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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Daher seine Popularität. Die holsteinische Frage, die bis dahin in ein juri¬
disches Gewölk gehüllt gewesen war, wurde ohne weiteres als Gegenstand
des nationalen Ehrgeizes hingestellt und gegen die Protestationen von fast
ganz Europa durch Gewalt entschieden. Gleichgiltig gegen eine so seltsame
Art, zu verfahren, begrüßten die Deutschen diese gewaltsame Lösung der
Frage als eine eklatante Revanche für die Verträge von 1856 und 18S9.
Von da an gab es also eine deutsche Politik, aber wer sollte ihr Repräsen¬
tantsein? Oestreich, ebenso ehrgeizig, aber weniger geschickt, als Preußen,
beanspruchte diese Rolle. Um sie seinem Rivalen nicht zu überlassen, hatte
es auf Fortsetzung des Kampfes nach Solferino verzichtet, hatte es später
in Frankfurt einen großen Anlauf genommen, sich selbst an die Spitze der Ein¬
heitsbewegung zu stellen. Im Jahr 1864 hatte es sich mit Preußen dahin ver¬
ständigt, den deutschen Bundestag abzuwerfen, wie einen Mantel, der zu ab¬
genutzt ist, um fortan die beiden Athleten zu bedecken, die sich unter seinen '
Falten bekämpften. Der Moment war gekommen, wo das unvermeidli^
Duell langsam zum Austrag kommen mußte. Von diesem Tage an, dem
Tage, wo die beiden Gegner sich Mann gegen Mann stellten, sank das Ge¬
bäude des deutschen Bundes, unter ihren Schlägen erschüttert, zu Boden,
der Tag von Sadowa brach definitiv das Gleichgewicht, auf welchem alle
deutschen Angelegenheiten bis dahin begründet gewesen waren. Seitdem
hat Herr von Bismarck den Deutschen geben können, was ihr Ehrgeiz über
alles ersehnte: die Genugthuung, sich in Europa mitgezählt zu sehen. Der
Preußische Hochmuth im Benehmen, der den Deutschen selbst unerträglich ist,
wenn sie ihn zu ertragen haben, schmeichelt ihrem Stolze, wenn sie ihn gegen
das Ausland gerichtet sehen. Ehemals fühlte sich der Bewohner Thüringens
oder der reußischen Fürstenthümer in Gegenwart eines Franzosen oder eines
Russen gedemüthigt; es schien ihm, als ob diese sich um die ganze Größe
ihres Landes über ihn erhöben. Heutzutage, wenn er auch eine unbestimmte
und poetische Vorliebe für sein "engeres Vaterland" bewahrt, ist er doch
stolz darauf, die Last einer Bundesregierung tragen zu helfen, die einflu߬
reich im Rathe Europas ist. Er hält sich persönlich um soviel würdiger,
Achtung, Respect und Furcht einzuflößen. Selbst diejenigen, welche bei der
Bildung des neuen Bundes am meisten verloren haben, theilen dieses Ge¬
fühl, und es versüßt ihnen die bittersten Opfer.

Die Einheit Deutschlands kann daher als durchgesetzt angesehen werden.
Aber wird Preußen in Deutschland, oder Deutschland in Preußen aufgehen?
Das ist einfach die wichtige Frage, auf die es jetzt ankommt. Unter Preußen
ist hier das preußische Gouvernement zu verstehen, jenes Gouvernement mit
seinen bureaukratischen Ueberlieferungen und seinem alten Erbtheil an Abso¬
lutismus, mit seiner Armee, die, obgleich in demokratischer Weise rekrutirt,


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Daher seine Popularität. Die holsteinische Frage, die bis dahin in ein juri¬
disches Gewölk gehüllt gewesen war, wurde ohne weiteres als Gegenstand
des nationalen Ehrgeizes hingestellt und gegen die Protestationen von fast
ganz Europa durch Gewalt entschieden. Gleichgiltig gegen eine so seltsame
Art, zu verfahren, begrüßten die Deutschen diese gewaltsame Lösung der
Frage als eine eklatante Revanche für die Verträge von 1856 und 18S9.
Von da an gab es also eine deutsche Politik, aber wer sollte ihr Repräsen¬
tantsein? Oestreich, ebenso ehrgeizig, aber weniger geschickt, als Preußen,
beanspruchte diese Rolle. Um sie seinem Rivalen nicht zu überlassen, hatte
es auf Fortsetzung des Kampfes nach Solferino verzichtet, hatte es später
in Frankfurt einen großen Anlauf genommen, sich selbst an die Spitze der Ein¬
heitsbewegung zu stellen. Im Jahr 1864 hatte es sich mit Preußen dahin ver¬
ständigt, den deutschen Bundestag abzuwerfen, wie einen Mantel, der zu ab¬
genutzt ist, um fortan die beiden Athleten zu bedecken, die sich unter seinen '
Falten bekämpften. Der Moment war gekommen, wo das unvermeidli^
Duell langsam zum Austrag kommen mußte. Von diesem Tage an, dem
Tage, wo die beiden Gegner sich Mann gegen Mann stellten, sank das Ge¬
bäude des deutschen Bundes, unter ihren Schlägen erschüttert, zu Boden,
der Tag von Sadowa brach definitiv das Gleichgewicht, auf welchem alle
deutschen Angelegenheiten bis dahin begründet gewesen waren. Seitdem
hat Herr von Bismarck den Deutschen geben können, was ihr Ehrgeiz über
alles ersehnte: die Genugthuung, sich in Europa mitgezählt zu sehen. Der
Preußische Hochmuth im Benehmen, der den Deutschen selbst unerträglich ist,
wenn sie ihn zu ertragen haben, schmeichelt ihrem Stolze, wenn sie ihn gegen
das Ausland gerichtet sehen. Ehemals fühlte sich der Bewohner Thüringens
oder der reußischen Fürstenthümer in Gegenwart eines Franzosen oder eines
Russen gedemüthigt; es schien ihm, als ob diese sich um die ganze Größe
ihres Landes über ihn erhöben. Heutzutage, wenn er auch eine unbestimmte
und poetische Vorliebe für sein „engeres Vaterland" bewahrt, ist er doch
stolz darauf, die Last einer Bundesregierung tragen zu helfen, die einflu߬
reich im Rathe Europas ist. Er hält sich persönlich um soviel würdiger,
Achtung, Respect und Furcht einzuflößen. Selbst diejenigen, welche bei der
Bildung des neuen Bundes am meisten verloren haben, theilen dieses Ge¬
fühl, und es versüßt ihnen die bittersten Opfer.

