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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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zeigte als Norm", Lucrezia, Leonore (Troubadour) und Donna Anna umfang¬
reiche üppige Stimme, correcten Vortrag, aber Mangel an dramatischem Talent
und geistiger Belebung. Die Gesangsweise der Letzteren ist bekannt: leichte An¬
sprache der hohen Töne, Biegsamkeit einer nicht starken Stimme befähigen sie
vorzugsweise zum kolorirten Gesang, wie sie denn auch als Königin der Nacht,
Dinorah, Katharina, Page Oscar (Maskenball) besonders gefällt. Ein gewisser
krankhafter Beigeschmack ihrer Stimme beeinträchtigt jedoch den Genuß ihres
Gesanges nicht wenig. Von den langjährigen Mitgliedern ist namentlich Frau
Dust manu viel beschäftigt. In mancher Rolle wie z. B. Agathe, Pamina,
Norm" verdient sie volle Anerkennung, während ihr Spiel und Gesang als
Clytämnestra etwas stark ans Unedle streifte. Ein junges Mitglied, Frl. Benza,
bisher nur in kleineren Rollen beschäftigt, hat plötzlich als Iphigenie einen
weiten Vorsprung gewonnen. -- Von den Männern sind Walter, Beck und
Dr. Schmid Lieblinge des Publikums; leider war Letzterer durch Krankheit
längere Zeit der Bühne entzogen. Beck, voll Ausdruck im Gesang, lebhaftem
Spiel, mit imposanter Stimme, ist eine Zierde der Oper. Sein Tell, Aga-
memnon, Nelusco sind wahre Musterleistungen. Walter ist der lyrische Sän¬
ger xar excelleueL, der sich das Studium seiner Kunst angelegen sein läßt
und von Jahr zu Jahr Fortschritte zeigt. Rollen wie der Tamino sind für
ihn wie geschaffen. Nvkitansky ist ein tüchtiger Baß; Mayrhofer ein nicht
zu unterschätzendes Mitglied der Oper; er hilft überall aus, singt heute Papa-
geno, morgen Mesisto und so fort Orovist, Plunket, Leporello, und jede Rolle
mit gleichem Eifer. Die Veteranen Erl (Tenor) und Draxler (Baß) stellen
noch immer ihren Mann; freilich sind die Stimmen nicht mehr dieselben wie
vor dreißig Jahren. -- Seit Anfang Juli d. I. bis Mitte November waren
mit je einer Oper vertreten: Weber, Spohr, Doppler, Gounot, Rossini,
Gluck und Beethoven; mit je zwei: Mozart, Bellini und Flottow. Donizetti
lieferte 3, Verdi 4 und Meyerbeer 3 Opern. Die meisten Abende hatten Bel¬
lini, Gounot, Donizetti (je 7), Flottow (8), Verdi (13), Meyerbeer (20) in
Anspruch genommen. Von deutschen Opern wurden gegeben: Fidelio, Iphi-
genia in Antis, Nachtlager, Illa, Zauberflöte, Don Juan, Jessonda und
Freischütz. Vergebens sucht man in der besprochenen Zeit nach einer neuen
Oper; die neu in Scene gesetzte Iphigenia war die einzige Heldenthat während
es früher Jahre gab, in denen man 6, 8 ja 12 neue Opern (so 1849) aufführte.
