Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nationalvereins ward in seinen Händen zu einem gut benutzten blinden
Werkzeuge. Zu gleicher Zeit suchte er den Regierungen, denen er, gegen
ihren Eintritt in seinen neuen Bund, Lebenscertifikate ausstellte, die Wurzeln
abzuschneiden. Er erschütterte ihre Popularität, indem er ihnen die nämlichen
Militärlasten wie den preußischen Provinzen auferlegte. Die Ausgaben der
kleinen deutschen Staaten wurden fast verdreifacht. So hatte zum Beispiel
das Herzogthum Sachsen-Coburg einige Jahre vorher eine Militärconvention
mit Preußen abgeschlossen, infolge deren es jährlich an Preußen 80 Thlr.
oder 300 Fras. per Mann zahlte; aber diese Ziffer war ein Nachlaß, den
man dem Herzogthum, wie eine Art Lockspeise für die andern, zu einer Zeit
bewilligt hatte, wo Preußen noch ein Ueberbieten Oestreichs fürchten konnte.
Jetzt fordert es von demselben Herzogthum 170 Thlr. oder 637 Fras. SO Ces.
pro Mann. Das Bundescontingent des Großherzogthums Sachsen-Weimar
kostete demselben jährlich gegen 240,000 Thlr. oder 900,000 Fras.-, nach dem
neuen Militäretat den man ihm auferlegt, würde es fortan nahe an 800,000
Thlr. oder 3,000,000 Fras. zahlen. Die kleinen deutschen Regierungen hatten
sich ihre Bevölkerungen zu verpflichten verstanden, indem sie ihnen die er¬
drückenden Lasten ersparten, welche auf ihren mächtigern Nachbarn ruhten.
Es ist die erste Sorge Preußens gewesen, ihnen diesen Vortheil und dieses
Existenzmittel zu entziehen.

Inmitten so ungeregelter Zustände bietet sich das preußische System,
das die Stärke seiner Organisation erprobt hat. als eine Nothwendigkeit für
Deutschland dar. Doch wird es gegen zwei Bewegungen zu kämpfen haben,
die, wenn auch ganz von einander verschieden, doch gleichmäßig seiner Herr¬
schaft zuwiderlaufen -- die eine im Norden, welche der Centralisation wider¬
strebt, -- die andre, welche den Süden zu dem neuen Bunde hinzieht.

Die erstere erklärt sich leicht. Die Stellung, welche Deutschland erwor¬
ben hat, befriedigt die nationale Eitelkeit. Nachdem man sich nun einmal
in dieser Position befindet, sieht man die Nothwendigkeit nicht ein, alle Tra¬
ditionen, Lokalinstitutionen, Particularinteressen der Gleichförmigkeit mit dem
preußischen System zu opfern. So kommt es, das selbst diejenigen, welche
am eifrigsten die preußische Hegemonie ersehnten, nunmehr finden, daß es an
der Zeit sei, auf diesem Wege innezuhalten; und die reine Annexion an
Preußen zählt weniger Anhänger in den kleinen Staaten, seit dieselben, gut¬
willig oder gezwungen, in den Nordbund eingetreten sind. Ihre Hauptstädte
wissen, was sie verlieren, wenn sie preußische Unterpräfecturen würden. Selbst
die Universitäten, die immer den Hauptheerd für die Einheitsidee bildeten,
wollen nicht vor Berlin die Flagge streichen. In den kleinen Truppentheilen
wird man Gefühlen geheimen Grolls oder eifersüchtigen Neides gegen die
preußische Armee begegnen. Das zahlreiche Verwaltungspersonal endlich


Nationalvereins ward in seinen Händen zu einem gut benutzten blinden
Werkzeuge. Zu gleicher Zeit suchte er den Regierungen, denen er, gegen
ihren Eintritt in seinen neuen Bund, Lebenscertifikate ausstellte, die Wurzeln
abzuschneiden. Er erschütterte ihre Popularität, indem er ihnen die nämlichen
Militärlasten wie den preußischen Provinzen auferlegte. Die Ausgaben der
kleinen deutschen Staaten wurden fast verdreifacht. So hatte zum Beispiel
das Herzogthum Sachsen-Coburg einige Jahre vorher eine Militärconvention
mit Preußen abgeschlossen, infolge deren es jährlich an Preußen 80 Thlr.
oder 300 Fras. per Mann zahlte; aber diese Ziffer war ein Nachlaß, den
man dem Herzogthum, wie eine Art Lockspeise für die andern, zu einer Zeit
bewilligt hatte, wo Preußen noch ein Ueberbieten Oestreichs fürchten konnte.
Jetzt fordert es von demselben Herzogthum 170 Thlr. oder 637 Fras. SO Ces.
pro Mann. Das Bundescontingent des Großherzogthums Sachsen-Weimar
kostete demselben jährlich gegen 240,000 Thlr. oder 900,000 Fras.-, nach dem
neuen Militäretat den man ihm auferlegt, würde es fortan nahe an 800,000
Thlr. oder 3,000,000 Fras. zahlen. Die kleinen deutschen Regierungen hatten
sich ihre Bevölkerungen zu verpflichten verstanden, indem sie ihnen die er¬
drückenden Lasten ersparten, welche auf ihren mächtigern Nachbarn ruhten.
Es ist die erste Sorge Preußens gewesen, ihnen diesen Vortheil und dieses
Existenzmittel zu entziehen.

