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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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fürchtungen nicht länger in der blauen Luft bleiben zu müssen. Das Napo¬
leonische Regiment in Frankreich beschließt -- wenn man die Zeit.der
Präsidentschaft mit in Rechnung bringt -- nächstens das zweite Jahrzehnt
seiner Existenz und bereits fragt alle Welt, wo es die Mittel zur weiteren
Fristung seines Bestandes hernehmen wird. Wenn in andern Staaten das
hohe Alter einer Regierungsform als Grund für ihren ferneren Bestand
angesehen werden kann, so steht es in Frankreich gerade umgekehrt; seit
nahezu einem Jahrhundert hat sich keine Herrschaft in diesem Staat gleicher
Dauer rühmen können, wie die gegenwärtige, so jung dieselbe auch ist. Lud¬
wig XVI. saß 19 Jahre lang auf dem Throne, die Republik hat sich keine
12 Jahre erhalten, Napoleon hat durch 17 Jahre als Consul und Kaiser
regiert, der Restauration war eine fünfzehnjährige, dem Bürgerkönigthum
eine achtzehnjährige Lebensdauer beschieden. Das zweite Napoleonische Zeit"-
alter lebt seit Jahren von der Hand in den Mund, es hat den Cursus der
Abwechslungen, mit denen ein Volk unterhalten und beschäftigt werden kann,
so vollständig "durchschmaruzt", daß allgemach die verwegensten Pläne die
wahrscheinlichsten geworden sind. Und zu diesen wäre ein Krieg ohne Allianzen
zurechnen, obgleich Napoleon III. bisjetzt einem solchen hartnäckig aus dem
Wege gegangen ist. Während des Jahres 1867 war es die Möglichkeit
eines Bündnisses mit Oestreich, an welcher die Spekulanten der Baisse fest¬
hielten. Daß diese Aussicht seit den letzten Wochen entschieden in den Hinter¬
grund getreten ist, bildet das eigentliche Ereigniß, das den Jahreswechsel be¬
gleitet und hat den Conjecturalpolitikern die letzte Spanne Boden unter den
Füßen hinweggezogen.

Das öffentliche Austreten des neuen östreich. Ministeriums ist von
einer Reihe friedlicher Versicherungen begleitet, die das Gepräge innerer
Wahrheit tragen. Nicht daß das. Haus Habsburg-Lothringen plötzlich aus
seine alten Traditionen verzichtet und die Rechnung auf seine deutschen
Stützen für immer gestrichen hätte, -- das neue Ministerium, an dem das
Selbstvertrauen der östreichischen Monarchie erstarkt, braucht den Frie¬
den, wenn es Lebenskraft gewinnen soll und die regierende Dynastie braucht
dieses Ministerium. Die gegenwärtige Zusammensetzung des k. k. Cabinets
steht aber in so entschiedenem Gegensatz zu den Traditionen des östreichi¬
schen Staats, daß seine Stellung schon aus diesem Grunde eine beispiellos
schwierige genannt werden muß. An der Spitze der Geschäfte steht ein nord¬
deutscher Protestant, der nach östreichischen Begriffen ein halber Rotürier ist,
seine Collegen sind freisinnige Ungarn, die bereits einmal auf der Proscrip-
tionsliste gestanden haben und bürgerliche Juristen und Gelehrte ohne Familien¬
verbindungen und Vermögen, Fremdlinge in der Hofburg, die bei den Habitues
derselben nur auf Feindschaft und Mißgunst zu rechnen haben und der Auge-


fürchtungen nicht länger in der blauen Luft bleiben zu müssen. Das Napo¬
leonische Regiment in Frankreich beschließt — wenn man die Zeit.der
Präsidentschaft mit in Rechnung bringt — nächstens das zweite Jahrzehnt
seiner Existenz und bereits fragt alle Welt, wo es die Mittel zur weiteren
Fristung seines Bestandes hernehmen wird. Wenn in andern Staaten das
hohe Alter einer Regierungsform als Grund für ihren ferneren Bestand
angesehen werden kann, so steht es in Frankreich gerade umgekehrt; seit
nahezu einem Jahrhundert hat sich keine Herrschaft in diesem Staat gleicher
Dauer rühmen können, wie die gegenwärtige, so jung dieselbe auch ist. Lud¬
wig XVI. saß 19 Jahre lang auf dem Throne, die Republik hat sich keine
12 Jahre erhalten, Napoleon hat durch 17 Jahre als Consul und Kaiser
regiert, der Restauration war eine fünfzehnjährige, dem Bürgerkönigthum
eine achtzehnjährige Lebensdauer beschieden. Das zweite Napoleonische Zeit«-
alter lebt seit Jahren von der Hand in den Mund, es hat den Cursus der
Abwechslungen, mit denen ein Volk unterhalten und beschäftigt werden kann,
so vollständig „durchschmaruzt", daß allgemach die verwegensten Pläne die
wahrscheinlichsten geworden sind. Und zu diesen wäre ein Krieg ohne Allianzen
zurechnen, obgleich Napoleon III. bisjetzt einem solchen hartnäckig aus dem
Wege gegangen ist. Während des Jahres 1867 war es die Möglichkeit
eines Bündnisses mit Oestreich, an welcher die Spekulanten der Baisse fest¬
hielten. Daß diese Aussicht seit den letzten Wochen entschieden in den Hinter¬
grund getreten ist, bildet das eigentliche Ereigniß, das den Jahreswechsel be¬
gleitet und hat den Conjecturalpolitikern die letzte Spanne Boden unter den
Füßen hinweggezogen.

