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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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zu verleihen. Vom commercialen Gesichtspunkte kann sich der Süden gar
nicht mehr vom Norden trennen, in welchem die großen und prosperirenden
Handelsstädte, die industriellen Mittelpunkte, endlich die Mündungen der See¬
straßen liegen. Noch weniger kann er es vom intellektuellen Gesichtspunkt,
denn er empfängt von jenem fast alle Inspirationen, Alles führt daher den
Süden dahin, sich mit dem Norden zu vereinigen; er will es um jeden Preis
und möchte schon jetzt die preußische Suprematie lieber annehmen, als in seiner
gegen-wärtigen Situation verbleiben. Die unüberlegte Forderung einer Grenz-
berichtigung, die von Frankreich im August des vorigen Jahres an Preußen
gestellt wurde, hat hingereicht, um die Regierungen der Südstaaten empfinden
zu lassen, wie sehr sie des Schutzes dieser letzteren Macht bedürftig waren,
und sie haben sich beeilt, mit ihr jenes Bündniß zu schließen, das ihre ganze
Militärmacht zu ihrer Verfügung stellt. Als es sich darum handelte, ob sie
den Zollverein lieber reconstituiren, oder ihn ganz aufgeben wollten, haben
die Südstaaten alle Bedingungen Preußens angenommen -- unter Anderem
auch das Veto, das es sich sür den künftigen Zollcongreß vorbehalten hatte.
Diese Zoll-Union ist nur ein kurzer Uebergang, der die wirkliche Union vor¬
bereitet. -- Berlin wird das einzig dastehende Privilegium haben, drei Par¬
lamente auf einmal zu besitzen, die für den preußischen Staatsbürger sein
dreifaches Vaterland repräsentiren: sein engeres Vaterland, Preußen, sein po¬
litisches Vaterland, den Nordbund, und sein großes Vaterland Deutschland,
als Zollverein verkleidet. Ein so künstlicher Bau kann keine Dauer haben,
und das Bundesparlament wird in nicht zu langer Zeit aus seinen Bänken
die Repräsentanten von ganz Deutschland sitzen sehen. Aber für jetzt ist es
Preußen, das diesen Moment hinausschieben möchte. Es hat sich beeilt, die
Constitution des neuen Bundes poliren zu lassen, um sie nur mit dem Theile
Deutschlands discutiren zu brauchen, den es zugelassen hatte, und um sie
später den Staaten, welche hinzukommen werden, en bloc auferlegen zu können.
Aber diese Garantie genügt ihm nicht. Das berliner Cabinet wagt nicht,
offen der Bewegung entgegenzutreten, die den Süden zu ihm führt, aber es
möchte sie bis zu dem Moment verzögern, wo es seine jetzigen Bundesgenossen
preußifizirt haben wird. Es will die Artischocke Blatt für Blatt essen. Es
fühlt sehr wohl, daß die Zulassung der Südstaaten dem Widerstande, dem es
im Bundesrathe schon jetzt begegnet, eine solche Verstärkung zuführen würde,
daß es, anstatt das Gesetz zu machen, genöthigt wäre, es sich machen zu
lassen. Vom französischen Gesichtspunkte müssen wir daher aus demselben
Grunde wünschen, daß sich diese vollständige Union so bald als möglich voll¬
ziehe. In den europäischen Angelegenheiten ist sie ja schon durch die Ver¬
träge und mehr noch durch die Gewalt der Thatsachen vollzogen. Die Süd-
staaten sind fortan die unvermeidlichen Hilfstruppen Preußens in allen Kriegen,


zu verleihen. Vom commercialen Gesichtspunkte kann sich der Süden gar
nicht mehr vom Norden trennen, in welchem die großen und prosperirenden
Handelsstädte, die industriellen Mittelpunkte, endlich die Mündungen der See¬
straßen liegen. Noch weniger kann er es vom intellektuellen Gesichtspunkt,
denn er empfängt von jenem fast alle Inspirationen, Alles führt daher den
Süden dahin, sich mit dem Norden zu vereinigen; er will es um jeden Preis
und möchte schon jetzt die preußische Suprematie lieber annehmen, als in seiner
gegen-wärtigen Situation verbleiben. Die unüberlegte Forderung einer Grenz-
berichtigung, die von Frankreich im August des vorigen Jahres an Preußen
gestellt wurde, hat hingereicht, um die Regierungen der Südstaaten empfinden
zu lassen, wie sehr sie des Schutzes dieser letzteren Macht bedürftig waren,
und sie haben sich beeilt, mit ihr jenes Bündniß zu schließen, das ihre ganze
Militärmacht zu ihrer Verfügung stellt. Als es sich darum handelte, ob sie
den Zollverein lieber reconstituiren, oder ihn ganz aufgeben wollten, haben
die Südstaaten alle Bedingungen Preußens angenommen — unter Anderem
auch das Veto, das es sich sür den künftigen Zollcongreß vorbehalten hatte.
