Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

treten, als alle deutschen Staaten; darum aber hat es auch noch eine be¬
deutende Zukunft, eine Zukunft namentlich in Bezug auf seine Herrschaft in
Deutschland, und wenn einst die Hohlheit der preußischen Macht sich noch
deutlicher zeigen wird, dann wird Oestreich unser Halt sein müssen und es
wird für Deutschland wenigstens richtig sein: ^ustria erit lo oz-be ultima."

Nach solchen Auslassungen hätte jeder Preuße, wie man glauben sollte,
sich voll Ingrimm über den wandelbaren Gesellen abwenden müssen. Aber
wie Jedermann weiß, gab es in Berlin Gesinnungsgenossen Mlmars, bei
denen der Haß gegen das, was sie Revolution nannten, größer war als die
Liebe zum eigenen Vaterlande. Die Organe dieser Partei waren und blieben
Vilmar offen. ' In der evangelischen Kirchenzeitung vertheidigte er selbst die
Maßregeln, die er ergriffen hatte, um die reformirte Kirche Hessens in eine
lutherische umzugestalten, "die Kreuzzeitung" und das "Volksblatt für Stadt
und Land" waren die Partisane der politischen Mißregierung Hessens. Ver¬
sah Vilmar das Wagner'sche Staatswörterbuch mit zahlreichen Artikeln über
die wichtigsten Gegenstände, so wird er auch für die Kreuzzeitung gelegent¬
lich haben schreiben dürfen. Hatte er doch auch in Hessen selbst kein Blatt
mehr, indem er seine Galle nun fließen lassen konnte. Denn der "Volks¬
freund" war 1832 selig entschlafen. In einer neuen Gestalt erwachte er
aber wieder als "Hefsenzeitung", da die politischen Dinge in Deutschland
eine Wendung zu nehmen drohten, welche der Herrschaft der vilmarschen
Partei früher oder später in Hessen ein Ende machen mußte. Denn war
1850 das Ansehen Preußens in Deutschland durch sein Zurückweichen in
der hessischen Frage geknickt worden, so suchte es jetzt dasselbe wieder an der¬
selben Stelle dadurch zu repariren, daß es sich auf Seite der Stände gegen
den Kurfürsten stellte und die vernichtete Verfassung des Landes wieder auf¬
richten half. Vilmar sah sein und seiner Partei Werk gefährdet und darob
entbrannte sein ganzer Zorn. Seine Wuthausbrüche gegen Preußen kannten
keine Grenzen des Anstands und der Schicklichkeit mehr und wuchsen in dem
Maße, als er die Macht Preußens und den festen Willen, eine andere Ge¬
stalt der Dinge in Deutschland herbeizuführen, erstarken sah. Interessant ist
es nun zu beobachten, wie die conservativen Brüder in Berlin anfänglich
den Zorn Mlmars durch milde Worte zu stillen suchten. Die Kreuzzeitung
und die norddeutsche Allgemeine leisteten das Mögliche in dieser Richtung.
So wird in einem Artikel des letzteren Blattes vom 12. März 1865 be¬
hauptet, daß der konservative Preuße auch hessische Zustände nicht anders
beurtheile als der konservative Hesse, und daß "beide manches Geschehene der
Vergangenheit gemeinsam bedauern und betrauern mögen". Der "Hessen¬
zeitung" wird eingeräumt, daß sie auf christlich-conservativen Boden stehe
und wesentlich nur die Form mißbilligt, in der sie ihrer "sittlichen Ent-


treten, als alle deutschen Staaten; darum aber hat es auch noch eine be¬
deutende Zukunft, eine Zukunft namentlich in Bezug auf seine Herrschaft in
Deutschland, und wenn einst die Hohlheit der preußischen Macht sich noch
deutlicher zeigen wird, dann wird Oestreich unser Halt sein müssen und es
wird für Deutschland wenigstens richtig sein: ^ustria erit lo oz-be ultima."

