Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Avantgarde selbst abgeschnitten, sondern wäre auch den von Mittel-Pöllnitz
sich nach der Saale zurückziehenden Sachsen in die Flanke gekommen. Wenn
also wirklich der Befehl ertheilt wurde, Saalfeld (das man doch gleich zu An¬
fang durch ein Bataillon Müffling besetzt gehabt hatte), ganz aufzugeben, so
kann er nur daraus erklärt werden, daß Hohenlohe die Bedeutung des Punktes
nicht erkannt hatte oder daß er an die Schnelligkeit des Feindes nicht hatte
glauben wollen. Allein dieser war nun heran, und man darf sagen, daß der
Entschluß des Prinzen das Unheil, welches nothwendig eintreten mußte, so
weit möglich gemindert hat. Man braucht hier gar nicht zu theorelisireu; man
darf nur den Feind über die Bedeutung von Saalfeld vernehmen. um zu be¬
messen, welchen Werth der Besitz dieses Punktes auch für die Preußen haben
mußte. Ganz bestimmt erwartet Napoleon dort auf Widerstand zu treffen,
und er giebt den Marschällen Lannes und Augereau in dieser Voraussetzung
die vorsichtigsten Jnstructionen; jedenfalls soll Saalfeld genommen werden, und
zum allermindesten rechnet er darauf, dort ein Corps von 15,000--18.000
Preußen zu finden. Sollte er es nicht am Ende lieber ohne Schwertstreich
genommen haben, als gegen die sehr beträchtlichen Verluste, die ihm der Prinz
beibrachte? Nicht also daß dieser das dem Feinde so wichtige Saalfeld zu
halten suchte -- mochte er sich doch auch erinnern, daß man im siebenjährigen
Kriege zweimal von da aus einen überlegenen Feind in die Berge zurückge¬
trieben -- nicht dies also war der Fehler, sondern daß es der Fürst nicht mit
allen Kräften hielt. Der Prinz hat sich für die Armee geopfert, ja. er ist
geopfert worden.

Denn warum -- fragen wir nun -- sind seitens des jenaischen Haupt¬
quartiers die Maßregeln nicht ergriffen worden, die das Verderben des Tages
wenden konnten? Warum benachrichtigte man den Prinzen nicht bei Zeiten,
daß die Hauptarmee, auf welche er rechnete, nicht sobald heran sein könne, als
er nach den erst empfangenen Nachrichten voraussetzen mußte? Warum kam
ihm Grawcrt, der bei Orlamünde hielt, nicht zu Hilfe? Warum ging er ihm
nicht einmal entgegen, wenn sich doch der Prinz auf ihn zurückziehen sollte?
Warum schickte der Fürst nicht selbst Truppen vor. da er doch, neben Grawert
stehend, die Kanonade von Saalfeld hörte? Vielleicht, weil man in Orlamünde
ohne alle Reiterei, weil die schlechtverpslegte Armee durch confuse Eilmärsche
erschöpft war? Wohl, aber so waren dies Fehler des Fürsten, nicht des Prin¬
zen. Dieser konnte kein anderes Bewußtsein als das strenger Pflichterfüllung
haben, wenn er Saalfeld zu halten versuchte.

Er leitete, auf Unterstützung wartend, sein Gefecht mit der größten Be¬
sonnenheit und Kaltblütigkeit. Leider kannte er das Terrain nicht genau; aber
daß er es nicht hatte kennen lernen können, war wieder die Schuld Hohenlvbcs.
der ihn vor dem 8. Octover Abends nicht hatte zu seinen Truppen abgehen


Avantgarde selbst abgeschnitten, sondern wäre auch den von Mittel-Pöllnitz
sich nach der Saale zurückziehenden Sachsen in die Flanke gekommen. Wenn
also wirklich der Befehl ertheilt wurde, Saalfeld (das man doch gleich zu An¬
fang durch ein Bataillon Müffling besetzt gehabt hatte), ganz aufzugeben, so
kann er nur daraus erklärt werden, daß Hohenlohe die Bedeutung des Punktes
nicht erkannt hatte oder daß er an die Schnelligkeit des Feindes nicht hatte
glauben wollen. Allein dieser war nun heran, und man darf sagen, daß der
Entschluß des Prinzen das Unheil, welches nothwendig eintreten mußte, so
weit möglich gemindert hat. Man braucht hier gar nicht zu theorelisireu; man
darf nur den Feind über die Bedeutung von Saalfeld vernehmen. um zu be¬
messen, welchen Werth der Besitz dieses Punktes auch für die Preußen haben
mußte. Ganz bestimmt erwartet Napoleon dort auf Widerstand zu treffen,
und er giebt den Marschällen Lannes und Augereau in dieser Voraussetzung
die vorsichtigsten Jnstructionen; jedenfalls soll Saalfeld genommen werden, und
zum allermindesten rechnet er darauf, dort ein Corps von 15,000—18.000
Preußen zu finden. Sollte er es nicht am Ende lieber ohne Schwertstreich
genommen haben, als gegen die sehr beträchtlichen Verluste, die ihm der Prinz
beibrachte? Nicht also daß dieser das dem Feinde so wichtige Saalfeld zu
halten suchte — mochte er sich doch auch erinnern, daß man im siebenjährigen
Kriege zweimal von da aus einen überlegenen Feind in die Berge zurückge¬
trieben — nicht dies also war der Fehler, sondern daß es der Fürst nicht mit
allen Kräften hielt. Der Prinz hat sich für die Armee geopfert, ja. er ist
geopfert worden.

