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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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welche die Tuillerien nach einander machten, Mainz, oder Landau, oder Luxem¬
burg zu erwerben. Die Deutschen kennen seit einigen Jahren, wo sie mehr
mit sich selbst beschäftigt sind, Frankreich weniger. Die bewundernswürdige
Beredsamkeit des Herrn Thiers hat natürlich einen großen Wiederhall jen¬
seit des Rheins gefunden; aber die Deutschen haben von seinen Reden nur
die Ausdrücke behalten, die am absolutesten gegen die Einheitsbewegung
sprachen, ohne daran zu denken, daß die Worte ohne Zweifel ganz anders
gelautet hätten, wenn diese Bewegung nicht die Macht und die Gewalt zu
Helfershelfern gehabt; und ohne weder dem besonderen Standpunkte des großen
Redners, noch der übrigen Discussion Rechnung zu tragen, die derselbe durch
seine Worte illustrirte. Die Deutschen suchten die Ansichten des Gouver¬
nements in den Artikeln des Constitutionell und glaubten in den Spalten-
einiger neuerdings in Paris gegründeten Blätter die einstimmige Meinung
aller Schattirungen der französischen liberalen Partei zu finden; man glaubte
und man glaubt noch, daß wenn der Kaiser persönlich den Krieg mit Deutsch¬
land wünscht, er dazu durch die kriegerischen Gelüste des französischen Volkes
getrieben werde, und man sagte sich dann, daß, wenn der Krieg unvermeid¬
lich, es besser sei, ihn gleich; besser, ihn kurz und gut zu haben, um aus der
Ungewißheit herauszukommen, als eine kurze Frist der Ruhe mit Concessionen
an einen unredlichen Nachbar zu erkaufen. Daher stammt nicht etwa der
Wunsch, den Krieg zu provociren, aber doch kein versöhnlicher Geist, um ihn
Zu vermeiden. Wenn man ihn auch beklagt, so ist man doch gefaßt darauf
wie auf ein nothwendiges Uebel, und wenn er einmal angefangen ist, wird
Man ihn, um ihn um so eher zu beenden, mit Passion führen. Deutschland
treibt Herrn von Bismarck nicht zum Kriege, es wird ihm sogar dankbar
sein, wenn er damit verschont; aber es gibt ihm die Mittel dazu.

Der Friede Europas hängt demnach jetzt von den Interessen der preußi¬
schen Politik ab. Welches ist diese Politik? Herr von Bismarck will, dnß
Man glauben soll, er habe seinen Einfluß bis aufs äußerste angewendet, um
den Ausbruch des Kriegs wegen Luxemburgs zu verhindern. Wie dem auch
sei, die Motive, die ihn im Frühjahr einen Krieg wünschen ließen, und die
Gründe, die er auf der anderen Seite haben mußte, ihn zu fürchten, find
leicht zu erkennen. Die Vorzüglichkeit der preußischen Streitkräfte, die besser
borbereitet und bewaffnet, dabei zahlreicher als die unsrigen und voll Sie¬
gesbewußtsein waren, schien ihm ebenso, wie der Wunsch, die Einheit
Deutschlands am Feuer eines auswärtigen Krieges zu Härten, die Be¬
schleunigung der Krisis anzurathen. Und doch hat nach langem Schwanken
das preußische Gouvernement aufrichtig den Frieden gewollt.

Es hatte die Empfindung, daß es Deutschland überanstrengen würde,
Wenn es ihm schon wieder einen neuen und schweren Krieg auferlegte. Eine


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welche die Tuillerien nach einander machten, Mainz, oder Landau, oder Luxem¬
burg zu erwerben. Die Deutschen kennen seit einigen Jahren, wo sie mehr
mit sich selbst beschäftigt sind, Frankreich weniger. Die bewundernswürdige
Beredsamkeit des Herrn Thiers hat natürlich einen großen Wiederhall jen¬
seit des Rheins gefunden; aber die Deutschen haben von seinen Reden nur
die Ausdrücke behalten, die am absolutesten gegen die Einheitsbewegung
sprachen, ohne daran zu denken, daß die Worte ohne Zweifel ganz anders
gelautet hätten, wenn diese Bewegung nicht die Macht und die Gewalt zu
Helfershelfern gehabt; und ohne weder dem besonderen Standpunkte des großen
Redners, noch der übrigen Discussion Rechnung zu tragen, die derselbe durch
seine Worte illustrirte. Die Deutschen suchten die Ansichten des Gouver¬
nements in den Artikeln des Constitutionell und glaubten in den Spalten-
einiger neuerdings in Paris gegründeten Blätter die einstimmige Meinung
aller Schattirungen der französischen liberalen Partei zu finden; man glaubte
und man glaubt noch, daß wenn der Kaiser persönlich den Krieg mit Deutsch¬
land wünscht, er dazu durch die kriegerischen Gelüste des französischen Volkes
getrieben werde, und man sagte sich dann, daß, wenn der Krieg unvermeid¬
lich, es besser sei, ihn gleich; besser, ihn kurz und gut zu haben, um aus der
Ungewißheit herauszukommen, als eine kurze Frist der Ruhe mit Concessionen
an einen unredlichen Nachbar zu erkaufen. Daher stammt nicht etwa der
Wunsch, den Krieg zu provociren, aber doch kein versöhnlicher Geist, um ihn
Zu vermeiden. Wenn man ihn auch beklagt, so ist man doch gefaßt darauf
wie auf ein nothwendiges Uebel, und wenn er einmal angefangen ist, wird
Man ihn, um ihn um so eher zu beenden, mit Passion führen. Deutschland
treibt Herrn von Bismarck nicht zum Kriege, es wird ihm sogar dankbar
sein, wenn er damit verschont; aber es gibt ihm die Mittel dazu.