Die Einheit Deutschlands kann daher als durchgesetzt angesehen werden.
Aber wird Preußen in Deutschland, oder Deutschland in Preußen aufgehen?
Das ist einfach die wichtige Frage, auf die es jetzt ankommt. Unter Preußen
ist hier das preußische Gouvernement zu verstehen, jenes Gouvernement mit
seinen bureaukratischen Ueberlieferungen und seinem alten Erbtheil an Abso¬
lutismus, mit seiner Armee, die, obgleich in demokratischer Weise rekrutirt,


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[0131] Daher seine Popularität. Die holsteinische Frage, die bis dahin in ein juri¬ disches Gewölk gehüllt gewesen war, wurde ohne weiteres als Gegenstand des nationalen Ehrgeizes hingestellt und gegen die Protestationen von fast ganz Europa durch Gewalt entschieden. Gleichgiltig gegen eine so seltsame Art, zu verfahren, begrüßten die Deutschen diese gewaltsame Lösung der Frage als eine eklatante Revanche für die Verträge von 1856 und 18S9. Von da an gab es also eine deutsche Politik, aber wer sollte ihr Repräsen¬ tantsein? Oestreich, ebenso ehrgeizig, aber weniger geschickt, als Preußen, beanspruchte diese Rolle. Um sie seinem Rivalen nicht zu überlassen, hatte es auf Fortsetzung des Kampfes nach Solferino verzichtet, hatte es später in Frankfurt einen großen Anlauf genommen, sich selbst an die Spitze der Ein¬ heitsbewegung zu stellen. Im Jahr 1864 hatte es sich mit Preußen dahin ver¬ ständigt, den deutschen Bundestag abzuwerfen, wie einen Mantel, der zu ab¬ genutzt ist, um fortan die beiden Athleten zu bedecken, die sich unter seinen ' Falten bekämpften. Der Moment war gekommen, wo das unvermeidli^ Duell langsam zum Austrag kommen mußte. Von diesem Tage an, dem Tage, wo die beiden Gegner sich Mann gegen Mann stellten, sank das Ge¬ bäude des deutschen Bundes, unter ihren Schlägen erschüttert, zu Boden, der Tag von Sadowa brach definitiv das Gleichgewicht, auf welchem alle deutschen Angelegenheiten bis dahin begründet gewesen waren. Seitdem hat Herr von Bismarck den Deutschen geben können, was ihr Ehrgeiz über alles ersehnte: die Genugthuung, sich in Europa mitgezählt zu sehen. Der Preußische Hochmuth im Benehmen, der den Deutschen selbst unerträglich ist, wenn sie ihn zu ertragen haben, schmeichelt ihrem Stolze, wenn sie ihn gegen das Ausland gerichtet sehen. Ehemals fühlte sich der Bewohner Thüringens oder der reußischen Fürstenthümer in Gegenwart eines Franzosen oder eines Russen gedemüthigt; es schien ihm, als ob diese sich um die ganze Größe ihres Landes über ihn erhöben. Heutzutage, wenn er auch eine unbestimmte und poetische Vorliebe für sein „engeres Vaterland" bewahrt, ist er doch stolz darauf, die Last einer Bundesregierung tragen zu helfen, die einflu߬ reich im Rathe Europas ist. Er hält sich persönlich um soviel würdiger, Achtung, Respect und Furcht einzuflößen. Selbst diejenigen, welche bei der Bildung des neuen Bundes am meisten verloren haben, theilen dieses Ge¬ fühl, und es versüßt ihnen die bittersten Opfer. Die Einheit Deutschlands kann daher als durchgesetzt angesehen werden. Aber wird Preußen in Deutschland, oder Deutschland in Preußen aufgehen? Das ist einfach die wichtige Frage, auf die es jetzt ankommt. Unter Preußen ist hier das preußische Gouvernement zu verstehen, jenes Gouvernement mit seinen bureaukratischen Ueberlieferungen und seinem alten Erbtheil an Abso¬ lutismus, mit seiner Armee, die, obgleich in demokratischer Weise rekrutirt, 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/131>, abgerufen am 24.08.2024.