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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Civilliste abgab. -- Dieselbe Anschauungsweise, welche die Thätigkeit des
Volksvertreters nicht nach praktischen Resultaten bemißt, sondern auf unbe¬
rechenbare moralische Wirkungen sich verläßt, fand sich folgerichtig auch noch
befriedigt in jenen nutzlosen Budgetsberathungen der Conflictjahre, als die
Regierung längst kundgethan hatte, daß sie sich an die Beschlüsse des Hauses
nicht im mindesten kehre. Welche politische Demoralisation in solchem Treiben
liegt, wo den Berathungen nothwendig aller Ernst fehlt und der Versamm¬
lung in ihrer schattenhaften Existenz allmählich die Würde und Selbstachtung
abhanden kommen, das war gerade denen am wenigsten klar, welche stets
nach dem Preis der "Entschiedenheit" ringen. Gerade diese schauten
ganz vergnüglich drein.

Ich bin weit entfernt, einige Abgeordnete für das verantwortlich zu
machen, was dem ganzen Volke zur Last fällt, ja mehr noch der ganzen ge¬
schichtlichen Entwickelung zuzuschreiben ist; ich glaube im allgemeinen weder,
daß die Erwählten der Nation -- nach welchem Wahlgesetze immer -- hoch
über der Mehrheit ihrer Wähler, noch daß das Volk jemals hoch über seinen
Auserwählten stehe. Darum nehme ich auch an, daß die Halbheiten, In-
consequenzen und innern Widersprüche der Opposition in der Zeit des Ver¬
fassungsbruches der Gesammtstimmung und namentlich der politischen Energie
des preußischen Volkes durchaus entsprachen; wohl aber möchte ich dagegen
Verwahrung einlegen, als ob in solchen Lagen, wo Recht und Ehre auf dem
Spiele stehen, der Abgeordnete unter allen Umständen zu fragen habe: Wird
die Wählerschaft hinter mir stehen, werde ich wieder gewählt werden?

Nur wenige empfanden die ganze Schwere jener' rechtlosen Zeit und
suchten ernsthaft nach Mitteln, mit Ehren herauszukommen. Manche sogar
mögen eine Haltung sehr bequem gefunden haben, zu deren "cousequen-
ter" Behauptung weder Arbeit noch Wissen gehörte. Dem eigentlichen
Bezirksvereinspolitiker mag die Gelegenheit, in altgewohnter Art Proteste
und Resolutionen zu verfassen, verzweifelte Anschauungen in selbstgefälliger
Weise vorzutragen, nicht gerade unwillkommen gewesen sein, wie tief er auch
sonst wohl den Schmerz um das verrathene Vaterland empfunden habe.
Leichtlich'bildet sich in solchen Vereinen, die sonst sehr nützlich sein könnten,
eine handwerksmäßige Agitationsmethode mit abgedroschenen Redensarten
aus, deren Tragweite weder Redner noch Hörer mehr ermessen. Daß die
Tonart durch Königgrätz keine wesentliche Aenderung erlitt, mag insofern
zur Ehre gereichen, als auf der andern Seite die Gefahr vor Betäubung
durch Kriegsruhm gar nahe zu liegen schien. Aber daß viele sich überhaupt
in die Situation nicht finden konnten, weil sie auf dem hohen Pferde der
Abstraction saßen, ist so erhaben nicht, als es aussieht. Es ist kein Zeichen
gesunden politischen Lebens, wenn kleine, nach Zufälligkeiten zusammenge-


Civilliste abgab. — Dieselbe Anschauungsweise, welche die Thätigkeit des
Volksvertreters nicht nach praktischen Resultaten bemißt, sondern auf unbe¬
rechenbare moralische Wirkungen sich verläßt, fand sich folgerichtig auch noch
befriedigt in jenen nutzlosen Budgetsberathungen der Conflictjahre, als die
Regierung längst kundgethan hatte, daß sie sich an die Beschlüsse des Hauses
nicht im mindesten kehre. Welche politische Demoralisation in solchem Treiben
liegt, wo den Berathungen nothwendig aller Ernst fehlt und der Versamm¬
lung in ihrer schattenhaften Existenz allmählich die Würde und Selbstachtung
abhanden kommen, das war gerade denen am wenigsten klar, welche stets
nach dem Preis der „Entschiedenheit" ringen. Gerade diese schauten
ganz vergnüglich drein.

Ich bin weit entfernt, einige Abgeordnete für das verantwortlich zu
machen, was dem ganzen Volke zur Last fällt, ja mehr noch der ganzen ge¬
schichtlichen Entwickelung zuzuschreiben ist; ich glaube im allgemeinen weder,
daß die Erwählten der Nation — nach welchem Wahlgesetze immer — hoch
über der Mehrheit ihrer Wähler, noch daß das Volk jemals hoch über seinen
Auserwählten stehe. Darum nehme ich auch an, daß die Halbheiten, In-
consequenzen und innern Widersprüche der Opposition in der Zeit des Ver¬
fassungsbruches der Gesammtstimmung und namentlich der politischen Energie
des preußischen Volkes durchaus entsprachen; wohl aber möchte ich dagegen
Verwahrung einlegen, als ob in solchen Lagen, wo Recht und Ehre auf dem
Spiele stehen, der Abgeordnete unter allen Umständen zu fragen habe: Wird
die Wählerschaft hinter mir stehen, werde ich wieder gewählt werden?

