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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Prestigium des Erfolgs, das Recht des Sieges, das Vertrauen in die Zu¬
kunft und die äußerste Zersplitterung aller ihm entgegenstehenden Elemente.
Der Triumph des Grafen v. Bismarck hat die Parteien nicht nur in Preu¬
ßen, sondern in ganz Deutschland desorganisirt. Dieser Minister hat damit
angefangen, den Boden seiner eigenen Partei zu untergraben. Er, der das
allgemeine Stimmrecht wiederherstellt, der zuweilen von den Rechten der
Nationen spricht, und der Italien die Hand zu reichen gewagt hat, war
der erklärte Chef der Feudalpartei und der Junker. Man begreift das Ent¬
setzen der preußischen Legitimisten über die Politik ihrers Führers; aber da
der Gehorsam gegen den König ihr oberster Grundsatz ist, so blieb ihnen,
nachdem einmal der König den Grafen hielt, nichts übrig, als ihm zu folgen.
Feindlich allem, was sie mit dem Geschlechtsnamen "Revolutionär" bezeichnen,
feindlich dem Königreich Italien, feindlich den Vergrößerungen Preußens,
die ihren Partikulareinfluß schwächen müssen, sahen sie sich durch denselben
Mann zur Ohnmacht verurtheilt, den sie zur Macht gehoben hatten. . err
v. Bismarck warte" sich darauf gegen die liberale Partei und entriß ihr die
Waffe, mit der sie ihn bis dahin bekämpft hatte. Drei Jahre lang hatte er
der Kammer der Deputirten mit ihrer Majorität von Liberalen die Stirn
geboten. Diese hatte dem Minister, der ihre konstitutionellen Privilegien
mit Füßen trat, nur mit leeren Redensarten geantwortet. Nachdem er so
der Welt gezeigt hatte, wie schwach die liberale Partei im Handeln sei, ersah
er eines schönen Tages seinen Vortheil. Er hatte die liberalen Ideen als
eine Manie erkannt, deren Opfer das 19. Jahrhundert ist, aber er sah auch
die Nothwendigkeit ein, dieser Manie zu schmeicheln, und er wählte dazu die
Stunde, des Triumphes. Kurz nach dem Tage von Sadowa, als das Land,
noch in der Aufregung über die kriegerischen Eindrücke, denselben Männern,
welche bis dahin am standhaftesten sür seine Rechte eingetreten waren, seine
Stimmen entzogen hatte, brachte er eine Jndemnitätsbill vor das Parla¬
ment. Durch nachträgliche Erweisung einer schuldigen Rücksicht erkaufte sich
der preußische Minister die Dienstbarkeit seiner alten Gegner. Die Bill
wurde votirt und noch eine reiche Dotation für den Minister dazu. Auf
diesem Wege weiter gehend, appellirte Herr v. Bismarck kühn an das all¬
gemeine Stimmrecht bezüglich der Wahl einer Constituante. Mit dem Schlag
waren die Liberalen entwaffnet. Durch ihre unfruchtbaren und abstracten
Discussionen daran gewöhnt, nicht mehr die Form der Prinzipien von ihrem
Wesen zu unterscheiden, hatten sie Worte, wie "allgemeines Stimmrecht"
und "deutsche Einheit" soviel gemißbraucht, daß sie all das Verfängliche im
Vorgehen des. ersten preußischen Ministers für sie nicht mehr bemerkten. Die
Partei, welche sich den Namen der liberalen und nationalen gab, fand sich
fast ganz in fein Fahrwasser gezogen. Die weit verbreitete Association des


Prestigium des Erfolgs, das Recht des Sieges, das Vertrauen in die Zu¬
kunft und die äußerste Zersplitterung aller ihm entgegenstehenden Elemente.
Der Triumph des Grafen v. Bismarck hat die Parteien nicht nur in Preu¬
ßen, sondern in ganz Deutschland desorganisirt. Dieser Minister hat damit
angefangen, den Boden seiner eigenen Partei zu untergraben. Er, der das
allgemeine Stimmrecht wiederherstellt, der zuweilen von den Rechten der
Nationen spricht, und der Italien die Hand zu reichen gewagt hat, war
der erklärte Chef der Feudalpartei und der Junker. Man begreift das Ent¬
setzen der preußischen Legitimisten über die Politik ihrers Führers; aber da
der Gehorsam gegen den König ihr oberster Grundsatz ist, so blieb ihnen,
nachdem einmal der König den Grafen hielt, nichts übrig, als ihm zu folgen.
