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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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die Stelle näher ins Auge und bemerkte in den Erhöhungen des Bodens eine
gewisse nicht von der Natur hervorgebrachte Unregelmäßigkeit, welche sich wohl
erklären ließ, wenn verschüttete Ruinen unter demselben lagen. Der Platz war
ganz mit Häusern und Gärten bedeckt, welche durch kleine steinerne Wälle von
einander geschieden waren. Als er diese Wälle und Mauern der Häuser näher
untersuchte, fand er auch in ihnen Stücke ionischer Architektur von seltener
Schönheit und aus feinstem Material eingemauert. Schon Professor Donaldson
hatte auf diesen Punkt aufmerksam gemacht, welcher übrigens derselbe war, den
Newton, bevor er Budrum besucht, nach den Angaben der alten Schriftsteller
als die wahrscheinliche Lage der Mausoleums bezeichnet hatte. Es stimmte mit
Vitruv, auch war sonst in der Stadt nirgends eine solche Anhäufung ionischer
Architecturfragmente. Newton erzählt von diesen ersten Tagen der Entdeckung:
"Ich beschloß also hier nachzugraben. Der Grund und Boden war in eine
Anzahl kleiner Besitzungen getheilt, welche jede einen besondern Eigenthümer
hatten. Nach sehr vielen Mühen und Quängeleien erhielt ich von einem der¬
selben die Erlaubniß, auf einem kleinen Streifen der einen Hälfte seines Feldes
nachzugraben. Es war am ersten Januar dieses Jahres (1857) als ich den
ersten Spatenstich auf der merkwürdigen Stelle that. Nachdem ich wenige
Spaten voll aufgeworfen hatte, prüfte ich die Beschaffenheit der Erde. Es
war eine lose schwarze Dammerde, ganz durchsetzt mit Schutt und kleinen
Splittern eines feinen weißen Marmors. Ihr ganzes Aussehen, besonders
aber der Mangel gleichmäßiger Schichtung unterstützte die Annahme, daß ich
es mit einer neuern Aufhäufung zu thun hatte, wie sie in den 400 Jahren
seit der Erbauung der Castells durch die Ritter stattgefunden haben konnte..
Die Marmorbruchstücke, welche ich sorgfältig sammelte, gehörten augenscheinlich
einem Gebäude ionischer Ordnung an. Nach kurzer Zeit kam ein verstümmeltes
Bein zum Vorschein, augenscheinlich von einem Fries. Ich begann unbe¬
stimmte Hoffnung zu fassen. Immer mehr Sculpturstücke kamen zu Tage, meist
Splitter eines Frieses, bis ich zuletzt das Stück eines Fußes fand, welches
noch mit der Friesplatte und, deren Hohlkehle zusammenhing. Ich erkannte
sofort, daß dies dieselbe Kehlung sei, welche die Friesplatten des Castells haben.
Ungefähr in derselben Zeit, als ich diese Entdeckung machte, untersuchte ich
gerade auch eine Mauer in der Nähe; ich grub und fand ein zerschlagenes
Stück eines marmornen Löwen in den Fundamenten derselben vermauert. Von
dem Tage an hatte ich keinen Zweifel mehr, daß die Lage des Mausoleums
gefunden war. Es mag seltsam erscheinen, daß für mich der Augenblick, in
dem ich diese große Entdeckung machte, durchaus nicht ein sehr freudiger war.
Ich warf einen bedenklichen Blick auf die ganz mit Häusern und kleinen Flecken
Gartenlands bedeckte Stelle, von der jeder Theil einem besondern Eigenthümer
gehörte, und fragte mich, wie es wohl möglich sein könnte, alle diese Leutchen


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die Stelle näher ins Auge und bemerkte in den Erhöhungen des Bodens eine
gewisse nicht von der Natur hervorgebrachte Unregelmäßigkeit, welche sich wohl
erklären ließ, wenn verschüttete Ruinen unter demselben lagen. Der Platz war
ganz mit Häusern und Gärten bedeckt, welche durch kleine steinerne Wälle von
einander geschieden waren. Als er diese Wälle und Mauern der Häuser näher
untersuchte, fand er auch in ihnen Stücke ionischer Architektur von seltener
Schönheit und aus feinstem Material eingemauert. Schon Professor Donaldson
hatte auf diesen Punkt aufmerksam gemacht, welcher übrigens derselbe war, den
Newton, bevor er Budrum besucht, nach den Angaben der alten Schriftsteller
als die wahrscheinliche Lage der Mausoleums bezeichnet hatte. Es stimmte mit
Vitruv, auch war sonst in der Stadt nirgends eine solche Anhäufung ionischer
Architecturfragmente. Newton erzählt von diesen ersten Tagen der Entdeckung:
„Ich beschloß also hier nachzugraben. Der Grund und Boden war in eine
Anzahl kleiner Besitzungen getheilt, welche jede einen besondern Eigenthümer
hatten. Nach sehr vielen Mühen und Quängeleien erhielt ich von einem der¬
selben die Erlaubniß, auf einem kleinen Streifen der einen Hälfte seines Feldes
nachzugraben. Es war am ersten Januar dieses Jahres (1857) als ich den
ersten Spatenstich auf der merkwürdigen Stelle that. Nachdem ich wenige
Spaten voll aufgeworfen hatte, prüfte ich die Beschaffenheit der Erde. Es
war eine lose schwarze Dammerde, ganz durchsetzt mit Schutt und kleinen
Splittern eines feinen weißen Marmors. Ihr ganzes Aussehen, besonders
aber der Mangel gleichmäßiger Schichtung unterstützte die Annahme, daß ich
es mit einer neuern Aufhäufung zu thun hatte, wie sie in den 400 Jahren
seit der Erbauung der Castells durch die Ritter stattgefunden haben konnte..