Denn warum — fragen wir nun — sind seitens des jenaischen Haupt¬
quartiers die Maßregeln nicht ergriffen worden, die das Verderben des Tages
wenden konnten? Warum benachrichtigte man den Prinzen nicht bei Zeiten,
daß die Hauptarmee, auf welche er rechnete, nicht sobald heran sein könne, als
er nach den erst empfangenen Nachrichten voraussetzen mußte? Warum kam
ihm Grawcrt, der bei Orlamünde hielt, nicht zu Hilfe? Warum ging er ihm
nicht einmal entgegen, wenn sich doch der Prinz auf ihn zurückziehen sollte?
Warum schickte der Fürst nicht selbst Truppen vor. da er doch, neben Grawert
stehend, die Kanonade von Saalfeld hörte? Vielleicht, weil man in Orlamünde
ohne alle Reiterei, weil die schlechtverpslegte Armee durch confuse Eilmärsche
erschöpft war? Wohl, aber so waren dies Fehler des Fürsten, nicht des Prin¬
zen. Dieser konnte kein anderes Bewußtsein als das strenger Pflichterfüllung
haben, wenn er Saalfeld zu halten versuchte.

Er leitete, auf Unterstützung wartend, sein Gefecht mit der größten Be¬
sonnenheit und Kaltblütigkeit. Leider kannte er das Terrain nicht genau; aber
daß er es nicht hatte kennen lernen können, war wieder die Schuld Hohenlvbcs.
der ihn vor dem 8. Octover Abends nicht hatte zu seinen Truppen abgehen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191853"/>
          <p xml:id="ID_211" prev="#ID_210"> Avantgarde selbst abgeschnitten, sondern wäre auch den von Mittel-Pöllnitz<lb/>
sich nach der Saale zurückziehenden Sachsen in die Flanke gekommen. Wenn<lb/>
also wirklich der Befehl ertheilt wurde, Saalfeld (das man doch gleich zu An¬<lb/>
fang durch ein Bataillon Müffling besetzt gehabt hatte), ganz aufzugeben, so<lb/>
kann er nur daraus erklärt werden, daß Hohenlohe die Bedeutung des Punktes<lb/>
nicht erkannt hatte oder daß er an die Schnelligkeit des Feindes nicht hatte<lb/>
glauben wollen. Allein dieser war nun heran, und man darf sagen, daß der<lb/>
Entschluß des Prinzen das Unheil, welches nothwendig eintreten mußte, so<lb/>
weit möglich gemindert hat. Man braucht hier gar nicht zu theorelisireu; man<lb/>
darf nur den Feind über die Bedeutung von Saalfeld vernehmen. um zu be¬<lb/>
messen, welchen Werth der Besitz dieses Punktes auch für die Preußen haben<lb/>
mußte. Ganz bestimmt erwartet Napoleon dort auf Widerstand zu treffen,<lb/>
und er giebt den Marschällen Lannes und Augereau in dieser Voraussetzung<lb/>
die vorsichtigsten Jnstructionen; jedenfalls soll Saalfeld genommen werden, und<lb/>
zum allermindesten rechnet er darauf, dort ein Corps von 15,000&#x2014;18.000<lb/>
Preußen zu finden. Sollte er es nicht am Ende lieber ohne Schwertstreich<lb/>
genommen haben, als gegen die sehr beträchtlichen Verluste, die ihm der Prinz<lb/>
beibrachte? Nicht also daß dieser das dem Feinde so wichtige Saalfeld zu<lb/>
halten suchte &#x2014; mochte er sich doch auch erinnern, daß man im siebenjährigen<lb/>
Kriege zweimal von da aus einen überlegenen Feind in die Berge zurückge¬<lb/>
trieben &#x2014; nicht dies also war der Fehler, sondern daß es der Fürst nicht mit<lb/>
allen Kräften hielt. Der Prinz hat sich für die Armee geopfert, ja. er ist<lb/>
geopfert worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_212"> Denn warum &#x2014; fragen wir nun &#x2014; sind seitens des jenaischen Haupt¬<lb/>
quartiers die Maßregeln nicht ergriffen worden, die das Verderben des Tages<lb/>
wenden konnten? Warum benachrichtigte man den Prinzen nicht bei Zeiten,<lb/>
daß die Hauptarmee, auf welche er rechnete, nicht sobald heran sein könne, als<lb/>
er nach den erst empfangenen Nachrichten voraussetzen mußte? Warum kam<lb/>
ihm Grawcrt, der bei Orlamünde hielt, nicht zu Hilfe? Warum ging er ihm<lb/>
nicht einmal entgegen, wenn sich doch der Prinz auf ihn zurückziehen sollte?<lb/>
Warum schickte der Fürst nicht selbst Truppen vor. da er doch, neben Grawert<lb/>
