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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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doch in den Händen eines wesentlich aristokratischen Offiziercorps ist -- ein
Gouvernement, thätig und intelligent, aber voll Vorliebe für Förmlichkeit
und Despotismus, und sehr geneigt, dem Banner der Cäsarischen Schule zu
folgen; denn das preußische Volk, durch Volksbildung das erste Europas,
dabei thätig und betriebsam und in hohem Grade von Associationsgeist er¬
füllt, denkt nicht daran, sich einmüthig mit einer Regierung zu fühlen, die
so wenig mit feinem eigentlichen Wesen und seinen Instincten übereinstimmt.

Unsere künftigen Beziehungen zu dem mächtigsten Nachbarvolke Frank¬
reichs hängen von der Art der Lösung dieser Frage zwischen Preußen und
Deutschland ab. Ein Deutschland, in welchem Preußen aufgegangen, würde
eine Nation im Centrum Europa's sein, welche von ihren Interessen, ihren
Gewohnheiten und Ideen, zur Ausübung liberaler Institutionen geleitet
wird, ja welche uns vielleicht das Beispiel dazu geben und uns sicher mit
Mer folgen wird, wenn wir so glücklich sind, ihm darin voranzugehen; es
7"-de in socialer Hinsicht ein Staatskörper sein, der alle nothwendigen Ele-
m -e besitzt, um ein Volk frei zu machen, und der doch zu verschiedenartige
Interessen in sich schließt, um jemals angreifend zu werden; eine Nation, die
vielleicht militärischer und doch weniger kriegerisch ist, als wir. Die innere
Entwicklung ihres Gedeihens, die äußere Anerkennung ihres berechtigten
Einflusses, kann mit der Zeit eine Bürgschaft des Friedens werden. Ich
glaube, daß wir dies mit Freuden acceptiren müssen, selbst wenn wir ein
wenig die alte Zerstücklung Deutschlands vermissen sollten. Auf alle Fälle
müssen wir dieser Combination den Vorzug vor einer einfachen Theilung
Deutschlands zwischen Preußen und Oestreich einräumen; eine solche Theilung
würde uns zu Nachbarstaaten zwei Mächte gegeben haben, die immer bereit
gewesen wären, uns in ihre Streitigkeiten zu verflechten, um uns, aus gegen¬
seitiger Furcht, weniger deutsch als die andere zu erscheinen, alsbald wieder
zu verlassen und schließlich gegen uns sich zu vereinigen.

Ein Preußen, in welchem Deutschland aufgegangen, würde dagegen den
in Central-Europa etablirten Cäsarismus bedeuten. Schon die Schwerkraft
eines solchen Regiments, sein Gegensatz zu dem eigentlichen deutschen Wesen,
seine Verletzung zahlreicher Interessen, die Nothwendigkeit, die wirklich libe¬
ralen Bestrebungen durch übertriebene Concessionen an das Nationalgefühl
einzuschläfern, Alles wird es nöthigen, nach außen eine beunruhigende, drohende,
angreifende Politik zu verfolgen. Es wird zu gleicher Zeit eine permanente
Gefahr für den Frieden Europa's und ein harter Schlag für die liberale
Sache sein.

In welchem Sinne wird diese Frage beantwortet werden? Ohne der künf¬
tigen Lösung dieser Frage vorgreifen zu wollen, kann man sie doch in ihre
verschiedenen Elemente zerlegen. Das preußische System hat für sich: das


doch in den Händen eines wesentlich aristokratischen Offiziercorps ist — ein
Gouvernement, thätig und intelligent, aber voll Vorliebe für Förmlichkeit
und Despotismus, und sehr geneigt, dem Banner der Cäsarischen Schule zu
folgen; denn das preußische Volk, durch Volksbildung das erste Europas,
dabei thätig und betriebsam und in hohem Grade von Associationsgeist er¬
füllt, denkt nicht daran, sich einmüthig mit einer Regierung zu fühlen, die
so wenig mit feinem eigentlichen Wesen und seinen Instincten übereinstimmt.

Unsere künftigen Beziehungen zu dem mächtigsten Nachbarvolke Frank¬
reichs hängen von der Art der Lösung dieser Frage zwischen Preußen und
Deutschland ab. Ein Deutschland, in welchem Preußen aufgegangen, würde
eine Nation im Centrum Europa's sein, welche von ihren Interessen, ihren
Gewohnheiten und Ideen, zur Ausübung liberaler Institutionen geleitet
wird, ja welche uns vielleicht das Beispiel dazu geben und uns sicher mit
Mer folgen wird, wenn wir so glücklich sind, ihm darin voranzugehen; es
7"-de in socialer Hinsicht ein Staatskörper sein, der alle nothwendigen Ele-
m -e besitzt, um ein Volk frei zu machen, und der doch zu verschiedenartige
Interessen in sich schließt, um jemals angreifend zu werden; eine Nation, die
vielleicht militärischer und doch weniger kriegerisch ist, als wir. Die innere
Entwicklung ihres Gedeihens, die äußere Anerkennung ihres berechtigten
Einflusses, kann mit der Zeit eine Bürgschaft des Friedens werden. Ich
glaube, daß wir dies mit Freuden acceptiren müssen, selbst wenn wir ein
wenig die alte Zerstücklung Deutschlands vermissen sollten. Auf alle Fälle
müssen wir dieser Combination den Vorzug vor einer einfachen Theilung
Deutschlands zwischen Preußen und Oestreich einräumen; eine solche Theilung
würde uns zu Nachbarstaaten zwei Mächte gegeben haben, die immer bereit
gewesen wären, uns in ihre Streitigkeiten zu verflechten, um uns, aus gegen¬
seitiger Furcht, weniger deutsch als die andere zu erscheinen, alsbald wieder
zu verlassen und schließlich gegen uns sich zu vereinigen.

Ein Preußen, in welchem Deutschland aufgegangen, würde dagegen den
in Central-Europa etablirten Cäsarismus bedeuten. Schon die Schwerkraft
eines solchen Regiments, sein Gegensatz zu dem eigentlichen deutschen Wesen,
seine Verletzung zahlreicher Interessen, die Nothwendigkeit, die wirklich libe¬
ralen Bestrebungen durch übertriebene Concessionen an das Nationalgefühl
einzuschläfern, Alles wird es nöthigen, nach außen eine beunruhigende, drohende,
angreifende Politik zu verfolgen. Es wird zu gleicher Zeit eine permanente
Gefahr für den Frieden Europa's und ein harter Schlag für die liberale
Sache sein.

In welchem Sinne wird diese Frage beantwortet werden? Ohne der künf¬
tigen Lösung dieser Frage vorgreifen zu wollen, kann man sie doch in ihre
verschiedenen Elemente zerlegen. Das preußische System hat für sich: das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/132>, abgerufen am 02.10.2024.