Das öffentliche Austreten des neuen östreich. Ministeriums ist von
einer Reihe friedlicher Versicherungen begleitet, die das Gepräge innerer
Wahrheit tragen. Nicht daß das. Haus Habsburg-Lothringen plötzlich aus
seine alten Traditionen verzichtet und die Rechnung auf seine deutschen
Stützen für immer gestrichen hätte, — das neue Ministerium, an dem das
Selbstvertrauen der östreichischen Monarchie erstarkt, braucht den Frie¬
den, wenn es Lebenskraft gewinnen soll und die regierende Dynastie braucht
dieses Ministerium. Die gegenwärtige Zusammensetzung des k. k. Cabinets
steht aber in so entschiedenem Gegensatz zu den Traditionen des östreichi¬
schen Staats, daß seine Stellung schon aus diesem Grunde eine beispiellos
schwierige genannt werden muß. An der Spitze der Geschäfte steht ein nord¬
deutscher Protestant, der nach östreichischen Begriffen ein halber Rotürier ist,
seine Collegen sind freisinnige Ungarn, die bereits einmal auf der Proscrip-
tionsliste gestanden haben und bürgerliche Juristen und Gelehrte ohne Familien¬
verbindungen und Vermögen, Fremdlinge in der Hofburg, die bei den Habitues
derselben nur auf Feindschaft und Mißgunst zu rechnen haben und der Auge-


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[0124] fürchtungen nicht länger in der blauen Luft bleiben zu müssen. Das Napo¬ leonische Regiment in Frankreich beschließt — wenn man die Zeit.der Präsidentschaft mit in Rechnung bringt — nächstens das zweite Jahrzehnt seiner Existenz und bereits fragt alle Welt, wo es die Mittel zur weiteren Fristung seines Bestandes hernehmen wird. Wenn in andern Staaten das hohe Alter einer Regierungsform als Grund für ihren ferneren Bestand angesehen werden kann, so steht es in Frankreich gerade umgekehrt; seit nahezu einem Jahrhundert hat sich keine Herrschaft in diesem Staat gleicher Dauer rühmen können, wie die gegenwärtige, so jung dieselbe auch ist. Lud¬ wig XVI. saß 19 Jahre lang auf dem Throne, die Republik hat sich keine 12 Jahre erhalten, Napoleon hat durch 17 Jahre als Consul und Kaiser regiert, der Restauration war eine fünfzehnjährige, dem Bürgerkönigthum eine achtzehnjährige Lebensdauer beschieden. Das zweite Napoleonische Zeit«- alter lebt seit Jahren von der Hand in den Mund, es hat den Cursus der Abwechslungen, mit denen ein Volk unterhalten und beschäftigt werden kann, so vollständig „durchschmaruzt", daß allgemach die verwegensten Pläne die wahrscheinlichsten geworden sind. Und zu diesen wäre ein Krieg ohne Allianzen zurechnen, obgleich Napoleon III. bisjetzt einem solchen hartnäckig aus dem Wege gegangen ist. Während des Jahres 1867 war es die Möglichkeit eines Bündnisses mit Oestreich, an welcher die Spekulanten der Baisse fest¬ hielten. Daß diese Aussicht seit den letzten Wochen entschieden in den Hinter¬ grund getreten ist, bildet das eigentliche Ereigniß, das den Jahreswechsel be¬ gleitet und hat den Conjecturalpolitikern die letzte Spanne Boden unter den Füßen hinweggezogen. Das öffentliche Austreten des neuen östreich. Ministeriums ist von einer Reihe friedlicher Versicherungen begleitet, die das Gepräge innerer Wahrheit tragen. Nicht daß das. Haus Habsburg-Lothringen plötzlich aus seine alten Traditionen verzichtet und die Rechnung auf seine deutschen Stützen für immer gestrichen hätte, — das neue Ministerium, an dem das Selbstvertrauen der östreichischen Monarchie erstarkt, braucht den Frie¬ den, wenn es Lebenskraft gewinnen soll und die regierende Dynastie braucht dieses Ministerium. Die gegenwärtige Zusammensetzung des k. k. Cabinets steht aber in so entschiedenem Gegensatz zu den Traditionen des östreichi¬ schen Staats, daß seine Stellung schon aus diesem Grunde eine beispiellos schwierige genannt werden muß. An der Spitze der Geschäfte steht ein nord¬ deutscher Protestant, der nach östreichischen Begriffen ein halber Rotürier ist, seine Collegen sind freisinnige Ungarn, die bereits einmal auf der Proscrip- tionsliste gestanden haben und bürgerliche Juristen und Gelehrte ohne Familien¬ verbindungen und Vermögen, Fremdlinge in der Hofburg, die bei den Habitues derselben nur auf Feindschaft und Mißgunst zu rechnen haben und der Auge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/124>, abgerufen am 24.08.2024.