Mit der Aufführung der Gluck'sehen Oper in der Bearbeitung Wagners wurde
ein langgehegter Wunsch aller Musikfreunde erfüllt. Die Oper wurde am
12. Oct. d. I, zum erstenmal wieder gegeben, nachdem sie seit dem 30. März
1810 geruht hatte. Die erste Vorstellung in Wien fand am 14. Dec. 1808
statt, also 34 Jahre nach der Pariser Vorstellung (19. April 1774). In Wien
gab im Jahre 1808 die Rolle der Clytämnestra jene Mlle. Milder, die auch


zeigte als Norm«, Lucrezia, Leonore (Troubadour) und Donna Anna umfang¬
reiche üppige Stimme, correcten Vortrag, aber Mangel an dramatischem Talent
und geistiger Belebung. Die Gesangsweise der Letzteren ist bekannt: leichte An¬
sprache der hohen Töne, Biegsamkeit einer nicht starken Stimme befähigen sie
vorzugsweise zum kolorirten Gesang, wie sie denn auch als Königin der Nacht,
Dinorah, Katharina, Page Oscar (Maskenball) besonders gefällt. Ein gewisser
krankhafter Beigeschmack ihrer Stimme beeinträchtigt jedoch den Genuß ihres
Gesanges nicht wenig. Von den langjährigen Mitgliedern ist namentlich Frau
Dust manu viel beschäftigt. In mancher Rolle wie z. B. Agathe, Pamina,
Norm« verdient sie volle Anerkennung, während ihr Spiel und Gesang als
Clytämnestra etwas stark ans Unedle streifte. Ein junges Mitglied, Frl. Benza,
bisher nur in kleineren Rollen beschäftigt, hat plötzlich als Iphigenie einen
weiten Vorsprung gewonnen. — Von den Männern sind Walter, Beck und
Dr. Schmid Lieblinge des Publikums; leider war Letzterer durch Krankheit
längere Zeit der Bühne entzogen. Beck, voll Ausdruck im Gesang, lebhaftem
Spiel, mit imposanter Stimme, ist eine Zierde der Oper. Sein Tell, Aga-
memnon, Nelusco sind wahre Musterleistungen. Walter ist der lyrische Sän¬
ger xar excelleueL, der sich das Studium seiner Kunst angelegen sein läßt
und von Jahr zu Jahr Fortschritte zeigt. Rollen wie der Tamino sind für
ihn wie geschaffen. Nvkitansky ist ein tüchtiger Baß; Mayrhofer ein nicht
zu unterschätzendes Mitglied der Oper; er hilft überall aus, singt heute Papa-
geno, morgen Mesisto und so fort Orovist, Plunket, Leporello, und jede Rolle
mit gleichem Eifer. Die Veteranen Erl (Tenor) und Draxler (Baß) stellen
noch immer ihren Mann; freilich sind die Stimmen nicht mehr dieselben wie
vor dreißig Jahren. — Seit Anfang Juli d. I. bis Mitte November waren
mit je einer Oper vertreten: Weber, Spohr, Doppler, Gounot, Rossini,
Gluck und Beethoven; mit je zwei: Mozart, Bellini und Flottow. Donizetti
lieferte 3, Verdi 4 und Meyerbeer 3 Opern. Die meisten Abende hatten Bel¬
lini, Gounot, Donizetti (je 7), Flottow (8), Verdi (13), Meyerbeer (20) in
Anspruch genommen. Von deutschen Opern wurden gegeben: Fidelio, Iphi-
genia in Antis, Nachtlager, Illa, Zauberflöte, Don Juan, Jessonda und
Freischütz. Vergebens sucht man in der besprochenen Zeit nach einer neuen
Oper; die neu in Scene gesetzte Iphigenia war die einzige Heldenthat während
es früher Jahre gab, in denen man 6, 8 ja 12 neue Opern (so 1849) aufführte.
