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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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dung, in welcher Franz Joseph jung gewesen und alt geworden, für Ein¬
dringlinge gelten. Selbst aus die schwachen bureaukratischen Stützen, über
die Schmerling zu verfügen hatte, können die Männer kaum rechnen, von
denen das Volk erwartet, sie würden den alten Sauerteig der verrotteten
Beamtenwirthschaft ausfegen. Hof, Adel, Bureaukratie und Armee stehen
ihnen gleich fremd gegenüber und doch sind diese die Factoren, mit denen
im östreichischen Staatsleben an erster Stelle zu rechnen ist. Die Partei,
welche hinter den Giskra und Herbst steht, ist noch jung und undisciplinirt;
weder in Bezug auf die socialen Elemente, aus denen sie zusammengesetzt
ist, noch bezüglich ihres moralischen Einflusses kann sie auch nur mit der
Partei der preußischen Liberalen verglichen werden, aus deren Mitte die Mi"
nister unsrer Aera von 18S9 hervorgingen. Die Basis, auf welcher das
cisleithanische Cabinet steht, ist ausschließlich das Vertrauen des Volks.
Demokratischen Schwärmern muß es überlassen bleiben, diese für einen rv-
euer av bronss zu halten: wo mit realen Faktoren gerechnet wird, sagt man
sich, daß die Macht, über welche die neuen östreichischen Staatslenker zu ver¬
fügen haben, gerade darum eine äußerst geringe ist und erst erworben wer¬
den muß. Das Experiment, das Herr v. Beust mit dem Januarministerium
gemacht hat, ist ein so kühnes, daß Krone und Volk demselben mit gleich
hohen Erwartungen entgegentreten; das Volk verlangt den Ausbau einer demo¬
kratischen Verfassung und die Beseitigung von Schäden, welche so alt wie die
Monarchie sind und an denen Adepten der verschiedensten Art zu Schanden ge¬
worden sind, die Krone Wiederherstellung einer straffen innern Organisation
und der frühern Machtsphäre des Staats, Besserung der Finanzen und Er¬
höhung der Staatseinnahmen. Und diese hohen und kühnen Ziele sollen
erreicht werden, ohne daß die in das Ministerium gerufenen Männer auf
jene gute Meinung der Krone rechnen dürfen, welche die tausend Blößen,
die sich das Ministerium Belcredi gab, liebreich zudeckte, ohne jene Sicherheit
und Uebung in der Behandlung großer Geschäfte, die sich nur durch Erfah¬
rung gewinnen läßt und deren äußere Formen der herrschenden Classe überall
geläufiger sind, als dem Mittelstande, endlich ohne das Recht, außerordent¬
liche Opfer und Anstrengungen fordern zu dürfen. Mit dem Entschluß, die
deutsche Bourgeoisie an das Staatsruder zu stellen, glaubt die Krone sicher
das Uebermenschliche gethan, durch das Opfer ihrer Neigungen das Recht zu den
gespanntesten Anforderungen erkauft zu haben: wenn die bürgerlichen Minister
nicht sofort die Schwierigkeiten überwinden, zu deren Bekämpfung man sie an¬
geschafft hat, so hätte es ja bei den Grafen und Fürsten bleiben können, welche
die Natur selbst zu Staatsmännern bestimmt hat! Mißgriffe der Repräsentan¬
ten des alten Systems hatten nur die Kritik dilettantischer Parlamentsredner
und doktrinärer Journalisten zu fürchten; der erste Fehltritt der "neuen


dung, in welcher Franz Joseph jung gewesen und alt geworden, für Ein¬
dringlinge gelten. Selbst aus die schwachen bureaukratischen Stützen, über
die Schmerling zu verfügen hatte, können die Männer kaum rechnen, von
denen das Volk erwartet, sie würden den alten Sauerteig der verrotteten
Beamtenwirthschaft ausfegen. Hof, Adel, Bureaukratie und Armee stehen
ihnen gleich fremd gegenüber und doch sind diese die Factoren, mit denen
im östreichischen Staatsleben an erster Stelle zu rechnen ist. Die Partei,
welche hinter den Giskra und Herbst steht, ist noch jung und undisciplinirt;
weder in Bezug auf die socialen Elemente, aus denen sie zusammengesetzt
ist, noch bezüglich ihres moralischen Einflusses kann sie auch nur mit der
Partei der preußischen Liberalen verglichen werden, aus deren Mitte die Mi»
nister unsrer Aera von 18S9 hervorgingen. Die Basis, auf welcher das
cisleithanische Cabinet steht, ist ausschließlich das Vertrauen des Volks.
