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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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als Fidelio auftrat. Von ihr schrieb Beethoven 1806 Röckel, dem Sänger des
Florestan: "Morgen komme ich selbst, um den Saum ihres Rockes zu küssen."
Iphigenia sang damals Mlle. Laucher; Agamemnon, den Vogel vorzüglich gab,
war nun durch Reck ebenso vortrefflich besetzt. Die Oper, von Esser mit aller
Sorgfalt einstudirt. fand eine warme Aufnahme. Möchte der Versuch, Glucks
Werke der Stadt in der er vorzugsweise lebte und in der er starb, wieder ins
Gedächtniß zu rufen, nicht vereinzelt bleiben; es gibt viel Schuld an ihn ab-
zutragen. Seine "Alceste", 1781 zum erstenmal gegeben, wurde nur 1782 und
1810 repetirt; "Armida" wurde 1808 zum ersten- und letztenmal aufgeführt;
"Orteo ca LuriSios", neu 1762, wurde nur noch 1782 viermal wiederholt.
Am häufigsten wurde "Iphigenia aus Tauns" gegeben (zuerst 1781 aufgeführt);
noch 1862 trat in dieser Oper der unglückliche Ander auf. Neben Gluck
wäre auch Cherubini nicht ganz zu vergessen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß
dessen "Medea" auch jetzt noch einen großen Eindruck hervorbringen würde.
Fr. v. Voggenhuber, die eben jetzt als Gast in Beethovens "Fidelio" mit
einstimmigem Beifall auftritt, wäre wie geschaffen für die großartige Titel-
Rolle. -- Dem Uebelstande, daß in fünf Monaten nur zwei Opern von Mo¬
zart aufgeführt wurden, will man nun abhelfen, indem man "die Entführung
aus dem Serail" neu in Scene setzt. Mit der wiederholten Aufführung der
Zauberflöte hat die Direktion ihrer Kasse eben nicht geschadet. Die Besetzung
ist aber auch eine nicht gewöhnliche; namentlich glänzt Frl. Murska als Königin;
ihre drei Damen zeichnen sich durch prächtige Stimmen aus; Tamino, Pamina
und Papageno sind vorzüglich besetzt; Sarastro imponirt schon durch die Fülle
der Jahre -- selbst der Mohr thut seine Schuldigkeit. -- Der Bau des neuen
Theaters schreitet rüstig vorwärts; die Tageblätter unterlassen nicht, gewissen¬
haft zu berichten, wie viel Frescogemälde. Decorationen, Stuckatur- und Bild¬
hauerarbeiten schon vollendet sind; nur eins weiß noch Niemand: wie der Bau
in akustischer Beziehung ausfallen wird -- die Lebensfrage für ein Opernhaus.

Von den musikalischen Vereinen steht, schon ihres Alters wegen, die Ge.
sellschaft der Musikfreunde obenan. Trotz der Zerwürfnisse im Schooß
dieser Gesellschaft haben deren Concerte unter Herbecks energischer Leitung
doch wieder glänzend begonnen. Von hier aus sind in letzterer Zeit, zum Theil
unter wirksamer Beihilfe des mit der Gesellschaft in Verbindung stehenden
"Singvereins", namentlich größere Schubert'sche Werke zum erstenmal bekannt
geworden. Die Ausführungen von Beethovens großer Messe, Bachs R-moll
Messe und der Matthäus-Passion gehören zum Vollendetsten, was die Gesell-
schaft überhaupt seit ihrem Bestehen geleistet hat. Herbccks Verdienste um die¬
selbe sind oft und in gerechter Weise gewürdigt worden.

Dem von der Gesellschaft geleiteten Konservatorium steht nothwen-
digerweise über kurz oder lang eine gründliche Reform bevor. Das Institut,


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als Fidelio auftrat. Von ihr schrieb Beethoven 1806 Röckel, dem Sänger des
Florestan: „Morgen komme ich selbst, um den Saum ihres Rockes zu küssen."
Iphigenia sang damals Mlle. Laucher; Agamemnon, den Vogel vorzüglich gab,
war nun durch Reck ebenso vortrefflich besetzt. Die Oper, von Esser mit aller
Sorgfalt einstudirt. fand eine warme Aufnahme. Möchte der Versuch, Glucks
Werke der Stadt in der er vorzugsweise lebte und in der er starb, wieder ins
Gedächtniß zu rufen, nicht vereinzelt bleiben; es gibt viel Schuld an ihn ab-
zutragen. Seine „Alceste", 1781 zum erstenmal gegeben, wurde nur 1782 und
1810 repetirt; „Armida" wurde 1808 zum ersten- und letztenmal aufgeführt;
„Orteo ca LuriSios", neu 1762, wurde nur noch 1782 viermal wiederholt.
Am häufigsten wurde „Iphigenia aus Tauns" gegeben (zuerst 1781 aufgeführt);
noch 1862 trat in dieser Oper der unglückliche Ander auf. Neben Gluck
wäre auch Cherubini nicht ganz zu vergessen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß
dessen „Medea" auch jetzt noch einen großen Eindruck hervorbringen würde.
Fr. v. Voggenhuber, die eben jetzt als Gast in Beethovens „Fidelio" mit
einstimmigem Beifall auftritt, wäre wie geschaffen für die großartige Titel-
Rolle. — Dem Uebelstande, daß in fünf Monaten nur zwei Opern von Mo¬
zart aufgeführt wurden, will man nun abhelfen, indem man „die Entführung
aus dem Serail" neu in Scene setzt. Mit der wiederholten Aufführung der
Zauberflöte hat die Direktion ihrer Kasse eben nicht geschadet. Die Besetzung
ist aber auch eine nicht gewöhnliche; namentlich glänzt Frl. Murska als Königin;
ihre drei Damen zeichnen sich durch prächtige Stimmen aus; Tamino, Pamina
und Papageno sind vorzüglich besetzt; Sarastro imponirt schon durch die Fülle
der Jahre — selbst der Mohr thut seine Schuldigkeit. — Der Bau des neuen
Theaters schreitet rüstig vorwärts; die Tageblätter unterlassen nicht, gewissen¬
haft zu berichten, wie viel Frescogemälde. Decorationen, Stuckatur- und Bild¬
hauerarbeiten schon vollendet sind; nur eins weiß noch Niemand: wie der Bau
in akustischer Beziehung ausfallen wird — die Lebensfrage für ein Opernhaus.

Von den musikalischen Vereinen steht, schon ihres Alters wegen, die Ge.
sellschaft der Musikfreunde obenan. Trotz der Zerwürfnisse im Schooß
dieser Gesellschaft haben deren Concerte unter Herbecks energischer Leitung
doch wieder glänzend begonnen. Von hier aus sind in letzterer Zeit, zum Theil
unter wirksamer Beihilfe des mit der Gesellschaft in Verbindung stehenden
»Singvereins", namentlich größere Schubert'sche Werke zum erstenmal bekannt
geworden. Die Ausführungen von Beethovens großer Messe, Bachs R-moll
Messe und der Matthäus-Passion gehören zum Vollendetsten, was die Gesell-
schaft überhaupt seit ihrem Bestehen geleistet hat. Herbccks Verdienste um die¬
selbe sind oft und in gerechter Weise gewürdigt worden.

Dem von der Gesellschaft geleiteten Konservatorium steht nothwen-
digerweise über kurz oder lang eine gründliche Reform bevor. Das Institut,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/475>, abgerufen am 27.09.2024.