Diese Zoll-Union ist nur ein kurzer Uebergang, der die wirkliche Union vor¬
bereitet. — Berlin wird das einzig dastehende Privilegium haben, drei Par¬
lamente auf einmal zu besitzen, die für den preußischen Staatsbürger sein
dreifaches Vaterland repräsentiren: sein engeres Vaterland, Preußen, sein po¬
litisches Vaterland, den Nordbund, und sein großes Vaterland Deutschland,
als Zollverein verkleidet. Ein so künstlicher Bau kann keine Dauer haben,
und das Bundesparlament wird in nicht zu langer Zeit aus seinen Bänken
die Repräsentanten von ganz Deutschland sitzen sehen. Aber für jetzt ist es
Preußen, das diesen Moment hinausschieben möchte. Es hat sich beeilt, die
Constitution des neuen Bundes poliren zu lassen, um sie nur mit dem Theile
Deutschlands discutiren zu brauchen, den es zugelassen hatte, und um sie
später den Staaten, welche hinzukommen werden, en bloc auferlegen zu können.
Aber diese Garantie genügt ihm nicht. Das berliner Cabinet wagt nicht,
offen der Bewegung entgegenzutreten, die den Süden zu ihm führt, aber es
möchte sie bis zu dem Moment verzögern, wo es seine jetzigen Bundesgenossen
preußifizirt haben wird. Es will die Artischocke Blatt für Blatt essen. Es
fühlt sehr wohl, daß die Zulassung der Südstaaten dem Widerstande, dem es
im Bundesrathe schon jetzt begegnet, eine solche Verstärkung zuführen würde,
daß es, anstatt das Gesetz zu machen, genöthigt wäre, es sich machen zu
lassen. Vom französischen Gesichtspunkte müssen wir daher aus demselben
Grunde wünschen, daß sich diese vollständige Union so bald als möglich voll¬
ziehe. In den europäischen Angelegenheiten ist sie ja schon durch die Ver¬
träge und mehr noch durch die Gewalt der Thatsachen vollzogen. Die Süd-
staaten sind fortan die unvermeidlichen Hilfstruppen Preußens in allen Kriegen,


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[0136] zu verleihen. Vom commercialen Gesichtspunkte kann sich der Süden gar nicht mehr vom Norden trennen, in welchem die großen und prosperirenden Handelsstädte, die industriellen Mittelpunkte, endlich die Mündungen der See¬ straßen liegen. Noch weniger kann er es vom intellektuellen Gesichtspunkt, denn er empfängt von jenem fast alle Inspirationen, Alles führt daher den Süden dahin, sich mit dem Norden zu vereinigen; er will es um jeden Preis und möchte schon jetzt die preußische Suprematie lieber annehmen, als in seiner gegen-wärtigen Situation verbleiben. Die unüberlegte Forderung einer Grenz- berichtigung, die von Frankreich im August des vorigen Jahres an Preußen gestellt wurde, hat hingereicht, um die Regierungen der Südstaaten empfinden zu lassen, wie sehr sie des Schutzes dieser letzteren Macht bedürftig waren, und sie haben sich beeilt, mit ihr jenes Bündniß zu schließen, das ihre ganze Militärmacht zu ihrer Verfügung stellt. Als es sich darum handelte, ob sie den Zollverein lieber reconstituiren, oder ihn ganz aufgeben wollten, haben die Südstaaten alle Bedingungen Preußens angenommen — unter Anderem auch das Veto, das es sich sür den künftigen Zollcongreß vorbehalten hatte. Diese Zoll-Union ist nur ein kurzer Uebergang, der die wirkliche Union vor¬ bereitet. — Berlin wird das einzig dastehende Privilegium haben, drei Par¬ lamente auf einmal zu besitzen, die für den preußischen Staatsbürger sein dreifaches Vaterland repräsentiren: sein engeres Vaterland, Preußen, sein po¬ litisches Vaterland, den Nordbund, und sein großes Vaterland Deutschland, als Zollverein verkleidet. Ein so künstlicher Bau kann keine Dauer haben, und das Bundesparlament wird in nicht zu langer Zeit aus seinen Bänken die Repräsentanten von ganz Deutschland sitzen sehen. Aber für jetzt ist es Preußen, das diesen Moment hinausschieben möchte. Es hat sich beeilt, die Constitution des neuen Bundes poliren zu lassen, um sie nur mit dem Theile Deutschlands discutiren zu brauchen, den es zugelassen hatte, und um sie später den Staaten, welche hinzukommen werden, en bloc auferlegen zu können. Aber diese Garantie genügt ihm nicht. Das berliner Cabinet wagt nicht, offen der Bewegung entgegenzutreten, die den Süden zu ihm führt, aber es möchte sie bis zu dem Moment verzögern, wo es seine jetzigen Bundesgenossen preußifizirt haben wird. Es will die Artischocke Blatt für Blatt essen. Es fühlt sehr wohl, daß die Zulassung der Südstaaten dem Widerstande, dem es im Bundesrathe schon jetzt begegnet, eine solche Verstärkung zuführen würde, daß es, anstatt das Gesetz zu machen, genöthigt wäre, es sich machen zu lassen. Vom französischen Gesichtspunkte müssen wir daher aus demselben Grunde wünschen, daß sich diese vollständige Union so bald als möglich voll¬ ziehe. In den europäischen Angelegenheiten ist sie ja schon durch die Ver¬ träge und mehr noch durch die Gewalt der Thatsachen vollzogen. Die Süd- staaten sind fortan die unvermeidlichen Hilfstruppen Preußens in allen Kriegen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/136>, abgerufen am 24.08.2024.