Feindlich allem, was sie mit dem Geschlechtsnamen „Revolutionär" bezeichnen,
feindlich dem Königreich Italien, feindlich den Vergrößerungen Preußens,
die ihren Partikulareinfluß schwächen müssen, sahen sie sich durch denselben
Mann zur Ohnmacht verurtheilt, den sie zur Macht gehoben hatten. . err
v. Bismarck warte« sich darauf gegen die liberale Partei und entriß ihr die
Waffe, mit der sie ihn bis dahin bekämpft hatte. Drei Jahre lang hatte er
der Kammer der Deputirten mit ihrer Majorität von Liberalen die Stirn
geboten. Diese hatte dem Minister, der ihre konstitutionellen Privilegien
mit Füßen trat, nur mit leeren Redensarten geantwortet. Nachdem er so
der Welt gezeigt hatte, wie schwach die liberale Partei im Handeln sei, ersah
er eines schönen Tages seinen Vortheil. Er hatte die liberalen Ideen als
eine Manie erkannt, deren Opfer das 19. Jahrhundert ist, aber er sah auch
die Nothwendigkeit ein, dieser Manie zu schmeicheln, und er wählte dazu die
Stunde, des Triumphes. Kurz nach dem Tage von Sadowa, als das Land,
noch in der Aufregung über die kriegerischen Eindrücke, denselben Männern,
welche bis dahin am standhaftesten sür seine Rechte eingetreten waren, seine
Stimmen entzogen hatte, brachte er eine Jndemnitätsbill vor das Parla¬
ment. Durch nachträgliche Erweisung einer schuldigen Rücksicht erkaufte sich
der preußische Minister die Dienstbarkeit seiner alten Gegner. Die Bill
wurde votirt und noch eine reiche Dotation für den Minister dazu. Auf
diesem Wege weiter gehend, appellirte Herr v. Bismarck kühn an das all¬
gemeine Stimmrecht bezüglich der Wahl einer Constituante. Mit dem Schlag
waren die Liberalen entwaffnet. Durch ihre unfruchtbaren und abstracten
Discussionen daran gewöhnt, nicht mehr die Form der Prinzipien von ihrem
Wesen zu unterscheiden, hatten sie Worte, wie „allgemeines Stimmrecht"
und „deutsche Einheit" soviel gemißbraucht, daß sie all das Verfängliche im
Vorgehen des. ersten preußischen Ministers für sie nicht mehr bemerkten. Die
Partei, welche sich den Namen der liberalen und nationalen gab, fand sich
fast ganz in fein Fahrwasser gezogen. Die weit verbreitete Association des


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[0133] Prestigium des Erfolgs, das Recht des Sieges, das Vertrauen in die Zu¬ kunft und die äußerste Zersplitterung aller ihm entgegenstehenden Elemente. Der Triumph des Grafen v. Bismarck hat die Parteien nicht nur in Preu¬ ßen, sondern in ganz Deutschland desorganisirt. Dieser Minister hat damit angefangen, den Boden seiner eigenen Partei zu untergraben. Er, der das allgemeine Stimmrecht wiederherstellt, der zuweilen von den Rechten der Nationen spricht, und der Italien die Hand zu reichen gewagt hat, war der erklärte Chef der Feudalpartei und der Junker. Man begreift das Ent¬ setzen der preußischen Legitimisten über die Politik ihrers Führers; aber da der Gehorsam gegen den König ihr oberster Grundsatz ist, so blieb ihnen, nachdem einmal der König den Grafen hielt, nichts übrig, als ihm zu folgen. Feindlich allem, was sie mit dem Geschlechtsnamen „Revolutionär" bezeichnen, feindlich dem Königreich Italien, feindlich den Vergrößerungen Preußens, die ihren Partikulareinfluß schwächen müssen, sahen sie sich durch denselben Mann zur Ohnmacht verurtheilt, den sie zur Macht gehoben hatten. . err v. Bismarck warte« sich darauf gegen die liberale Partei und entriß ihr die Waffe, mit der sie ihn bis dahin bekämpft hatte. Drei Jahre lang hatte er der Kammer der Deputirten mit ihrer Majorität von Liberalen die Stirn geboten. Diese hatte dem Minister, der ihre konstitutionellen Privilegien mit Füßen trat, nur mit leeren Redensarten geantwortet. Nachdem er so der Welt gezeigt hatte, wie schwach die liberale Partei im Handeln sei, ersah er eines schönen Tages seinen Vortheil. Er hatte die liberalen Ideen als eine Manie erkannt, deren Opfer das 19. Jahrhundert ist, aber er sah auch die Nothwendigkeit ein, dieser Manie zu schmeicheln, und er wählte dazu die Stunde, des Triumphes. Kurz nach dem Tage von Sadowa, als das Land, noch in der Aufregung über die kriegerischen Eindrücke, denselben Männern, welche bis dahin am standhaftesten sür seine Rechte eingetreten waren, seine Stimmen entzogen hatte, brachte er eine Jndemnitätsbill vor das Parla¬ ment. Durch nachträgliche Erweisung einer schuldigen Rücksicht erkaufte sich der preußische Minister die Dienstbarkeit seiner alten Gegner. Die Bill wurde votirt und noch eine reiche Dotation für den Minister dazu. Auf diesem Wege weiter gehend, appellirte Herr v. Bismarck kühn an das all¬ gemeine Stimmrecht bezüglich der Wahl einer Constituante. Mit dem Schlag waren die Liberalen entwaffnet. Durch ihre unfruchtbaren und abstracten Discussionen daran gewöhnt, nicht mehr die Form der Prinzipien von ihrem Wesen zu unterscheiden, hatten sie Worte, wie „allgemeines Stimmrecht" und „deutsche Einheit" soviel gemißbraucht, daß sie all das Verfängliche im Vorgehen des. ersten preußischen Ministers für sie nicht mehr bemerkten. Die Partei, welche sich den Namen der liberalen und nationalen gab, fand sich fast ganz in fein Fahrwasser gezogen. Die weit verbreitete Association des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/133>, abgerufen am 24.08.2024.