Die Marmorbruchstücke, welche ich sorgfältig sammelte, gehörten augenscheinlich
einem Gebäude ionischer Ordnung an. Nach kurzer Zeit kam ein verstümmeltes
Bein zum Vorschein, augenscheinlich von einem Fries. Ich begann unbe¬
stimmte Hoffnung zu fassen. Immer mehr Sculpturstücke kamen zu Tage, meist
Splitter eines Frieses, bis ich zuletzt das Stück eines Fußes fand, welches
noch mit der Friesplatte und, deren Hohlkehle zusammenhing. Ich erkannte
sofort, daß dies dieselbe Kehlung sei, welche die Friesplatten des Castells haben.
Ungefähr in derselben Zeit, als ich diese Entdeckung machte, untersuchte ich
gerade auch eine Mauer in der Nähe; ich grub und fand ein zerschlagenes
Stück eines marmornen Löwen in den Fundamenten derselben vermauert. Von
dem Tage an hatte ich keinen Zweifel mehr, daß die Lage des Mausoleums
gefunden war. Es mag seltsam erscheinen, daß für mich der Augenblick, in
dem ich diese große Entdeckung machte, durchaus nicht ein sehr freudiger war.
Ich warf einen bedenklichen Blick auf die ganz mit Häusern und kleinen Flecken
Gartenlands bedeckte Stelle, von der jeder Theil einem besondern Eigenthümer
gehörte, und fragte mich, wie es wohl möglich sein könnte, alle diese Leutchen


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[0267] die Stelle näher ins Auge und bemerkte in den Erhöhungen des Bodens eine gewisse nicht von der Natur hervorgebrachte Unregelmäßigkeit, welche sich wohl erklären ließ, wenn verschüttete Ruinen unter demselben lagen. Der Platz war ganz mit Häusern und Gärten bedeckt, welche durch kleine steinerne Wälle von einander geschieden waren. Als er diese Wälle und Mauern der Häuser näher untersuchte, fand er auch in ihnen Stücke ionischer Architektur von seltener Schönheit und aus feinstem Material eingemauert. Schon Professor Donaldson hatte auf diesen Punkt aufmerksam gemacht, welcher übrigens derselbe war, den Newton, bevor er Budrum besucht, nach den Angaben der alten Schriftsteller als die wahrscheinliche Lage der Mausoleums bezeichnet hatte. Es stimmte mit Vitruv, auch war sonst in der Stadt nirgends eine solche Anhäufung ionischer Architecturfragmente. Newton erzählt von diesen ersten Tagen der Entdeckung: „Ich beschloß also hier nachzugraben. Der Grund und Boden war in eine Anzahl kleiner Besitzungen getheilt, welche jede einen besondern Eigenthümer hatten. Nach sehr vielen Mühen und Quängeleien erhielt ich von einem der¬ selben die Erlaubniß, auf einem kleinen Streifen der einen Hälfte seines Feldes nachzugraben. Es war am ersten Januar dieses Jahres (1857) als ich den ersten Spatenstich auf der merkwürdigen Stelle that. Nachdem ich wenige Spaten voll aufgeworfen hatte, prüfte ich die Beschaffenheit der Erde. Es war eine lose schwarze Dammerde, ganz durchsetzt mit Schutt und kleinen Splittern eines feinen weißen Marmors. Ihr ganzes Aussehen, besonders aber der Mangel gleichmäßiger Schichtung unterstützte die Annahme, daß ich es mit einer neuern Aufhäufung zu thun hatte, wie sie in den 400 Jahren seit der Erbauung der Castells durch die Ritter stattgefunden haben konnte.. Die Marmorbruchstücke, welche ich sorgfältig sammelte, gehörten augenscheinlich einem Gebäude ionischer Ordnung an. Nach kurzer Zeit kam ein verstümmeltes Bein zum Vorschein, augenscheinlich von einem Fries. Ich begann unbe¬ stimmte Hoffnung zu fassen. Immer mehr Sculpturstücke kamen zu Tage, meist Splitter eines Frieses, bis ich zuletzt das Stück eines Fußes fand, welches noch mit der Friesplatte und, deren Hohlkehle zusammenhing. Ich erkannte sofort, daß dies dieselbe Kehlung sei, welche die Friesplatten des Castells haben. Ungefähr in derselben Zeit, als ich diese Entdeckung machte, untersuchte ich gerade auch eine Mauer in der Nähe; ich grub und fand ein zerschlagenes Stück eines marmornen Löwen in den Fundamenten derselben vermauert. Von dem Tage an hatte ich keinen Zweifel mehr, daß die Lage des Mausoleums gefunden war. Es mag seltsam erscheinen, daß für mich der Augenblick, in dem ich diese große Entdeckung machte, durchaus nicht ein sehr freudiger war. Ich warf einen bedenklichen Blick auf die ganz mit Häusern und kleinen Flecken Gartenlands bedeckte Stelle, von der jeder Theil einem besondern Eigenthümer gehörte, und fragte mich, wie es wohl möglich sein könnte, alle diese Leutchen 34"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/267>, abgerufen am 20.10.2024.