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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Vortheil von einem neuen Kriege hoffen, sehr wenig zahlreich; wer bei den
letzten Ereignissen gewonnen hat, wünscht in Muße die Früchte zu genießen;
wer verloren hat, erwartet von der Erhaltung des Friedens die Gelegenheit,
seinen Verlust wieder gut zu machen.

Aber wenn die Deutschen das Werk ihrer Einigung ruhig zu vollenden
wünschen, so sind sie eben darum sehr eifersüchtig auf jede fremde Einmischung
in ihre inneren Angelegenheiten. Die Idee, den Elsaß und die Lorraine
wieder zu gewinnen, oder Holland zu annectiren, hat in den Augen der
Deutschen niemals für etwas Anderes, als für eine aus dem Hirne irgend
eines Professors der Geschichte entsprungene Chimäre gegolten; aber auch sie
haben ihre Morros-Doctrin: "Deutschland für die Deutschen", und wer immer
einen Eingriff darein versuchen wollte, nicht allein durch Abreißung eines
Stückes von dem Lande, dessen Garnes ihr "großes Vaterland" bildet, son¬
dern auch nur durch eine einfache Intervention in ihre inneren Angelegen¬
heiten, könnte versichert sein, daß er sie Alle gegen sich vereinigen würde.
Das ist eine Thatsache, die sich verheimlichen zu wollen unnütz und absurd sein
würde. Daher auch die Empfindlichkeit, die jeden Augenblick von dem preu¬
ßischen Gouvernement ausgebeutet werden kann, wenn dasselbe Gelegenheit
zu einem Bruch sucht. Als Hr. v, Bismarck, der, wie man sagt, den Verkauf
Luxemburgs gebilligt hatte, sein Wort mit Hinweis auf die öffentliche Mei¬
nung, die sich in Deutschland gegen diesen Handel erhoben hätte, zurücknahm
hat man ihn der Unredlichkeit angeklagt und behauptet, die Aufregung der
öffentlichen Meinung sei eine künstliche und von ihm improvisirte. Dieses
Mal aber hat man ihn verleumdet; die Aufregung war eine wirkliche. Dagegen
könnte es wohl sein, daß Herr von Bismarck an dem Tage, an dem er seine
Connivenz versprochen hatte, nicht aufrichtig gewesen war, denn er wußte
vorher, daß die Stimmung in Deutschland sich energisch über diesen
Punkt aussprechen und ihm, je nach Umständen, die Hände binden würde.

Die luxemburger Frage ist erledigt, und es gibt nur noch wenige Deutsche,
welche die Räumung der Festung als eine nationale Demüthigung ansehen,
aber die Erinnerung an die ganze Sache hat in Deutschland eine schon alte
Idee, welche von Tag zu Tag unheilvoll für die Erhaltung des Friedens
werden kann, befestigt: das ist die Ueberzeugung, daß der Kaiser Napoleon
zum Kriege entschlossen sei, und daß er nur auf eine günstige Gelegenheit
dazu warte. Diese Idee hat sich seit 1839 aller Gemüther bemächtigt, bis
dahin hatte der Urheber des Krimkrieges als Vorkämpfer für die Unterdrück¬
ten, als Beschützer Deutschlands gegen Rußland gegolten. Die Vorsicht
des französischen Gouvernements im Jahre 1866 hat diese Besorgniß nicht
erschüttert; man wußte, daß es nicht fertig zum Kriege war, und das Mi߬
trauen Deutschlands wurde bald durch die vergeblichen Versuche bestätigt,


Vortheil von einem neuen Kriege hoffen, sehr wenig zahlreich; wer bei den
letzten Ereignissen gewonnen hat, wünscht in Muße die Früchte zu genießen;
wer verloren hat, erwartet von der Erhaltung des Friedens die Gelegenheit,
seinen Verlust wieder gut zu machen.

Aber wenn die Deutschen das Werk ihrer Einigung ruhig zu vollenden
wünschen, so sind sie eben darum sehr eifersüchtig auf jede fremde Einmischung
in ihre inneren Angelegenheiten. Die Idee, den Elsaß und die Lorraine
wieder zu gewinnen, oder Holland zu annectiren, hat in den Augen der
Deutschen niemals für etwas Anderes, als für eine aus dem Hirne irgend
eines Professors der Geschichte entsprungene Chimäre gegolten; aber auch sie
haben ihre Morros-Doctrin: „Deutschland für die Deutschen", und wer immer
einen Eingriff darein versuchen wollte, nicht allein durch Abreißung eines
Stückes von dem Lande, dessen Garnes ihr „großes Vaterland" bildet, son¬
dern auch nur durch eine einfache Intervention in ihre inneren Angelegen¬
heiten, könnte versichert sein, daß er sie Alle gegen sich vereinigen würde.
Das ist eine Thatsache, die sich verheimlichen zu wollen unnütz und absurd sein
würde. Daher auch die Empfindlichkeit, die jeden Augenblick von dem preu¬
ßischen Gouvernement ausgebeutet werden kann, wenn dasselbe Gelegenheit
zu einem Bruch sucht. Als Hr. v, Bismarck, der, wie man sagt, den Verkauf
Luxemburgs gebilligt hatte, sein Wort mit Hinweis auf die öffentliche Mei¬
nung, die sich in Deutschland gegen diesen Handel erhoben hätte, zurücknahm
hat man ihn der Unredlichkeit angeklagt und behauptet, die Aufregung der
öffentlichen Meinung sei eine künstliche und von ihm improvisirte. Dieses
Mal aber hat man ihn verleumdet; die Aufregung war eine wirkliche. Dagegen
könnte es wohl sein, daß Herr von Bismarck an dem Tage, an dem er seine
Connivenz versprochen hatte, nicht aufrichtig gewesen war, denn er wußte
vorher, daß die Stimmung in Deutschland sich energisch über diesen
Punkt aussprechen und ihm, je nach Umständen, die Hände binden würde.

Die luxemburger Frage ist erledigt, und es gibt nur noch wenige Deutsche,
welche die Räumung der Festung als eine nationale Demüthigung ansehen,
aber die Erinnerung an die ganze Sache hat in Deutschland eine schon alte
Idee, welche von Tag zu Tag unheilvoll für die Erhaltung des Friedens
werden kann, befestigt: das ist die Ueberzeugung, daß der Kaiser Napoleon
zum Kriege entschlossen sei, und daß er nur auf eine günstige Gelegenheit
dazu warte. Diese Idee hat sich seit 1839 aller Gemüther bemächtigt, bis
dahin hatte der Urheber des Krimkrieges als Vorkämpfer für die Unterdrück¬
ten, als Beschützer Deutschlands gegen Rußland gegolten. Die Vorsicht
des französischen Gouvernements im Jahre 1866 hat diese Besorgniß nicht
erschüttert; man wußte, daß es nicht fertig zum Kriege war, und das Mi߬
trauen Deutschlands wurde bald durch die vergeblichen Versuche bestätigt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/138>, abgerufen am 24.08.2024.