Demokratischen Schwärmern muß es überlassen bleiben, diese für einen rv-
euer av bronss zu halten: wo mit realen Faktoren gerechnet wird, sagt man
sich, daß die Macht, über welche die neuen östreichischen Staatslenker zu ver¬
fügen haben, gerade darum eine äußerst geringe ist und erst erworben wer¬
den muß. Das Experiment, das Herr v. Beust mit dem Januarministerium
gemacht hat, ist ein so kühnes, daß Krone und Volk demselben mit gleich
hohen Erwartungen entgegentreten; das Volk verlangt den Ausbau einer demo¬
kratischen Verfassung und die Beseitigung von Schäden, welche so alt wie die
Monarchie sind und an denen Adepten der verschiedensten Art zu Schanden ge¬
worden sind, die Krone Wiederherstellung einer straffen innern Organisation
und der frühern Machtsphäre des Staats, Besserung der Finanzen und Er¬
höhung der Staatseinnahmen. Und diese hohen und kühnen Ziele sollen
erreicht werden, ohne daß die in das Ministerium gerufenen Männer auf
jene gute Meinung der Krone rechnen dürfen, welche die tausend Blößen,
die sich das Ministerium Belcredi gab, liebreich zudeckte, ohne jene Sicherheit
und Uebung in der Behandlung großer Geschäfte, die sich nur durch Erfah¬
rung gewinnen läßt und deren äußere Formen der herrschenden Classe überall
geläufiger sind, als dem Mittelstande, endlich ohne das Recht, außerordent¬
liche Opfer und Anstrengungen fordern zu dürfen. Mit dem Entschluß, die
deutsche Bourgeoisie an das Staatsruder zu stellen, glaubt die Krone sicher
das Uebermenschliche gethan, durch das Opfer ihrer Neigungen das Recht zu den
gespanntesten Anforderungen erkauft zu haben: wenn die bürgerlichen Minister
nicht sofort die Schwierigkeiten überwinden, zu deren Bekämpfung man sie an¬
geschafft hat, so hätte es ja bei den Grafen und Fürsten bleiben können, welche
die Natur selbst zu Staatsmännern bestimmt hat! Mißgriffe der Repräsentan¬
ten des alten Systems hatten nur die Kritik dilettantischer Parlamentsredner
und doktrinärer Journalisten zu fürchten; der erste Fehltritt der „neuen


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[0125] dung, in welcher Franz Joseph jung gewesen und alt geworden, für Ein¬ dringlinge gelten. Selbst aus die schwachen bureaukratischen Stützen, über die Schmerling zu verfügen hatte, können die Männer kaum rechnen, von denen das Volk erwartet, sie würden den alten Sauerteig der verrotteten Beamtenwirthschaft ausfegen. Hof, Adel, Bureaukratie und Armee stehen ihnen gleich fremd gegenüber und doch sind diese die Factoren, mit denen im östreichischen Staatsleben an erster Stelle zu rechnen ist. Die Partei, welche hinter den Giskra und Herbst steht, ist noch jung und undisciplinirt; weder in Bezug auf die socialen Elemente, aus denen sie zusammengesetzt ist, noch bezüglich ihres moralischen Einflusses kann sie auch nur mit der Partei der preußischen Liberalen verglichen werden, aus deren Mitte die Mi» nister unsrer Aera von 18S9 hervorgingen. Die Basis, auf welcher das cisleithanische Cabinet steht, ist ausschließlich das Vertrauen des Volks. Demokratischen Schwärmern muß es überlassen bleiben, diese für einen rv- euer av bronss zu halten: wo mit realen Faktoren gerechnet wird, sagt man sich, daß die Macht, über welche die neuen östreichischen Staatslenker zu ver¬ fügen haben, gerade darum eine äußerst geringe ist und erst erworben wer¬ den muß. Das Experiment, das Herr v. Beust mit dem Januarministerium gemacht hat, ist ein so kühnes, daß Krone und Volk demselben mit gleich hohen Erwartungen entgegentreten; das Volk verlangt den Ausbau einer demo¬ kratischen Verfassung und die Beseitigung von Schäden, welche so alt wie die Monarchie sind und an denen Adepten der verschiedensten Art zu Schanden ge¬ worden sind, die Krone Wiederherstellung einer straffen innern Organisation und der frühern Machtsphäre des Staats, Besserung der Finanzen und Er¬ höhung der Staatseinnahmen. Und diese hohen und kühnen Ziele sollen erreicht werden, ohne daß die in das Ministerium gerufenen Männer auf jene gute Meinung der Krone rechnen dürfen, welche die tausend Blößen, die sich das Ministerium Belcredi gab, liebreich zudeckte, ohne jene Sicherheit und Uebung in der Behandlung großer Geschäfte, die sich nur durch Erfah¬ rung gewinnen läßt und deren äußere Formen der herrschenden Classe überall geläufiger sind, als dem Mittelstande, endlich ohne das Recht, außerordent¬ liche Opfer und Anstrengungen fordern zu dürfen. Mit dem Entschluß, die deutsche Bourgeoisie an das Staatsruder zu stellen, glaubt die Krone sicher das Uebermenschliche gethan, durch das Opfer ihrer Neigungen das Recht zu den gespanntesten Anforderungen erkauft zu haben: wenn die bürgerlichen Minister nicht sofort die Schwierigkeiten überwinden, zu deren Bekämpfung man sie an¬ geschafft hat, so hätte es ja bei den Grafen und Fürsten bleiben können, welche die Natur selbst zu Staatsmännern bestimmt hat! Mißgriffe der Repräsentan¬ ten des alten Systems hatten nur die Kritik dilettantischer Parlamentsredner und doktrinärer Journalisten zu fürchten; der erste Fehltritt der „neuen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/125>, abgerufen am 24.08.2024.