Nur wenige empfanden die ganze Schwere jener' rechtlosen Zeit und
suchten ernsthaft nach Mitteln, mit Ehren herauszukommen. Manche sogar
mögen eine Haltung sehr bequem gefunden haben, zu deren „cousequen-
ter" Behauptung weder Arbeit noch Wissen gehörte. Dem eigentlichen
Bezirksvereinspolitiker mag die Gelegenheit, in altgewohnter Art Proteste
und Resolutionen zu verfassen, verzweifelte Anschauungen in selbstgefälliger
Weise vorzutragen, nicht gerade unwillkommen gewesen sein, wie tief er auch
sonst wohl den Schmerz um das verrathene Vaterland empfunden habe.
Leichtlich'bildet sich in solchen Vereinen, die sonst sehr nützlich sein könnten,
eine handwerksmäßige Agitationsmethode mit abgedroschenen Redensarten
aus, deren Tragweite weder Redner noch Hörer mehr ermessen. Daß die
Tonart durch Königgrätz keine wesentliche Aenderung erlitt, mag insofern
zur Ehre gereichen, als auf der andern Seite die Gefahr vor Betäubung
durch Kriegsruhm gar nahe zu liegen schien. Aber daß viele sich überhaupt
in die Situation nicht finden konnten, weil sie auf dem hohen Pferde der
Abstraction saßen, ist so erhaben nicht, als es aussieht. Es ist kein Zeichen
gesunden politischen Lebens, wenn kleine, nach Zufälligkeiten zusammenge-


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[0175] Civilliste abgab. — Dieselbe Anschauungsweise, welche die Thätigkeit des Volksvertreters nicht nach praktischen Resultaten bemißt, sondern auf unbe¬ rechenbare moralische Wirkungen sich verläßt, fand sich folgerichtig auch noch befriedigt in jenen nutzlosen Budgetsberathungen der Conflictjahre, als die Regierung längst kundgethan hatte, daß sie sich an die Beschlüsse des Hauses nicht im mindesten kehre. Welche politische Demoralisation in solchem Treiben liegt, wo den Berathungen nothwendig aller Ernst fehlt und der Versamm¬ lung in ihrer schattenhaften Existenz allmählich die Würde und Selbstachtung abhanden kommen, das war gerade denen am wenigsten klar, welche stets nach dem Preis der „Entschiedenheit" ringen. Gerade diese schauten ganz vergnüglich drein. Ich bin weit entfernt, einige Abgeordnete für das verantwortlich zu machen, was dem ganzen Volke zur Last fällt, ja mehr noch der ganzen ge¬ schichtlichen Entwickelung zuzuschreiben ist; ich glaube im allgemeinen weder, daß die Erwählten der Nation — nach welchem Wahlgesetze immer — hoch über der Mehrheit ihrer Wähler, noch daß das Volk jemals hoch über seinen Auserwählten stehe. Darum nehme ich auch an, daß die Halbheiten, In- consequenzen und innern Widersprüche der Opposition in der Zeit des Ver¬ fassungsbruches der Gesammtstimmung und namentlich der politischen Energie des preußischen Volkes durchaus entsprachen; wohl aber möchte ich dagegen Verwahrung einlegen, als ob in solchen Lagen, wo Recht und Ehre auf dem Spiele stehen, der Abgeordnete unter allen Umständen zu fragen habe: Wird die Wählerschaft hinter mir stehen, werde ich wieder gewählt werden? Nur wenige empfanden die ganze Schwere jener' rechtlosen Zeit und suchten ernsthaft nach Mitteln, mit Ehren herauszukommen. Manche sogar mögen eine Haltung sehr bequem gefunden haben, zu deren „cousequen- ter" Behauptung weder Arbeit noch Wissen gehörte. Dem eigentlichen Bezirksvereinspolitiker mag die Gelegenheit, in altgewohnter Art Proteste und Resolutionen zu verfassen, verzweifelte Anschauungen in selbstgefälliger Weise vorzutragen, nicht gerade unwillkommen gewesen sein, wie tief er auch sonst wohl den Schmerz um das verrathene Vaterland empfunden habe. Leichtlich'bildet sich in solchen Vereinen, die sonst sehr nützlich sein könnten, eine handwerksmäßige Agitationsmethode mit abgedroschenen Redensarten aus, deren Tragweite weder Redner noch Hörer mehr ermessen. Daß die Tonart durch Königgrätz keine wesentliche Aenderung erlitt, mag insofern zur Ehre gereichen, als auf der andern Seite die Gefahr vor Betäubung durch Kriegsruhm gar nahe zu liegen schien. Aber daß viele sich überhaupt in die Situation nicht finden konnten, weil sie auf dem hohen Pferde der Abstraction saßen, ist so erhaben nicht, als es aussieht. Es ist kein Zeichen gesunden politischen Lebens, wenn kleine, nach Zufälligkeiten zusammenge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/175>, abgerufen am 22.07.2024.