Der Friede Europas hängt demnach jetzt von den Interessen der preußi¬
schen Politik ab. Welches ist diese Politik? Herr von Bismarck will, dnß
Man glauben soll, er habe seinen Einfluß bis aufs äußerste angewendet, um
den Ausbruch des Kriegs wegen Luxemburgs zu verhindern. Wie dem auch
sei, die Motive, die ihn im Frühjahr einen Krieg wünschen ließen, und die
Gründe, die er auf der anderen Seite haben mußte, ihn zu fürchten, find
leicht zu erkennen. Die Vorzüglichkeit der preußischen Streitkräfte, die besser
borbereitet und bewaffnet, dabei zahlreicher als die unsrigen und voll Sie¬
gesbewußtsein waren, schien ihm ebenso, wie der Wunsch, die Einheit
Deutschlands am Feuer eines auswärtigen Krieges zu Härten, die Be¬
schleunigung der Krisis anzurathen. Und doch hat nach langem Schwanken
das preußische Gouvernement aufrichtig den Frieden gewollt.

Es hatte die Empfindung, daß es Deutschland überanstrengen würde,
Wenn es ihm schon wieder einen neuen und schweren Krieg auferlegte. Eine


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[0139] welche die Tuillerien nach einander machten, Mainz, oder Landau, oder Luxem¬ burg zu erwerben. Die Deutschen kennen seit einigen Jahren, wo sie mehr mit sich selbst beschäftigt sind, Frankreich weniger. Die bewundernswürdige Beredsamkeit des Herrn Thiers hat natürlich einen großen Wiederhall jen¬ seit des Rheins gefunden; aber die Deutschen haben von seinen Reden nur die Ausdrücke behalten, die am absolutesten gegen die Einheitsbewegung sprachen, ohne daran zu denken, daß die Worte ohne Zweifel ganz anders gelautet hätten, wenn diese Bewegung nicht die Macht und die Gewalt zu Helfershelfern gehabt; und ohne weder dem besonderen Standpunkte des großen Redners, noch der übrigen Discussion Rechnung zu tragen, die derselbe durch seine Worte illustrirte. Die Deutschen suchten die Ansichten des Gouver¬ nements in den Artikeln des Constitutionell und glaubten in den Spalten- einiger neuerdings in Paris gegründeten Blätter die einstimmige Meinung aller Schattirungen der französischen liberalen Partei zu finden; man glaubte und man glaubt noch, daß wenn der Kaiser persönlich den Krieg mit Deutsch¬ land wünscht, er dazu durch die kriegerischen Gelüste des französischen Volkes getrieben werde, und man sagte sich dann, daß, wenn der Krieg unvermeid¬ lich, es besser sei, ihn gleich; besser, ihn kurz und gut zu haben, um aus der Ungewißheit herauszukommen, als eine kurze Frist der Ruhe mit Concessionen an einen unredlichen Nachbar zu erkaufen. Daher stammt nicht etwa der Wunsch, den Krieg zu provociren, aber doch kein versöhnlicher Geist, um ihn Zu vermeiden. Wenn man ihn auch beklagt, so ist man doch gefaßt darauf wie auf ein nothwendiges Uebel, und wenn er einmal angefangen ist, wird Man ihn, um ihn um so eher zu beenden, mit Passion führen. Deutschland treibt Herrn von Bismarck nicht zum Kriege, es wird ihm sogar dankbar sein, wenn er damit verschont; aber es gibt ihm die Mittel dazu. Der Friede Europas hängt demnach jetzt von den Interessen der preußi¬ schen Politik ab. Welches ist diese Politik? Herr von Bismarck will, dnß Man glauben soll, er habe seinen Einfluß bis aufs äußerste angewendet, um den Ausbruch des Kriegs wegen Luxemburgs zu verhindern. Wie dem auch sei, die Motive, die ihn im Frühjahr einen Krieg wünschen ließen, und die Gründe, die er auf der anderen Seite haben mußte, ihn zu fürchten, find leicht zu erkennen. Die Vorzüglichkeit der preußischen Streitkräfte, die besser borbereitet und bewaffnet, dabei zahlreicher als die unsrigen und voll Sie¬ gesbewußtsein waren, schien ihm ebenso, wie der Wunsch, die Einheit Deutschlands am Feuer eines auswärtigen Krieges zu Härten, die Be¬ schleunigung der Krisis anzurathen. Und doch hat nach langem Schwanken das preußische Gouvernement aufrichtig den Frieden gewollt. Es hatte die Empfindung, daß es Deutschland überanstrengen würde, Wenn es ihm schon wieder einen neuen und schweren Krieg auferlegte. Eine 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/139>, abgerufen am 24.08.2024.