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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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sporadisch in altpreußischen Provinzen), dieselben noch heute sich Eins wissen
mit unserer national-liberalen Partei, wogegen die Verbindungen, welche
früher unter dem Namen der "Volkspartei" der deutschen Fortschrittspartei
opponire hatten, jetzt mit den preußischen Trümmern derselben offen sym-
pathisiren.

In den ersten Tagen ihres Bestehens hatte die Fortschrittspartei in
Preußen keine andere Sorge, als die, den Rechtsboden der soctroyirten)
Verfassung, den die demokratischen Genossen der Partei nicht lange vorher
erst mit einiger Ueberwindung betreten, von nun an so rein und unverrückt
wie möglich zu erhalten, die constitutionelle Rüstung, welche sie zum ersten
Male trugen, nun auch im gesetzlichen Kampfe zu erproben. Daß daraus der
Conflict mit dem Militärstaat hervorging, war nicht ihre Schuld. Aber die
lange Zeit der Verfassungssistirung, der daraus resultirenden traurigen Pflicht
einer an sich unfruchtbaren Negation drückte ihr wieder das Gepräge des
alten hoffnungslosen Radicalismus auf.

Dem Verfassungsbruch gegenüber ist die allgemeine staatsbürgerliche Ver¬
pflichtung eine sehr einfache, sie heißt: Abwehr um jeden Preis. Die poli¬
tische Aufgabe des Volksvertreters aber ist daneben noch eine andere, ver-
wickeltere und schwierigere. Er darf sich nicht damit getrösten, daß er seine
bürgerliche Pflicht erfüllt habe und der Erfolg bei Gott stehe, oder daß er
Saamenkörner ausstreue, in denen die Keime einer künstigen Revolution
revborgen liegen. Es existirt noch hier und da in vielen unklaren Köpfen
die dunkle Tradition, welche von einer großen Revolution, 'wie von einem
Messias, das Reich des Heils erwartet. Daß das deutsche Volk seiner Grund¬
anlage nach nicht revolutionär ist, daß es schon durch die mangelnde Cen¬
tralisation auf andere Entwickelungsformen angewiesen ist, als die in der¬
artigen Erschütterungen sich äußernden, daß man überhaupt mit Revolutio¬
nen nicht rechnet, das alles kann man täglich hundertmal versichern hören
und zwar von denselben Leuten, welche dennoch die Consequenzen dieser
Wahrheiten nicht zu ziehen vermögen, welche dennoch eine knabenhaft plan¬
lose Agitation ins Blaue hinein für den einzigen Weg zur Erringung oder
Vermehrung der öffentlichen Freiheiten halten. Das Schlimmste dabei ist. daß
das Ohr des Volkes für die großen Worte abgestumpft wird, daß das ewige
Anlaufnehmen ohne bestimmte Zielpunkte nicht einmal die Kräfte übt, son¬
dern nur ermüdend und abspannend wirkt. Ein berühmtes Oppositionsmit¬
glied, vielleicht der consequenteste Kopf der ganzen radicalen Partei, sagte es
einmal gerade heraus, die Zeit des Conflictes sei der Zeit constitutioneller
Compromisse weitaus vorzuziehen, sie sei die wahre politische Schule für das
Volk. Und der Mann, der so denkt, ist weder Republikaner, noch Revolu¬
tionär sondern ein Mann, der seine Stimme für Erhöhung der königlichen


sporadisch in altpreußischen Provinzen), dieselben noch heute sich Eins wissen
mit unserer national-liberalen Partei, wogegen die Verbindungen, welche
früher unter dem Namen der „Volkspartei" der deutschen Fortschrittspartei
opponire hatten, jetzt mit den preußischen Trümmern derselben offen sym-
pathisiren.

In den ersten Tagen ihres Bestehens hatte die Fortschrittspartei in
Preußen keine andere Sorge, als die, den Rechtsboden der soctroyirten)
Verfassung, den die demokratischen Genossen der Partei nicht lange vorher
erst mit einiger Ueberwindung betreten, von nun an so rein und unverrückt
wie möglich zu erhalten, die constitutionelle Rüstung, welche sie zum ersten
Male trugen, nun auch im gesetzlichen Kampfe zu erproben. Daß daraus der
Conflict mit dem Militärstaat hervorging, war nicht ihre Schuld. Aber die
lange Zeit der Verfassungssistirung, der daraus resultirenden traurigen Pflicht
einer an sich unfruchtbaren Negation drückte ihr wieder das Gepräge des
alten hoffnungslosen Radicalismus auf.

