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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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kurze Zeitlang exaltirt, hatte sich die öffentliche Meinung nicht eher wieder
schnell beruhigt, als in dem Augenblick, wo der Conflict am drohendsten
schien. Die Südstaaten, die solche Eile hatten, die Allianzverträge zu unter¬
zeichnen, waren viel weniger eifrig in der Ausführung der Stipulationen.
Sie hatten ihr Militär nur erst desorganisirt, aber noch nicht umgeformt-
Man konnte eine wirksame Mithülfe von ihnen nicht erwarten. Hannover
war durch eine weitverzweigte Verschwörung bearbeitet, die zum Ausbruch,
wie es scheint, nur das Erscheinen der französischen Fahne an der Elbmün-
dung erwartete. Ohne Zweifel würde sie mißglückt oder vor dem, jedem
fremden Eindringling feindlichen Nationalgefühl erlegen sein, aber man konnte
im umgekehrten Fall darin unmöglich ein schweres Symptom und ein Vor¬
spiel zu großen Schwierigkeiten verkennen. Die erklärten Feinde Preußens
in Deutschland trieben am meisten zum Kriege, als wenn sie von einer
Niederlage am Rhein den Umsturz seiner Herrschaft erwartet hätten. Das
gab Stoff zum Nachdenken- Der Krieg wurde vermieden. Die Situation
wird die nämliche im nächsten Jahre sein. Preußen wird dieselben Schwierig¬
keiten zu ^bekämpfen, dieselben Probleme zu lösen haben. Die Südstaaten
werden ohne Zweifel besser organisirt sein, aber ihre Fortschritte werden
denen der französischen Armee in derselben Zeit nicht gleichkommen. Preußen
wird also nicht mehr Interesse am Kriege, als vor einem Vierteljahr, haben;
im Gegentheil, die Gründe, ihn zu vermeiden, werden stärker sein. Mit einem
Worte, die Völker sind darauf gesaßt, aber keineswegs dazu geneigt; das
Gouvernement wird vielleicht durch eine zufällige Verkettung von Umständen
dazu geführt werden, aber es ist weit entfernt, dazu entschlossen zu sein. Der
Krieg ist also möglich, aber durchaus nicht unvermeidlich, und ich möchte nicht
einmal sagen, wahrscheinlich.

Wenn der Krieg zum Ausbruch käme, würde er vielleicht schließlich das
ganze Gebäude der preußischen Herrschaft unterminiren; aber seine erste
Wirkung würde sein, jeden Widerstand gegen diese Herrschaft aufzuheben und
die Vereinigung des Südens mit dem Norden, nicht zum Vortheil Deutsch'
lands, sondern einzig zu dem Preußens, als dem einzigen Repräsentanten
der nationalen Militärmacht, zu vollenden. Wenn dagegen, Dank der Er¬
haltung des Friedens, Dank der schleunigen Zulassung der Südstaaten zum
Nordbunde, Deutschland Kraft genug findet, dem preußischen System die
Stange zu halten und Preußen in sich aufgehen zu lassen, anstatt in ihm
selbst aufzugehen, so kann es im Namen und vermittelst der liberalen Ideen
dasselbe glückliche Resultat erreichen.--

Was im vorigen Jahr möglich war, was Frankreich hätte wünsche"
können, was damals unsern Nachbarn genehm gewesen wäre, ist heute
unwiderbringlich verloren. Die deutsche Einheit, die sich lange vorbereitete,


kurze Zeitlang exaltirt, hatte sich die öffentliche Meinung nicht eher wieder
schnell beruhigt, als in dem Augenblick, wo der Conflict am drohendsten
schien. Die Südstaaten, die solche Eile hatten, die Allianzverträge zu unter¬
zeichnen, waren viel weniger eifrig in der Ausführung der Stipulationen.
Sie hatten ihr Militär nur erst desorganisirt, aber noch nicht umgeformt-
Man konnte eine wirksame Mithülfe von ihnen nicht erwarten. Hannover
war durch eine weitverzweigte Verschwörung bearbeitet, die zum Ausbruch,
wie es scheint, nur das Erscheinen der französischen Fahne an der Elbmün-
dung erwartete. Ohne Zweifel würde sie mißglückt oder vor dem, jedem
fremden Eindringling feindlichen Nationalgefühl erlegen sein, aber man konnte
im umgekehrten Fall darin unmöglich ein schweres Symptom und ein Vor¬
spiel zu großen Schwierigkeiten verkennen. Die erklärten Feinde Preußens
in Deutschland trieben am meisten zum Kriege, als wenn sie von einer
Niederlage am Rhein den Umsturz seiner Herrschaft erwartet hätten. Das
gab Stoff zum Nachdenken- Der Krieg wurde vermieden. Die Situation
wird die nämliche im nächsten Jahre sein. Preußen wird dieselben Schwierig¬
keiten zu ^bekämpfen, dieselben Probleme zu lösen haben. Die Südstaaten
werden ohne Zweifel besser organisirt sein, aber ihre Fortschritte werden
denen der französischen Armee in derselben Zeit nicht gleichkommen. Preußen
wird also nicht mehr Interesse am Kriege, als vor einem Vierteljahr, haben;
im Gegentheil, die Gründe, ihn zu vermeiden, werden stärker sein. Mit einem
Worte, die Völker sind darauf gesaßt, aber keineswegs dazu geneigt; das
Gouvernement wird vielleicht durch eine zufällige Verkettung von Umständen
dazu geführt werden, aber es ist weit entfernt, dazu entschlossen zu sein. Der
Krieg ist also möglich, aber durchaus nicht unvermeidlich, und ich möchte nicht
einmal sagen, wahrscheinlich.

Wenn der Krieg zum Ausbruch käme, würde er vielleicht schließlich das
ganze Gebäude der preußischen Herrschaft unterminiren; aber seine erste
Wirkung würde sein, jeden Widerstand gegen diese Herrschaft aufzuheben und
die Vereinigung des Südens mit dem Norden, nicht zum Vortheil Deutsch'
lands, sondern einzig zu dem Preußens, als dem einzigen Repräsentanten
der nationalen Militärmacht, zu vollenden. Wenn dagegen, Dank der Er¬
haltung des Friedens, Dank der schleunigen Zulassung der Südstaaten zum
Nordbunde, Deutschland Kraft genug findet, dem preußischen System die
Stange zu halten und Preußen in sich aufgehen zu lassen, anstatt in ihm
selbst aufzugehen, so kann es im Namen und vermittelst der liberalen Ideen
dasselbe glückliche Resultat erreichen.--

Was im vorigen Jahr möglich war, was Frankreich hätte wünsche»
können, was damals unsern Nachbarn genehm gewesen wäre, ist heute
unwiderbringlich verloren. Die deutsche Einheit, die sich lange vorbereitete,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/140>, abgerufen am 02.10.2024.