Nach solchen Auslassungen hätte jeder Preuße, wie man glauben sollte,
sich voll Ingrimm über den wandelbaren Gesellen abwenden müssen. Aber
wie Jedermann weiß, gab es in Berlin Gesinnungsgenossen Mlmars, bei
denen der Haß gegen das, was sie Revolution nannten, größer war als die
Liebe zum eigenen Vaterlande. Die Organe dieser Partei waren und blieben
Vilmar offen. ' In der evangelischen Kirchenzeitung vertheidigte er selbst die
Maßregeln, die er ergriffen hatte, um die reformirte Kirche Hessens in eine
lutherische umzugestalten, „die Kreuzzeitung" und das „Volksblatt für Stadt
und Land" waren die Partisane der politischen Mißregierung Hessens. Ver¬
sah Vilmar das Wagner'sche Staatswörterbuch mit zahlreichen Artikeln über
die wichtigsten Gegenstände, so wird er auch für die Kreuzzeitung gelegent¬
lich haben schreiben dürfen. Hatte er doch auch in Hessen selbst kein Blatt
mehr, indem er seine Galle nun fließen lassen konnte. Denn der „Volks¬
freund" war 1832 selig entschlafen. In einer neuen Gestalt erwachte er
aber wieder als „Hefsenzeitung", da die politischen Dinge in Deutschland
eine Wendung zu nehmen drohten, welche der Herrschaft der vilmarschen
Partei früher oder später in Hessen ein Ende machen mußte. Denn war
1850 das Ansehen Preußens in Deutschland durch sein Zurückweichen in
der hessischen Frage geknickt worden, so suchte es jetzt dasselbe wieder an der¬
selben Stelle dadurch zu repariren, daß es sich auf Seite der Stände gegen
den Kurfürsten stellte und die vernichtete Verfassung des Landes wieder auf¬
richten half. Vilmar sah sein und seiner Partei Werk gefährdet und darob
entbrannte sein ganzer Zorn. Seine Wuthausbrüche gegen Preußen kannten
keine Grenzen des Anstands und der Schicklichkeit mehr und wuchsen in dem
Maße, als er die Macht Preußens und den festen Willen, eine andere Ge¬
stalt der Dinge in Deutschland herbeizuführen, erstarken sah. Interessant ist
es nun zu beobachten, wie die conservativen Brüder in Berlin anfänglich
den Zorn Mlmars durch milde Worte zu stillen suchten. Die Kreuzzeitung
und die norddeutsche Allgemeine leisteten das Mögliche in dieser Richtung.
So wird in einem Artikel des letzteren Blattes vom 12. März 1865 be¬
hauptet, daß der konservative Preuße auch hessische Zustände nicht anders
beurtheile als der konservative Hesse, und daß „beide manches Geschehene der
Vergangenheit gemeinsam bedauern und betrauern mögen". Der „Hessen¬
zeitung" wird eingeräumt, daß sie auf christlich-conservativen Boden stehe
und wesentlich nur die Form mißbilligt, in der sie ihrer „sittlichen Ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117166"/>
          <p xml:id="ID_439" prev="#ID_438"> treten, als alle deutschen Staaten; darum aber hat es auch noch eine be¬<lb/>
deutende Zukunft, eine Zukunft namentlich in Bezug auf seine Herrschaft in<lb/>
Deutschland, und wenn einst die Hohlheit der preußischen Macht sich noch<lb/>
deutlicher zeigen wird, dann wird Oestreich unser Halt sein müssen und es<lb/>
wird für Deutschland wenigstens richtig sein: ^ustria erit lo oz-be ultima."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_440" next="#ID_441"> Nach solchen Auslassungen hätte jeder Preuße, wie man glauben sollte,<lb/>
sich voll Ingrimm über den wandelbaren Gesellen abwenden müssen. Aber<lb/>
wie Jedermann weiß, gab es in Berlin Gesinnungsgenossen Mlmars, bei<lb/>
denen der Haß gegen das, was sie Revolution nannten, größer war als die<lb/>
Liebe zum eigenen Vaterlande. Die Organe dieser Partei waren und blieben<lb/>
Vilmar offen. ' In der evangelischen Kirchenzeitung vertheidigte er selbst die<lb/>
Maßregeln, die er ergriffen hatte, um die reformirte Kirche Hessens in eine<lb/>
lutherische umzugestalten, &#x201E;die Kreuzzeitung" und das &#x201E;Volksblatt für Stadt<lb/>
und Land" waren die Partisane der politischen Mißregierung Hessens. Ver¬<lb/>
sah Vilmar das Wagner'sche Staatswörterbuch mit zahlreichen Artikeln über<lb/>
die wichtigsten Gegenstände, so wird er auch für die Kreuzzeitung gelegent¬<lb/>
lich haben schreiben dürfen. Hatte er doch auch in Hessen selbst kein Blatt<lb/>
mehr, indem er seine Galle nun fließen lassen konnte. Denn der &#x201E;Volks¬<lb/>
freund" war 1832 selig entschlafen. In einer neuen Gestalt erwachte er<lb/>
aber wieder als &#x201E;Hefsenzeitung", da die politischen Dinge in Deutschland<lb/>
eine Wendung zu nehmen drohten, welche der Herrschaft der vilmarschen<lb/>
Partei früher oder später in Hessen ein Ende machen mußte. Denn war<lb/>