stehend, die Kanonade von Saalfeld hörte? Vielleicht, weil man in Orlamünde<lb/>
ohne alle Reiterei, weil die schlechtverpslegte Armee durch confuse Eilmärsche<lb/>
erschöpft war? Wohl, aber so waren dies Fehler des Fürsten, nicht des Prin¬<lb/>
zen. Dieser konnte kein anderes Bewußtsein als das strenger Pflichterfüllung<lb/>
haben, wenn er Saalfeld zu halten versuchte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_213" next="#ID_214"> Er leitete, auf Unterstützung wartend, sein Gefecht mit der größten Be¬<lb/>
sonnenheit und Kaltblütigkeit. Leider kannte er das Terrain nicht genau; aber<lb/>
daß er es nicht hatte kennen lernen können, war wieder die Schuld Hohenlvbcs.<lb/>
der ihn vor dem 8. Octover Abends nicht hatte zu seinen Truppen abgehen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0092] Avantgarde selbst abgeschnitten, sondern wäre auch den von Mittel-Pöllnitz sich nach der Saale zurückziehenden Sachsen in die Flanke gekommen. Wenn also wirklich der Befehl ertheilt wurde, Saalfeld (das man doch gleich zu An¬ fang durch ein Bataillon Müffling besetzt gehabt hatte), ganz aufzugeben, so kann er nur daraus erklärt werden, daß Hohenlohe die Bedeutung des Punktes nicht erkannt hatte oder daß er an die Schnelligkeit des Feindes nicht hatte glauben wollen. Allein dieser war nun heran, und man darf sagen, daß der Entschluß des Prinzen das Unheil, welches nothwendig eintreten mußte, so weit möglich gemindert hat. Man braucht hier gar nicht zu theorelisireu; man darf nur den Feind über die Bedeutung von Saalfeld vernehmen. um zu be¬ messen, welchen Werth der Besitz dieses Punktes auch für die Preußen haben mußte. Ganz bestimmt erwartet Napoleon dort auf Widerstand zu treffen, und er giebt den Marschällen Lannes und Augereau in dieser Voraussetzung die vorsichtigsten Jnstructionen; jedenfalls soll Saalfeld genommen werden, und zum allermindesten rechnet er darauf, dort ein Corps von 15,000—18.000 Preußen zu finden. Sollte er es nicht am Ende lieber ohne Schwertstreich genommen haben, als gegen die sehr beträchtlichen Verluste, die ihm der Prinz beibrachte? Nicht also daß dieser das dem Feinde so wichtige Saalfeld zu halten suchte — mochte er sich doch auch erinnern, daß man im siebenjährigen Kriege zweimal von da aus einen überlegenen Feind in die Berge zurückge¬ trieben — nicht dies also war der Fehler, sondern daß es der Fürst nicht mit allen Kräften hielt. Der Prinz hat sich für die Armee geopfert, ja. er ist geopfert worden. Denn warum — fragen wir nun — sind seitens des jenaischen Haupt¬ quartiers die Maßregeln nicht ergriffen worden, die das Verderben des Tages wenden konnten? Warum benachrichtigte man den Prinzen nicht bei Zeiten, daß die Hauptarmee, auf welche er rechnete, nicht sobald heran sein könne, als er nach den erst empfangenen Nachrichten voraussetzen mußte? Warum kam ihm Grawcrt, der bei Orlamünde hielt, nicht zu Hilfe? Warum ging er ihm nicht einmal entgegen, wenn sich doch der Prinz auf ihn zurückziehen sollte? Warum schickte der Fürst nicht selbst Truppen vor. da er doch, neben Grawert stehend, die Kanonade von Saalfeld hörte? Vielleicht, weil man in Orlamünde ohne alle Reiterei, weil die schlechtverpslegte Armee durch confuse Eilmärsche erschöpft war? Wohl, aber so waren dies Fehler des Fürsten, nicht des Prin¬ zen. Dieser konnte kein anderes Bewußtsein als das strenger Pflichterfüllung haben, wenn er Saalfeld zu halten versuchte. Er leitete, auf Unterstützung wartend, sein Gefecht mit der größten Be¬ sonnenheit und Kaltblütigkeit. Leider kannte er das Terrain nicht genau; aber daß er es nicht hatte kennen lernen können, war wieder die Schuld Hohenlvbcs. der ihn vor dem 8. Octover Abends nicht hatte zu seinen Truppen abgehen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/92
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/92>, abgerufen am 20.10.2024.