretung läßt sich nicht wohl in eine bestimmte gesetzliche Form bringen,
denn man kann offenbar nicht als Rechtssatz aufstellen, daß das Ministerium
abtreten müsse, sobald es sich in einem der Häuser der Volksvertretung in
Minorität befinde, und am wenigsten ist dies gesetzliche Norm in dem Staate,
wo die politische Ministerverantwortlichkeit am meisten ausgebildet ist, in
England. Indessen besteht diese Verantwortlichkeit in jedem Lande, in wel¬
chem der Constitutionalismus mehr als Schein ist, schon darum nicht minder,
weil es auf die Länge keinem Ministerium möglich sein wird, gegen die aus¬
gesprochene Majorität der Landesvertretung sich zu behaupten, ohne in Con¬
flict mit den positiven Gesetzen zu kommen; man darf deshalb die politische
Verantwortlichkeit da als gesichert ansehen, wo die strafrechtliche besteht, und
es ist völlig unzutreffend, wenn in der Discussion des Reichstags vom
27. März dieser Satz von den Gegnern der Ministerverantwortlichkeit um¬
gekehrt und behauptet wird, alles komme auf die öffentliche Meinung an,



Bluntschli irrt, wenn er sagt. (Staatsrecht II. 1ö6) "der praktische Sinn der Eng-
länder zieht es vor, das Präsidium mehr aus formellen Motiven mit einer Person zu be>
sehen, die sich eher durch ihre sociale Stellung, äußern Rang und Autorität auszeichnet,
während andere Nationen häufig d.n wirklichen Chef der Negierungspolitik mit dieser Stellung
betrauen." Im Gegentheil ist der irrst tora ok tlriz tre-rsnr^ stets der Chef der Regierungspolitik
und oft keineswegs social hervorragend, wie Wnlpole, Pitt, Peel, Palmerston beweisen, unter
denen Herzoge als Fachminister dienten.

fidenten, in dem sich die politischen Grundsätze, welche es vertritt, gleichsam
verkörpern*). Ludwig XIV. mochte nach Mazarins Tode erklären, er werde
fortan sein eigener Premierminister sein, der repräsentative Staat kann sich
nicht mit Fachministern begnügen, denn der Regent wird in den meisten
Fällen auf den Vortrag eines solchen, welcher der Natur der Sache nach
nur vom Standpunkte seines Ressorts ausgeht, nicht im Stande sein, die
andern vielleicht gleichberechtigten Gegengründe zu übersehen. Wirksame
Leitung eines Ministerpräsidenten verbürgt daher allein den innern Zusam¬
menhang der Regierungsmaßregeln und die Ausgleichung der unvermeidlichen
Meinungsverschiedenheiten der einzelnen Minister. Dabei kann die Frage
offen bleiben, ob der Ministerpräsident sich wie in England auf diese oberste
Leitung beschränkt, oder selbst ein Portefeuille verwaltet. — Die Verant¬
wortlichkeit der Minister ist eine doppelte und zwar in zweifachen Sinne,
sie ist nach oben wie nach unten, gegen den Souverän, wie gegen die Volks¬
vertretung, eine politische und eine strafrechtliche. Der König kann die Mi¬
nister jederzeit entlassen, wenn er mit ihrer Amtsführung nicht einverstanden
ist und er ist ebenso berechtigt, sie vor das competente Gericht zu stellen,
falls sie in seinen Augen die rechtlichen Obliegenheiten ihres Amtes positiv
verletzt haben. Die politische Verantwortlichkeit der Minister gegen die Lan¬
desvertretung läßt sich nicht wohl in eine bestimmte gesetzliche Form bringen,
denn man kann offenbar nicht als Rechtssatz aufstellen, daß das Ministerium
abtreten müsse, sobald es sich in einem der Häuser der Volksvertretung in
Minorität befinde, und am wenigsten ist dies gesetzliche Norm in dem Staate,
wo die politische Ministerverantwortlichkeit am meisten ausgebildet ist, in
England. Indessen besteht diese Verantwortlichkeit in jedem Lande, in wel¬
chem der Constitutionalismus mehr als Schein ist, schon darum nicht minder,
weil es auf die Länge keinem Ministerium möglich sein wird, gegen die aus¬
gesprochene Majorität der Landesvertretung sich zu behaupten, ohne in Con¬
flict mit den positiven Gesetzen zu kommen; man darf deshalb die politische
Verantwortlichkeit da als gesichert ansehen, wo die strafrechtliche besteht, und
es ist völlig unzutreffend, wenn in der Discussion des Reichstags vom
27. März dieser Satz von den Gegnern der Ministerverantwortlichkeit um¬
gekehrt und behauptet wird, alles komme auf die öffentliche Meinung an,