Mit der Aufführung der Gluck'sehen Oper in der Bearbeitung Wagners wurde
ein langgehegter Wunsch aller Musikfreunde erfüllt. Die Oper wurde am
12. Oct. d. I, zum erstenmal wieder gegeben, nachdem sie seit dem 30. März
1810 geruht hatte. Die erste Vorstellung in Wien fand am 14. Dec. 1808
statt, also 34 Jahre nach der Pariser Vorstellung (19. April 1774). In Wien
gab im Jahre 1808 die Rolle der Clytämnestra jene Mlle. Milder, die auch


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[0474] zeigte als Norm«, Lucrezia, Leonore (Troubadour) und Donna Anna umfang¬ reiche üppige Stimme, correcten Vortrag, aber Mangel an dramatischem Talent und geistiger Belebung. Die Gesangsweise der Letzteren ist bekannt: leichte An¬ sprache der hohen Töne, Biegsamkeit einer nicht starken Stimme befähigen sie vorzugsweise zum kolorirten Gesang, wie sie denn auch als Königin der Nacht, Dinorah, Katharina, Page Oscar (Maskenball) besonders gefällt. Ein gewisser krankhafter Beigeschmack ihrer Stimme beeinträchtigt jedoch den Genuß ihres Gesanges nicht wenig. Von den langjährigen Mitgliedern ist namentlich Frau Dust manu viel beschäftigt. In mancher Rolle wie z. B. Agathe, Pamina, Norm« verdient sie volle Anerkennung, während ihr Spiel und Gesang als Clytämnestra etwas stark ans Unedle streifte. Ein junges Mitglied, Frl. Benza, bisher nur in kleineren Rollen beschäftigt, hat plötzlich als Iphigenie einen weiten Vorsprung gewonnen. — Von den Männern sind Walter, Beck und Dr. Schmid Lieblinge des Publikums; leider war Letzterer durch Krankheit längere Zeit der Bühne entzogen. Beck, voll Ausdruck im Gesang, lebhaftem Spiel, mit imposanter Stimme, ist eine Zierde der Oper. Sein Tell, Aga- memnon, Nelusco sind wahre Musterleistungen. Walter ist der lyrische Sän¬ ger xar excelleueL, der sich das Studium seiner Kunst angelegen sein läßt und von Jahr zu Jahr Fortschritte zeigt. Rollen wie der Tamino sind für ihn wie geschaffen. Nvkitansky ist ein tüchtiger Baß; Mayrhofer ein nicht zu unterschätzendes Mitglied der Oper; er hilft überall aus, singt heute Papa- geno, morgen Mesisto und so fort Orovist, Plunket, Leporello, und jede Rolle mit gleichem Eifer. Die Veteranen Erl (Tenor) und Draxler (Baß) stellen noch immer ihren Mann; freilich sind die Stimmen nicht mehr dieselben wie vor dreißig Jahren. — Seit Anfang Juli d. I. bis Mitte November waren mit je einer Oper vertreten: Weber, Spohr, Doppler, Gounot, Rossini, Gluck und Beethoven; mit je zwei: Mozart, Bellini und Flottow. Donizetti lieferte 3, Verdi 4 und Meyerbeer 3 Opern. Die meisten Abende hatten Bel¬ lini, Gounot, Donizetti (je 7), Flottow (8), Verdi (13), Meyerbeer (20) in Anspruch genommen. Von deutschen Opern wurden gegeben: Fidelio, Iphi- genia in Antis, Nachtlager, Illa, Zauberflöte, Don Juan, Jessonda und Freischütz. Vergebens sucht man in der besprochenen Zeit nach einer neuen Oper; die neu in Scene gesetzte Iphigenia war die einzige Heldenthat während es früher Jahre gab, in denen man 6, 8 ja 12 neue Opern (so 1849) aufführte. Mit der Aufführung der Gluck'sehen Oper in der Bearbeitung Wagners wurde ein langgehegter Wunsch aller Musikfreunde erfüllt. Die Oper wurde am 12. Oct. d. I, zum erstenmal wieder gegeben, nachdem sie seit dem 30. März 1810 geruht hatte. Die erste Vorstellung in Wien fand am 14. Dec. 1808 statt, also 34 Jahre nach der Pariser Vorstellung (19. April 1774). In Wien gab im Jahre 1808 die Rolle der Clytämnestra jene Mlle. Milder, die auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/474>, abgerufen am 19.10.2024.