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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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kerung die Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung gewährt, welche deren
Untergang bedeuten würde, und sie bezeugen ihre Dankbarkeit für die ihney
in der Regierung allein noch übrig gebliebene Stütze ihrer politischen Exi¬
stenz durch unbedingte Unterwerfung unter deren Willen.

Die Negierung mag sich vielleicht der Einsicht nicht ganz verschließen,
daß die Uhr der feudalen Herren auch in Mecklenburg bald abgelaufen sei^
wird. Aber sie läßt diesen Zeitpunkt resignirt an sich herankommen, ohn!e
seinen Eintritt zu wünschen und zu beschleunigen, gerade so, wie sie im Jahre
1866 den großherzoglichen Gesandten am Bundestage nicht eher zurückberief,
als bis seine dortige Stellung völlig unhaltbar und ein längeres Zaudern
für die staatliche Selbständigkeit Mecklenburgs gefährlich geworden war. Sie
erfüllt äußerlich ihre neuen Bundespflichten, aber sie gehört dem norddeutschen
Bunde nicht mit ihrem Herzen an- Diese Stellung erklärt sich daraus, daß
die höheren Negierungsämter ausschließlich im Besitz entschiedener Anhänger
des alten Patrimonialstaats sind. Einige dieser Regierungsmänner sind
noch dazu selbst Mitglieder der Ritterschaft und dadurch mit den ritterschaft¬
lichen Interessen auf das engste verflochten. Der Ministerpräsident, v. Oertzen,
war in den vierziger Jahren einer der Führer des sogenannten eingeborenen
Adels in der Ritterschaft und bekämpfte als solcher die Ansprüche der nicht¬
eingeborenen Ritter auf gleiche politische Berechtigung. Der Ftnanzminister
v. Müller, gleichfalls ein Mitglied der Ritterschaft, war sehr tief in die
Umtriebe verwickelt, welche von den Gegnern der constitutionellen Staats¬
form gegen das Staatsgrundgesetz vom 10. October 1849 in Bewegung ge¬
setzt wurden und dessen Umsturz bewirkten- Er war es, welcher einige Tage
vor Publication dieses Staatsgrundgesetzes auf einer Versammlung von Rit¬
tern der feudalen Partei nach einer den Normen auch der alten Verfassung
widerstreitenden Weise in den ständischen engeren Ausschuß erwählt wurde
und in demselben auch dann noch verblieb, als dieses Kollegium, gleichzeitig
mit der Publication des Staatsgrundgesetzes, gesetzlich aufgehoben worden
war. Herr v. Müller gehörte zu dem aus 4 oder 5 Personen bestehenden
rennenden Rumpf des gesetzlich aufgelösten engeren Ausschusses, welcher am
20. December 1849 auf Befehl des Großherzogs Friedrich Franz zur Räu¬
mung seines Sitzungslocals gezwungen werden mußte, was durch die als
Symbol militärischer Gewalt anrückende, in der mecklenburgischen Geschichte
wohlbekannte Person des Musketier Schlie ausgeführt wurde.

Es fehlt zwar einzelnen Mitgliedern der jetzigen Regierung auch nicht
ganz an constitutionellen Reminiscenzen aus ihrer früheren Wirksamkeit.
Der Justizminister, or. Buchka, war sogar Commissarius der strelitzischen
Negierung zur Vereinbarung einer constitutionellen Landesverfassung mit der
Abgeordnetenkammer von 1848 und 1849 und hatte als solcher die Aufgabe,


kerung die Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung gewährt, welche deren
Untergang bedeuten würde, und sie bezeugen ihre Dankbarkeit für die ihney
in der Regierung allein noch übrig gebliebene Stütze ihrer politischen Exi¬
stenz durch unbedingte Unterwerfung unter deren Willen.

Die Negierung mag sich vielleicht der Einsicht nicht ganz verschließen,
daß die Uhr der feudalen Herren auch in Mecklenburg bald abgelaufen sei^
wird. Aber sie läßt diesen Zeitpunkt resignirt an sich herankommen, ohn!e
seinen Eintritt zu wünschen und zu beschleunigen, gerade so, wie sie im Jahre
1866 den großherzoglichen Gesandten am Bundestage nicht eher zurückberief,
als bis seine dortige Stellung völlig unhaltbar und ein längeres Zaudern
für die staatliche Selbständigkeit Mecklenburgs gefährlich geworden war. Sie
erfüllt äußerlich ihre neuen Bundespflichten, aber sie gehört dem norddeutschen
Bunde nicht mit ihrem Herzen an- Diese Stellung erklärt sich daraus, daß
die höheren Negierungsämter ausschließlich im Besitz entschiedener Anhänger
des alten Patrimonialstaats sind. Einige dieser Regierungsmänner sind
noch dazu selbst Mitglieder der Ritterschaft und dadurch mit den ritterschaft¬
lichen Interessen auf das engste verflochten. Der Ministerpräsident, v. Oertzen,
war in den vierziger Jahren einer der Führer des sogenannten eingeborenen
Adels in der Ritterschaft und bekämpfte als solcher die Ansprüche der nicht¬
eingeborenen Ritter auf gleiche politische Berechtigung. Der Ftnanzminister
v. Müller, gleichfalls ein Mitglied der Ritterschaft, war sehr tief in die
Umtriebe verwickelt, welche von den Gegnern der constitutionellen Staats¬
form gegen das Staatsgrundgesetz vom 10. October 1849 in Bewegung ge¬
setzt wurden und dessen Umsturz bewirkten- Er war es, welcher einige Tage
vor Publication dieses Staatsgrundgesetzes auf einer Versammlung von Rit¬
tern der feudalen Partei nach einer den Normen auch der alten Verfassung
widerstreitenden Weise in den ständischen engeren Ausschuß erwählt wurde
und in demselben auch dann noch verblieb, als dieses Kollegium, gleichzeitig
mit der Publication des Staatsgrundgesetzes, gesetzlich aufgehoben worden
war. Herr v. Müller gehörte zu dem aus 4 oder 5 Personen bestehenden
rennenden Rumpf des gesetzlich aufgelösten engeren Ausschusses, welcher am
20. December 1849 auf Befehl des Großherzogs Friedrich Franz zur Räu¬
mung seines Sitzungslocals gezwungen werden mußte, was durch die als
Symbol militärischer Gewalt anrückende, in der mecklenburgischen Geschichte
wohlbekannte Person des Musketier Schlie ausgeführt wurde.

Es fehlt zwar einzelnen Mitgliedern der jetzigen Regierung auch nicht
ganz an constitutionellen Reminiscenzen aus ihrer früheren Wirksamkeit.
Der Justizminister, or. Buchka, war sogar Commissarius der strelitzischen
Negierung zur Vereinbarung einer constitutionellen Landesverfassung mit der
Abgeordnetenkammer von 1848 und 1849 und hatte als solcher die Aufgabe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/188>, abgerufen am 22.07.2024.