Inmitten so ungeregelter Zustände bietet sich das preußische System,
das die Stärke seiner Organisation erprobt hat. als eine Nothwendigkeit für
Deutschland dar. Doch wird es gegen zwei Bewegungen zu kämpfen haben,
die, wenn auch ganz von einander verschieden, doch gleichmäßig seiner Herr¬
schaft zuwiderlaufen — die eine im Norden, welche der Centralisation wider¬
strebt, — die andre, welche den Süden zu dem neuen Bunde hinzieht.

Die erstere erklärt sich leicht. Die Stellung, welche Deutschland erwor¬
ben hat, befriedigt die nationale Eitelkeit. Nachdem man sich nun einmal
in dieser Position befindet, sieht man die Nothwendigkeit nicht ein, alle Tra¬
ditionen, Lokalinstitutionen, Particularinteressen der Gleichförmigkeit mit dem
preußischen System zu opfern. So kommt es, das selbst diejenigen, welche
am eifrigsten die preußische Hegemonie ersehnten, nunmehr finden, daß es an
der Zeit sei, auf diesem Wege innezuhalten; und die reine Annexion an
Preußen zählt weniger Anhänger in den kleinen Staaten, seit dieselben, gut¬
willig oder gezwungen, in den Nordbund eingetreten sind. Ihre Hauptstädte
wissen, was sie verlieren, wenn sie preußische Unterpräfecturen würden. Selbst
die Universitäten, die immer den Hauptheerd für die Einheitsidee bildeten,
wollen nicht vor Berlin die Flagge streichen. In den kleinen Truppentheilen
wird man Gefühlen geheimen Grolls oder eifersüchtigen Neides gegen die
preußische Armee begegnen. Das zahlreiche Verwaltungspersonal endlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117140"/>
          <p xml:id="ID_375" prev="#ID_374"> Nationalvereins ward in seinen Händen zu einem gut benutzten blinden<lb/>
Werkzeuge. Zu gleicher Zeit suchte er den Regierungen, denen er, gegen<lb/>
ihren Eintritt in seinen neuen Bund, Lebenscertifikate ausstellte, die Wurzeln<lb/>
abzuschneiden. Er erschütterte ihre Popularität, indem er ihnen die nämlichen<lb/>
Militärlasten wie den preußischen Provinzen auferlegte. Die Ausgaben der<lb/>
kleinen deutschen Staaten wurden fast verdreifacht. So hatte zum Beispiel<lb/>
das Herzogthum Sachsen-Coburg einige Jahre vorher eine Militärconvention<lb/>
mit Preußen abgeschlossen, infolge deren es jährlich an Preußen 80 Thlr.<lb/>
oder 300 Fras. per Mann zahlte; aber diese Ziffer war ein Nachlaß, den<lb/>
man dem Herzogthum, wie eine Art Lockspeise für die andern, zu einer Zeit<lb/>
bewilligt hatte, wo Preußen noch ein Ueberbieten Oestreichs fürchten konnte.<lb/>
Jetzt fordert es von demselben Herzogthum 170 Thlr. oder 637 Fras. SO Ces.<lb/>
pro Mann. Das Bundescontingent des Großherzogthums Sachsen-Weimar<lb/>
kostete demselben jährlich gegen 240,000 Thlr. oder 900,000 Fras.-, nach dem<lb/>
neuen Militäretat den man ihm auferlegt, würde es fortan nahe an 800,000<lb/>
Thlr. oder 3,000,000 Fras. zahlen. Die kleinen deutschen Regierungen hatten<lb/>
sich ihre Bevölkerungen zu verpflichten verstanden, indem sie ihnen die er¬<lb/>
drückenden Lasten ersparten, welche auf ihren mächtigern Nachbarn ruhten.<lb/>
Es ist die erste Sorge Preußens gewesen, ihnen diesen Vortheil und dieses<lb/>
Existenzmittel zu entziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_376"> Inmitten so ungeregelter Zustände bietet sich das preußische System,<lb/>
das die Stärke seiner Organisation erprobt hat. als eine Nothwendigkeit für<lb/>
Deutschland dar. Doch wird es gegen zwei Bewegungen zu kämpfen haben,<lb/>
die, wenn auch ganz von einander verschieden, doch gleichmäßig seiner Herr¬<lb/>
schaft zuwiderlaufen &#x2014; die eine im Norden, welche der Centralisation wider¬<lb/>
strebt, &#x2014; die andre, welche den Süden zu dem neuen Bunde hinzieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_377" next="#ID_378"> Die erstere erklärt sich leicht. Die Stellung, welche Deutschland erwor¬<lb/>
ben hat, befriedigt die nationale Eitelkeit. Nachdem man sich nun einmal<lb/>
in dieser Position befindet, sieht man die Nothwendigkeit nicht ein, alle Tra¬<lb/>