Bluntschli irrt, wenn er sagt. (Staatsrecht II. 1ö6) „der praktische Sinn der Eng-
länder zieht es vor, das Präsidium mehr aus formellen Motiven mit einer Person zu be>
sehen, die sich eher durch ihre sociale Stellung, äußern Rang und Autorität auszeichnet,
während andere Nationen häufig d.n wirklichen Chef der Negierungspolitik mit dieser Stellung
betrauen." Im Gegentheil ist der irrst tora ok tlriz tre-rsnr^ stets der Chef der Regierungspolitik
und oft keineswegs social hervorragend, wie Wnlpole, Pitt, Peel, Palmerston beweisen, unter
denen Herzoge als Fachminister dienten.
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[0239] fidenten, in dem sich die politischen Grundsätze, welche es vertritt, gleichsam verkörpern*). Ludwig XIV. mochte nach Mazarins Tode erklären, er werde fortan sein eigener Premierminister sein, der repräsentative Staat kann sich nicht mit Fachministern begnügen, denn der Regent wird in den meisten Fällen auf den Vortrag eines solchen, welcher der Natur der Sache nach nur vom Standpunkte seines Ressorts ausgeht, nicht im Stande sein, die andern vielleicht gleichberechtigten Gegengründe zu übersehen. Wirksame Leitung eines Ministerpräsidenten verbürgt daher allein den innern Zusam¬ menhang der Regierungsmaßregeln und die Ausgleichung der unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten der einzelnen Minister. Dabei kann die Frage offen bleiben, ob der Ministerpräsident sich wie in England auf diese oberste Leitung beschränkt, oder selbst ein Portefeuille verwaltet. — Die Verant¬ wortlichkeit der Minister ist eine doppelte und zwar in zweifachen Sinne, sie ist nach oben wie nach unten, gegen den Souverän, wie gegen die Volks¬ vertretung, eine politische und eine strafrechtliche. Der König kann die Mi¬ nister jederzeit entlassen, wenn er mit ihrer Amtsführung nicht einverstanden ist und er ist ebenso berechtigt, sie vor das competente Gericht zu stellen, falls sie in seinen Augen die rechtlichen Obliegenheiten ihres Amtes positiv verletzt haben. Die politische Verantwortlichkeit der Minister gegen die Lan¬ desvertretung läßt sich nicht wohl in eine bestimmte gesetzliche Form bringen, denn man kann offenbar nicht als Rechtssatz aufstellen, daß das Ministerium abtreten müsse, sobald es sich in einem der Häuser der Volksvertretung in Minorität befinde, und am wenigsten ist dies gesetzliche Norm in dem Staate, wo die politische Ministerverantwortlichkeit am meisten ausgebildet ist, in England. Indessen besteht diese Verantwortlichkeit in jedem Lande, in wel¬ chem der Constitutionalismus mehr als Schein ist, schon darum nicht minder, weil es auf die Länge keinem Ministerium möglich sein wird, gegen die aus¬ gesprochene Majorität der Landesvertretung sich zu behaupten, ohne in Con¬ flict mit den positiven Gesetzen zu kommen; man darf deshalb die politische Verantwortlichkeit da als gesichert ansehen, wo die strafrechtliche besteht, und es ist völlig unzutreffend, wenn in der Discussion des Reichstags vom 27. März dieser Satz von den Gegnern der Ministerverantwortlichkeit um¬ gekehrt und behauptet wird, alles komme auf die öffentliche Meinung an, Bluntschli irrt, wenn er sagt. (Staatsrecht II. 1ö6) „der praktische Sinn der Eng- länder zieht es vor, das Präsidium mehr aus formellen Motiven mit einer Person zu be> sehen, die sich eher durch ihre sociale Stellung, äußern Rang und Autorität auszeichnet, während andere Nationen häufig d.n wirklichen Chef der Negierungspolitik mit dieser Stellung betrauen." Im Gegentheil ist der irrst tora ok tlriz tre-rsnr^ stets der Chef der Regierungspolitik und oft keineswegs social hervorragend, wie Wnlpole, Pitt, Peel, Palmerston beweisen, unter denen Herzoge als Fachminister dienten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/239>, abgerufen am 26.06.2024.