1850 das Ansehen Preußens in Deutschland durch sein Zurückweichen in<lb/>
der hessischen Frage geknickt worden, so suchte es jetzt dasselbe wieder an der¬<lb/>
selben Stelle dadurch zu repariren, daß es sich auf Seite der Stände gegen<lb/>
den Kurfürsten stellte und die vernichtete Verfassung des Landes wieder auf¬<lb/>
richten half. Vilmar sah sein und seiner Partei Werk gefährdet und darob<lb/>
entbrannte sein ganzer Zorn. Seine Wuthausbrüche gegen Preußen kannten<lb/>
keine Grenzen des Anstands und der Schicklichkeit mehr und wuchsen in dem<lb/>
Maße, als er die Macht Preußens und den festen Willen, eine andere Ge¬<lb/>
stalt der Dinge in Deutschland herbeizuführen, erstarken sah. Interessant ist<lb/>
es nun zu beobachten, wie die conservativen Brüder in Berlin anfänglich<lb/>
den Zorn Mlmars durch milde Worte zu stillen suchten. Die Kreuzzeitung<lb/>
und die norddeutsche Allgemeine leisteten das Mögliche in dieser Richtung.<lb/>
So wird in einem Artikel des letzteren Blattes vom 12. März 1865 be¬<lb/>
hauptet, daß der konservative Preuße auch hessische Zustände nicht anders<lb/>
beurtheile als der konservative Hesse, und daß &#x201E;beide manches Geschehene der<lb/>
Vergangenheit gemeinsam bedauern und betrauern mögen". Der &#x201E;Hessen¬<lb/>
zeitung" wird eingeräumt, daß sie auf christlich-conservativen Boden stehe<lb/>
und wesentlich nur die Form mißbilligt, in der sie ihrer &#x201E;sittlichen Ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] treten, als alle deutschen Staaten; darum aber hat es auch noch eine be¬ deutende Zukunft, eine Zukunft namentlich in Bezug auf seine Herrschaft in Deutschland, und wenn einst die Hohlheit der preußischen Macht sich noch deutlicher zeigen wird, dann wird Oestreich unser Halt sein müssen und es wird für Deutschland wenigstens richtig sein: ^ustria erit lo oz-be ultima." Nach solchen Auslassungen hätte jeder Preuße, wie man glauben sollte, sich voll Ingrimm über den wandelbaren Gesellen abwenden müssen. Aber wie Jedermann weiß, gab es in Berlin Gesinnungsgenossen Mlmars, bei denen der Haß gegen das, was sie Revolution nannten, größer war als die Liebe zum eigenen Vaterlande. Die Organe dieser Partei waren und blieben Vilmar offen. ' In der evangelischen Kirchenzeitung vertheidigte er selbst die Maßregeln, die er ergriffen hatte, um die reformirte Kirche Hessens in eine lutherische umzugestalten, „die Kreuzzeitung" und das „Volksblatt für Stadt und Land" waren die Partisane der politischen Mißregierung Hessens. Ver¬ sah Vilmar das Wagner'sche Staatswörterbuch mit zahlreichen Artikeln über die wichtigsten Gegenstände, so wird er auch für die Kreuzzeitung gelegent¬ lich haben schreiben dürfen. Hatte er doch auch in Hessen selbst kein Blatt mehr, indem er seine Galle nun fließen lassen konnte. Denn der „Volks¬ freund" war 1832 selig entschlafen. In einer neuen Gestalt erwachte er aber wieder als „Hefsenzeitung", da die politischen Dinge in Deutschland eine Wendung zu nehmen drohten, welche der Herrschaft der vilmarschen Partei früher oder später in Hessen ein Ende machen mußte. Denn war 1850 das Ansehen Preußens in Deutschland durch sein Zurückweichen in der hessischen Frage geknickt worden, so suchte es jetzt dasselbe wieder an der¬ selben Stelle dadurch zu repariren, daß es sich auf Seite der Stände gegen den Kurfürsten stellte und die vernichtete Verfassung des Landes wieder auf¬ richten half. Vilmar sah sein und seiner Partei Werk gefährdet und darob entbrannte sein ganzer Zorn. Seine Wuthausbrüche gegen Preußen kannten keine Grenzen des Anstands und der Schicklichkeit mehr und wuchsen in dem Maße, als er die Macht Preußens und den festen Willen, eine andere Ge¬ stalt der Dinge in Deutschland herbeizuführen, erstarken sah. Interessant ist es nun zu beobachten, wie die conservativen Brüder in Berlin anfänglich den Zorn Mlmars durch milde Worte zu stillen suchten. Die Kreuzzeitung und die norddeutsche Allgemeine leisteten das Mögliche in dieser Richtung. So wird in einem Artikel des letzteren Blattes vom 12. März 1865 be¬ hauptet, daß der konservative Preuße auch hessische Zustände nicht anders beurtheile als der konservative Hesse, und daß „beide manches Geschehene der Vergangenheit gemeinsam bedauern und betrauern mögen". Der „Hessen¬ zeitung" wird eingeräumt, daß sie auf christlich-conservativen Boden stehe und wesentlich nur die Form mißbilligt, in der sie ihrer „sittlichen Ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/160>, abgerufen am 02.10.2024.