ditionen, Lokalinstitutionen, Particularinteressen der Gleichförmigkeit mit dem<lb/>
preußischen System zu opfern. So kommt es, das selbst diejenigen, welche<lb/>
am eifrigsten die preußische Hegemonie ersehnten, nunmehr finden, daß es an<lb/>
der Zeit sei, auf diesem Wege innezuhalten; und die reine Annexion an<lb/>
Preußen zählt weniger Anhänger in den kleinen Staaten, seit dieselben, gut¬<lb/>
willig oder gezwungen, in den Nordbund eingetreten sind. Ihre Hauptstädte<lb/>
wissen, was sie verlieren, wenn sie preußische Unterpräfecturen würden. Selbst<lb/>
die Universitäten, die immer den Hauptheerd für die Einheitsidee bildeten,<lb/>
wollen nicht vor Berlin die Flagge streichen. In den kleinen Truppentheilen<lb/>
wird man Gefühlen geheimen Grolls oder eifersüchtigen Neides gegen die<lb/>
preußische Armee begegnen.  Das zahlreiche Verwaltungspersonal endlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0134] Nationalvereins ward in seinen Händen zu einem gut benutzten blinden Werkzeuge. Zu gleicher Zeit suchte er den Regierungen, denen er, gegen ihren Eintritt in seinen neuen Bund, Lebenscertifikate ausstellte, die Wurzeln abzuschneiden. Er erschütterte ihre Popularität, indem er ihnen die nämlichen Militärlasten wie den preußischen Provinzen auferlegte. Die Ausgaben der kleinen deutschen Staaten wurden fast verdreifacht. So hatte zum Beispiel das Herzogthum Sachsen-Coburg einige Jahre vorher eine Militärconvention mit Preußen abgeschlossen, infolge deren es jährlich an Preußen 80 Thlr. oder 300 Fras. per Mann zahlte; aber diese Ziffer war ein Nachlaß, den man dem Herzogthum, wie eine Art Lockspeise für die andern, zu einer Zeit bewilligt hatte, wo Preußen noch ein Ueberbieten Oestreichs fürchten konnte. Jetzt fordert es von demselben Herzogthum 170 Thlr. oder 637 Fras. SO Ces. pro Mann. Das Bundescontingent des Großherzogthums Sachsen-Weimar kostete demselben jährlich gegen 240,000 Thlr. oder 900,000 Fras.-, nach dem neuen Militäretat den man ihm auferlegt, würde es fortan nahe an 800,000 Thlr. oder 3,000,000 Fras. zahlen. Die kleinen deutschen Regierungen hatten sich ihre Bevölkerungen zu verpflichten verstanden, indem sie ihnen die er¬ drückenden Lasten ersparten, welche auf ihren mächtigern Nachbarn ruhten. Es ist die erste Sorge Preußens gewesen, ihnen diesen Vortheil und dieses Existenzmittel zu entziehen. Inmitten so ungeregelter Zustände bietet sich das preußische System, das die Stärke seiner Organisation erprobt hat. als eine Nothwendigkeit für Deutschland dar. Doch wird es gegen zwei Bewegungen zu kämpfen haben, die, wenn auch ganz von einander verschieden, doch gleichmäßig seiner Herr¬ schaft zuwiderlaufen — die eine im Norden, welche der Centralisation wider¬ strebt, — die andre, welche den Süden zu dem neuen Bunde hinzieht. Die erstere erklärt sich leicht. Die Stellung, welche Deutschland erwor¬ ben hat, befriedigt die nationale Eitelkeit. Nachdem man sich nun einmal in dieser Position befindet, sieht man die Nothwendigkeit nicht ein, alle Tra¬ ditionen, Lokalinstitutionen, Particularinteressen der Gleichförmigkeit mit dem preußischen System zu opfern. So kommt es, das selbst diejenigen, welche am eifrigsten die preußische Hegemonie ersehnten, nunmehr finden, daß es an der Zeit sei, auf diesem Wege innezuhalten; und die reine Annexion an Preußen zählt weniger Anhänger in den kleinen Staaten, seit dieselben, gut¬ willig oder gezwungen, in den Nordbund eingetreten sind. Ihre Hauptstädte wissen, was sie verlieren, wenn sie preußische Unterpräfecturen würden. Selbst die Universitäten, die immer den Hauptheerd für die Einheitsidee bildeten, wollen nicht vor Berlin die Flagge streichen. In den kleinen Truppentheilen wird man Gefühlen geheimen Grolls oder eifersüchtigen Neides gegen die preußische Armee begegnen. Das zahlreiche Verwaltungspersonal endlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/134
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/134>, abgerufen am 02.10.2024.