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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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die es zu unternehmen für gut finden wird. Durch die politische Union mit
dem Süden wird es keinen Soldaten gewinnen; es wird nur einen Zügel
und ein Gegengewicht gegen seinen eigenen Einfluß in den deutschen Ange¬
legenheiten darin finden.

Damit aber diese Widerstandskräfte sich organisiren und den Anstreng¬
ungen Preußens zur Absorbirung Deutschlands entgegentreten können, darf
kein auswärtiger Krieg eintreten. Kann man auf die Erhaltung des Friedens
hoffen? Der luxemburger Fall hat diese Frage vor wenigen Monaten scharf
hingestellt und alle diejenigen, die sich damals am Vorabend eines schrecklichen
Krieges glaubten, ernstlich nachdenken machen. Ein Straucheln am Rande
des Abgrunds lehrt den Verwegensten Vorsicht. Dasselbe ist mit England
und den Vereinigten Staaten der Fall gewesen, die nahe daran waren, wegen
der Trent-Affaire in Streit zu gerathen. Zuweilen empfindet freilich ein Volk,
das sich zu Hause nicht wohl fühlt, das peinliche Bedürfniß, sein Uebel auf
die Schultern seiner Nachbarn abzuladen. Aber so ist die heutige Stimmung
in Deutschland keineswegs. Der letzte Krieg ist allerdings zum Erstaunen
schnell beendigt gewesen, aber die Leiden, die er verursacht hat, konnten doch
nicht mit einem Federstrich ausgelöscht werden. Die Kugeln Und die Cholera
haben in allen Klassen der Gesellschaft zahlreiche Opfer gefordert; die Trauer
folgte überall. Die Einberufung aller wehrkräftigen Männer hat in Ackerbau,
Gewerbe und Handel eine Stockung gebracht, deren Folgen sich noch heute
fühlbar machen. Die Aussicht auf einen neuen Krieg widerstrebt den Deut¬
schen weit mehr, seit sie in dem jüngsten gelernt haben, welche Schrecken er
nach sich ziehen würde. Selbst nicht einmal der Schlachtendurst, von dem
wan sonst voraussetzt , daß er jeden Soldaten beseele, ist in den deutschen
Heeren allgemein. Die Erinnerung an den letzten Feldzug ist noch zu frisch
bei denen, welche damals gegen die Preußen standen, als daß sie wünschen
wöchten, nun unter ihrem Befehl zu dienen. Was die preußische Armee be¬
trifft, so thut sie weniger groß mit dem Siege von Sadowa 1866, als sie
es mit dem bei Düppel 1863 that; das kommt daher, weil bis dahin ihr
voller Werth, dessen sie sich bewußt war, in Europa nicht allgemein anerkannt
N)urbe. Sie hatte nöthig, ihn durch die That zu bewähren, und hatte für
steh allein in einem großen europäischen Kriege noch nicht die Gelegenheit
dazu gefunden. Je magerer die Lorbeeren waren, die sie in Dänemark hatte
pflücken können, desto mehr fühlte sie das Bedürfniß, dieselben geltend zu ma¬
chen. Heute dagegen, wo sie die seit Waterloo entscheidendste Schlacht gewonnen
hat, wo sie der Gegenstand der Bewunderung in den militärischen Kreisen
der ganzen Welt ist, und wo sie zugleich aus Erfahrung weiß, wie sehr es
auf Schlachtenglück ankommt, hat sich ihre Sprache etwas geändert. Mit
einem Worte, in der ganzen deutschen Nation sind diejenigen, welche auf


Grenzboten I. 1868. 17

die es zu unternehmen für gut finden wird. Durch die politische Union mit
dem Süden wird es keinen Soldaten gewinnen; es wird nur einen Zügel
und ein Gegengewicht gegen seinen eigenen Einfluß in den deutschen Ange¬
legenheiten darin finden.

Damit aber diese Widerstandskräfte sich organisiren und den Anstreng¬
ungen Preußens zur Absorbirung Deutschlands entgegentreten können, darf
kein auswärtiger Krieg eintreten. Kann man auf die Erhaltung des Friedens
hoffen? Der luxemburger Fall hat diese Frage vor wenigen Monaten scharf
hingestellt und alle diejenigen, die sich damals am Vorabend eines schrecklichen
Krieges glaubten, ernstlich nachdenken machen. Ein Straucheln am Rande
des Abgrunds lehrt den Verwegensten Vorsicht. Dasselbe ist mit England
und den Vereinigten Staaten der Fall gewesen, die nahe daran waren, wegen
der Trent-Affaire in Streit zu gerathen. Zuweilen empfindet freilich ein Volk,
das sich zu Hause nicht wohl fühlt, das peinliche Bedürfniß, sein Uebel auf
die Schultern seiner Nachbarn abzuladen. Aber so ist die heutige Stimmung
in Deutschland keineswegs. Der letzte Krieg ist allerdings zum Erstaunen
schnell beendigt gewesen, aber die Leiden, die er verursacht hat, konnten doch
nicht mit einem Federstrich ausgelöscht werden. Die Kugeln Und die Cholera
haben in allen Klassen der Gesellschaft zahlreiche Opfer gefordert; die Trauer
folgte überall. Die Einberufung aller wehrkräftigen Männer hat in Ackerbau,
Gewerbe und Handel eine Stockung gebracht, deren Folgen sich noch heute
fühlbar machen. Die Aussicht auf einen neuen Krieg widerstrebt den Deut¬
schen weit mehr, seit sie in dem jüngsten gelernt haben, welche Schrecken er
nach sich ziehen würde. Selbst nicht einmal der Schlachtendurst, von dem
wan sonst voraussetzt , daß er jeden Soldaten beseele, ist in den deutschen
Heeren allgemein. Die Erinnerung an den letzten Feldzug ist noch zu frisch
bei denen, welche damals gegen die Preußen standen, als daß sie wünschen
wöchten, nun unter ihrem Befehl zu dienen. Was die preußische Armee be¬
trifft, so thut sie weniger groß mit dem Siege von Sadowa 1866, als sie
es mit dem bei Düppel 1863 that; das kommt daher, weil bis dahin ihr
voller Werth, dessen sie sich bewußt war, in Europa nicht allgemein anerkannt
N)urbe. Sie hatte nöthig, ihn durch die That zu bewähren, und hatte für
steh allein in einem großen europäischen Kriege noch nicht die Gelegenheit
dazu gefunden. Je magerer die Lorbeeren waren, die sie in Dänemark hatte
pflücken können, desto mehr fühlte sie das Bedürfniß, dieselben geltend zu ma¬
chen. Heute dagegen, wo sie die seit Waterloo entscheidendste Schlacht gewonnen
hat, wo sie der Gegenstand der Bewunderung in den militärischen Kreisen
der ganzen Welt ist, und wo sie zugleich aus Erfahrung weiß, wie sehr es
auf Schlachtenglück ankommt, hat sich ihre Sprache etwas geändert. Mit
einem Worte, in der ganzen deutschen Nation sind diejenigen, welche auf


Grenzboten I. 1868. 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/137>, abgerufen am 24.08.2024.