Dem Verfassungsbruch gegenüber ist die allgemeine staatsbürgerliche Ver¬
pflichtung eine sehr einfache, sie heißt: Abwehr um jeden Preis. Die poli¬
tische Aufgabe des Volksvertreters aber ist daneben noch eine andere, ver-
wickeltere und schwierigere. Er darf sich nicht damit getrösten, daß er seine
bürgerliche Pflicht erfüllt habe und der Erfolg bei Gott stehe, oder daß er
Saamenkörner ausstreue, in denen die Keime einer künstigen Revolution
revborgen liegen. Es existirt noch hier und da in vielen unklaren Köpfen
die dunkle Tradition, welche von einer großen Revolution, 'wie von einem
Messias, das Reich des Heils erwartet. Daß das deutsche Volk seiner Grund¬
anlage nach nicht revolutionär ist, daß es schon durch die mangelnde Cen¬
tralisation auf andere Entwickelungsformen angewiesen ist, als die in der¬
artigen Erschütterungen sich äußernden, daß man überhaupt mit Revolutio¬
nen nicht rechnet, das alles kann man täglich hundertmal versichern hören
und zwar von denselben Leuten, welche dennoch die Consequenzen dieser
Wahrheiten nicht zu ziehen vermögen, welche dennoch eine knabenhaft plan¬
lose Agitation ins Blaue hinein für den einzigen Weg zur Erringung oder
Vermehrung der öffentlichen Freiheiten halten. Das Schlimmste dabei ist. daß
das Ohr des Volkes für die großen Worte abgestumpft wird, daß das ewige
Anlaufnehmen ohne bestimmte Zielpunkte nicht einmal die Kräfte übt, son¬
dern nur ermüdend und abspannend wirkt. Ein berühmtes Oppositionsmit¬
glied, vielleicht der consequenteste Kopf der ganzen radicalen Partei, sagte es
einmal gerade heraus, die Zeit des Conflictes sei der Zeit constitutioneller
Compromisse weitaus vorzuziehen, sie sei die wahre politische Schule für das
Volk. Und der Mann, der so denkt, ist weder Republikaner, noch Revolu¬
tionär sondern ein Mann, der seine Stimme für Erhöhung der königlichen


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[0174] sporadisch in altpreußischen Provinzen), dieselben noch heute sich Eins wissen mit unserer national-liberalen Partei, wogegen die Verbindungen, welche früher unter dem Namen der „Volkspartei" der deutschen Fortschrittspartei opponire hatten, jetzt mit den preußischen Trümmern derselben offen sym- pathisiren. In den ersten Tagen ihres Bestehens hatte die Fortschrittspartei in Preußen keine andere Sorge, als die, den Rechtsboden der soctroyirten) Verfassung, den die demokratischen Genossen der Partei nicht lange vorher erst mit einiger Ueberwindung betreten, von nun an so rein und unverrückt wie möglich zu erhalten, die constitutionelle Rüstung, welche sie zum ersten Male trugen, nun auch im gesetzlichen Kampfe zu erproben. Daß daraus der Conflict mit dem Militärstaat hervorging, war nicht ihre Schuld. Aber die lange Zeit der Verfassungssistirung, der daraus resultirenden traurigen Pflicht einer an sich unfruchtbaren Negation drückte ihr wieder das Gepräge des alten hoffnungslosen Radicalismus auf. Dem Verfassungsbruch gegenüber ist die allgemeine staatsbürgerliche Ver¬ pflichtung eine sehr einfache, sie heißt: Abwehr um jeden Preis. Die poli¬ tische Aufgabe des Volksvertreters aber ist daneben noch eine andere, ver- wickeltere und schwierigere. Er darf sich nicht damit getrösten, daß er seine bürgerliche Pflicht erfüllt habe und der Erfolg bei Gott stehe, oder daß er Saamenkörner ausstreue, in denen die Keime einer künstigen Revolution revborgen liegen. Es existirt noch hier und da in vielen unklaren Köpfen die dunkle Tradition, welche von einer großen Revolution, 'wie von einem Messias, das Reich des Heils erwartet. Daß das deutsche Volk seiner Grund¬ anlage nach nicht revolutionär ist, daß es schon durch die mangelnde Cen¬ tralisation auf andere Entwickelungsformen angewiesen ist, als die in der¬ artigen Erschütterungen sich äußernden, daß man überhaupt mit Revolutio¬ nen nicht rechnet, das alles kann man täglich hundertmal versichern hören und zwar von denselben Leuten, welche dennoch die Consequenzen dieser Wahrheiten nicht zu ziehen vermögen, welche dennoch eine knabenhaft plan¬ lose Agitation ins Blaue hinein für den einzigen Weg zur Erringung oder Vermehrung der öffentlichen Freiheiten halten. Das Schlimmste dabei ist. daß das Ohr des Volkes für die großen Worte abgestumpft wird, daß das ewige Anlaufnehmen ohne bestimmte Zielpunkte nicht einmal die Kräfte übt, son¬ dern nur ermüdend und abspannend wirkt. Ein berühmtes Oppositionsmit¬ glied, vielleicht der consequenteste Kopf der ganzen radicalen Partei, sagte es einmal gerade heraus, die Zeit des Conflictes sei der Zeit constitutioneller Compromisse weitaus vorzuziehen, sie sei die wahre politische Schule für das Volk. Und der Mann, der so denkt, ist weder Republikaner, noch Revolu¬ tionär sondern ein Mann, der seine Stimme für Erhöhung der königlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/174>, abgerufen am 23.07.2024.