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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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glauben nicht, daß unser Adel nach irgend eine< Richtung tingere, bessere
und tüchtigere Männer und Frauen hervorbringe, als andere gebildete Kreise
unseres Volkes. Weder in Wissenschaft und Kunst, noch in der Landwirth¬
schaft, noch in der Politik, sogar nicht da, wo er am bravsten ist, im Heere
räumen wir dem Adel einen Standesvorzug größeren Talentes und stärkerer
Kraft ein. Dagegen fühlen wir wohl, daß er besondere Schwächen der In¬
dividuen begünstigt, gerade weil er noch einiges von einem gesonderten Stande
hat. Und deshalb meinen wir, wenn jetzt ein Bürgerlicher den Adel für sich
sucht, so thut er es nicht, um gebildeter, besser, kräftiger zu werden, sondern
aus begehrlicher Eitelkeit, aus Schwäche oder um sich und den Seinen kleine
Vortheile zu schaffen. Und deshalb verübeln wir ihm den erbetenen Wappen¬
brief um so mehr, je mehr wir ihm politisches Urtheil zutrauen.

Auch unsere Fürsten haben in der Gegenwart jede Ursache, der Nation
gegenüber den Schein zu vermeiden, als ob ihnen der Bürger ihres Staates
erst mit einem Adelsprädicat für vollberechtigt gelte. Die alte Hoffähig¬
keit, jenes Vorrecht des Mannes von altem landsässigen Adel, mit seiner
ebenbürtigen Frau und seiner Familie sich bei Hofe zu präsentiren und
mit seinen Standesgenossen die ausschließliche Umgebung der Souveräne
zu bilden, ist in neuer Zeit kein Privilegium des alten Adels geblieben; sie
ist namentlich in Preußen sehr erweitert worden, wo alter Adel nicht ein¬
mal mehr als Vorbedingung zu einer Hofcharge gilt, wo vollends in der
Adjutantur und in den höchsten Beamtenposten auf das Alter des Adels
wenig Rücksicht genommen wird. Wohl aber ist unsern Souveränen, mit
sehr einzelnen Ausnahmen, immer noch die Empfindung anerzogen, daß von
den Landeskindern nur der Adelige für den Tagesverkehr des Hofes vollbe¬
rechtigt sei. Wahrscheinlich hat auch der beste und freieste Fürst Stunden,
wo ihn diese Anschauung untilgbar beherrscht.

Allerdings, das Bedürfniß, mit den verschiedenen Kreisen des Volkes in
Verbindung zu treten, mit Individuen von anderartiger Bildung zu verkehren,
hat an jedem Hofe zu geselligen Auskunftsmitteln geführt, durch welche der
Regierende sich für einzelne Stunden Nichtadelige zu nähern vermag. Im
Ganzen aber bildet die Gesellschaft jedes Hofes einen Adelskreis, der
die erlauchten Familien eng umschließt. Nicht gering ist die Zahl ausge¬
zeichneter und guter Menschen, welche an deutschen Höfen den Hoshalt
unserer Herren zieren. Ja es sei hier, und nicht zum ersten Mal, die Ansicht
ausgesprochen, daß gegenwärtig, im Ganzen betrachtet, der Adelige in solcher
Hosstellung weit besser ruhiges Gleichgewicht und eine wohlthuende Sicher¬
heit zu bewahren versteht, als wir dem strebsamen Nichtadeligen zutrauen.
Auch soll durchaus nicht der Wunsch ausgesprochen werden, daß jemals
Phantasie und Ehrgeiz des Bürgerthums nach solchem Amt dränge. Aber die


glauben nicht, daß unser Adel nach irgend eine< Richtung tingere, bessere
und tüchtigere Männer und Frauen hervorbringe, als andere gebildete Kreise
unseres Volkes. Weder in Wissenschaft und Kunst, noch in der Landwirth¬
schaft, noch in der Politik, sogar nicht da, wo er am bravsten ist, im Heere
räumen wir dem Adel einen Standesvorzug größeren Talentes und stärkerer
Kraft ein. Dagegen fühlen wir wohl, daß er besondere Schwächen der In¬
dividuen begünstigt, gerade weil er noch einiges von einem gesonderten Stande
hat. Und deshalb meinen wir, wenn jetzt ein Bürgerlicher den Adel für sich
sucht, so thut er es nicht, um gebildeter, besser, kräftiger zu werden, sondern
aus begehrlicher Eitelkeit, aus Schwäche oder um sich und den Seinen kleine
Vortheile zu schaffen. Und deshalb verübeln wir ihm den erbetenen Wappen¬
brief um so mehr, je mehr wir ihm politisches Urtheil zutrauen.

Auch unsere Fürsten haben in der Gegenwart jede Ursache, der Nation
gegenüber den Schein zu vermeiden, als ob ihnen der Bürger ihres Staates
erst mit einem Adelsprädicat für vollberechtigt gelte. Die alte Hoffähig¬
keit, jenes Vorrecht des Mannes von altem landsässigen Adel, mit seiner
ebenbürtigen Frau und seiner Familie sich bei Hofe zu präsentiren und
mit seinen Standesgenossen die ausschließliche Umgebung der Souveräne
zu bilden, ist in neuer Zeit kein Privilegium des alten Adels geblieben; sie
ist namentlich in Preußen sehr erweitert worden, wo alter Adel nicht ein¬
mal mehr als Vorbedingung zu einer Hofcharge gilt, wo vollends in der
Adjutantur und in den höchsten Beamtenposten auf das Alter des Adels
wenig Rücksicht genommen wird. Wohl aber ist unsern Souveränen, mit
sehr einzelnen Ausnahmen, immer noch die Empfindung anerzogen, daß von
den Landeskindern nur der Adelige für den Tagesverkehr des Hofes vollbe¬
rechtigt sei. Wahrscheinlich hat auch der beste und freieste Fürst Stunden,
wo ihn diese Anschauung untilgbar beherrscht.

Allerdings, das Bedürfniß, mit den verschiedenen Kreisen des Volkes in
Verbindung zu treten, mit Individuen von anderartiger Bildung zu verkehren,
hat an jedem Hofe zu geselligen Auskunftsmitteln geführt, durch welche der
Regierende sich für einzelne Stunden Nichtadelige zu nähern vermag. Im
Ganzen aber bildet die Gesellschaft jedes Hofes einen Adelskreis, der
die erlauchten Familien eng umschließt. Nicht gering ist die Zahl ausge¬
zeichneter und guter Menschen, welche an deutschen Höfen den Hoshalt
unserer Herren zieren. Ja es sei hier, und nicht zum ersten Mal, die Ansicht
ausgesprochen, daß gegenwärtig, im Ganzen betrachtet, der Adelige in solcher
Hosstellung weit besser ruhiges Gleichgewicht und eine wohlthuende Sicher¬
heit zu bewahren versteht, als wir dem strebsamen Nichtadeligen zutrauen.
Auch soll durchaus nicht der Wunsch ausgesprochen werden, daß jemals
Phantasie und Ehrgeiz des Bürgerthums nach solchem Amt dränge. Aber die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/15>, abgerufen am 03.07.2024.