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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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keit der Könige schonen und ihr Dasein preisgeben." -- Wenige Jahre später
schrieb derselbe Mann: "Im Glauben begonnen, ist dieser Kampf gegen
die in ihre höhere Phase der Union des erfurter Reichstags getretene Re¬
volution, ein Kampf so schwer und groß wie noch keiner zuvor, auch im
Glauben geführt worden."

Was war nun geschehen, daß Vilmar, der 1849 noch Preußen den Vor¬
wurf machte, es habe die Empfindlichkeit der Kleinfürsten geschont und ihr
Dasein preisgegeben, jetzt die die particularistischen und dynastischen Inte¬
ressen vielmehr schonende Verfassung des Dreikönigbündnisses eine in die
höhere Phase getretene Revolution nennt?

Liest man die Urtheile die Vilmar Anfangs 1830 über die ans Ruder
gekommene Kreuzzeitungspartei abgab, so könnte man glauben, er sei aus
Haß gegen das reactionär gewordene Preußen zu einem Umschlag in seiner
Zuneigung gegen die preußische Krone bewogen worden. Denn er verwahrt
sich auf das bestimmteste gegen den Vorwurf absolutistischer Velleitäten und
gegen die Verwechslung seiner Ansichten mit denen der Kreuzzeitungspartei,
deren Christenthum "in der oberen Etage" er nahe daran ist, für bloße
Theorie oder gar für bloße Redensart zu erklären, "zumal da ihm dieses
Schwatzen mit bubenfertiger Zunge, abwechselnd mit diesem näseln aus
einer Geheimrathsnase ganz besonders zuwider ist."

Aber man würde irre gehn, wenn man diese Auslegung aufrecht er¬
halten wollte. Der Kurfürst von Hessen hatte zur Vernichtung der hessischen
Verfassung den Hans Daniel Hassenpflug aus Greifswald berufen. Aber
nicht nur unabhängig von seinen Ständen wollte seine Königliche Hoheit
sein, auch von einer Suprematie Preußens wollte sie nichts wissen. Da
Hassenpflug im Lande gar keine Unterstützung seiner Pläne fand, als bei
Vilmar und einigen Dorfpastoren, mußte er sich Oestreich auf Gnade oder
Ungnade ergeben. War er ja durch eine östreichische Intrigue überhaupt in die
Höhe gekommen. In die langersehnte Machtfülle eingesetzt, siel nun Vilmar
den preußischen Staat mit der ganzen Bosheit eines für seine Existenz strei¬
tenden Parteimanns und mit der ganzen Wucht seiner nicht gewöhnlichen
Beredtsamkeit an. Jetzt ist ihm Preußen "der Revolution verfallen bis in
seine Spitzen und Enden", es wird von einer "königlich preußischen Re¬
volution" gesprochen, die Anklage erhoben, "die deutschen Einzelstaaten hätten
in preußische Präfekturen verwandelt werden sollen", und gehöhnt "erst seit
den Olmützer Punktationen habe Preußen eine Stellung eingenommen, die
seiner Macht angemessen sei." Von Oestreich, das nach 1848 "den deutschen
Angelegenheiten niemals das volle Herz schenken konnte", heißt es 1857:
.,So steht Oestreich als eine Macht da, die von der modernen Cultur noch
nicht vernichtet ist, -- darum kann es in der Gegenwart mächtiger auf-


keit der Könige schonen und ihr Dasein preisgeben." — Wenige Jahre später
schrieb derselbe Mann: „Im Glauben begonnen, ist dieser Kampf gegen
die in ihre höhere Phase der Union des erfurter Reichstags getretene Re¬
volution, ein Kampf so schwer und groß wie noch keiner zuvor, auch im
Glauben geführt worden."

Was war nun geschehen, daß Vilmar, der 1849 noch Preußen den Vor¬
wurf machte, es habe die Empfindlichkeit der Kleinfürsten geschont und ihr
Dasein preisgegeben, jetzt die die particularistischen und dynastischen Inte¬
ressen vielmehr schonende Verfassung des Dreikönigbündnisses eine in die
höhere Phase getretene Revolution nennt?

Liest man die Urtheile die Vilmar Anfangs 1830 über die ans Ruder
gekommene Kreuzzeitungspartei abgab, so könnte man glauben, er sei aus
Haß gegen das reactionär gewordene Preußen zu einem Umschlag in seiner
Zuneigung gegen die preußische Krone bewogen worden. Denn er verwahrt
sich auf das bestimmteste gegen den Vorwurf absolutistischer Velleitäten und
gegen die Verwechslung seiner Ansichten mit denen der Kreuzzeitungspartei,
deren Christenthum „in der oberen Etage" er nahe daran ist, für bloße
Theorie oder gar für bloße Redensart zu erklären, „zumal da ihm dieses
Schwatzen mit bubenfertiger Zunge, abwechselnd mit diesem näseln aus
einer Geheimrathsnase ganz besonders zuwider ist."

Aber man würde irre gehn, wenn man diese Auslegung aufrecht er¬
halten wollte. Der Kurfürst von Hessen hatte zur Vernichtung der hessischen
Verfassung den Hans Daniel Hassenpflug aus Greifswald berufen. Aber
nicht nur unabhängig von seinen Ständen wollte seine Königliche Hoheit
sein, auch von einer Suprematie Preußens wollte sie nichts wissen. Da
Hassenpflug im Lande gar keine Unterstützung seiner Pläne fand, als bei
Vilmar und einigen Dorfpastoren, mußte er sich Oestreich auf Gnade oder
Ungnade ergeben. War er ja durch eine östreichische Intrigue überhaupt in die
Höhe gekommen. In die langersehnte Machtfülle eingesetzt, siel nun Vilmar
den preußischen Staat mit der ganzen Bosheit eines für seine Existenz strei¬
tenden Parteimanns und mit der ganzen Wucht seiner nicht gewöhnlichen
Beredtsamkeit an. Jetzt ist ihm Preußen „der Revolution verfallen bis in
seine Spitzen und Enden", es wird von einer „königlich preußischen Re¬
volution" gesprochen, die Anklage erhoben, „die deutschen Einzelstaaten hätten
in preußische Präfekturen verwandelt werden sollen", und gehöhnt „erst seit
den Olmützer Punktationen habe Preußen eine Stellung eingenommen, die
seiner Macht angemessen sei." Von Oestreich, das nach 1848 „den deutschen
Angelegenheiten niemals das volle Herz schenken konnte", heißt es 1857:
.,So steht Oestreich als eine Macht da, die von der modernen Cultur noch
nicht vernichtet ist, — darum kann es in der Gegenwart mächtiger auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/159>, abgerufen am 05.02.2025.