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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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auf die noch fehlenden atomistisch zersplitterten Theile. Wird durch die Wieder¬
herstellung des Zollvereins und insbesondere durch die Institution des Zoll-
Parlaments für das Bewußtsein der gemeinsamen Interessen ein stetig wirkendes
Organ geschaffen, so werden andrerseits die Früchte der einheitlichen Gesetzgebung
im Nordbund das Volk im Süden zu Parallelen einladen, die für die Vereini¬
gung nur günstig sein können. Schon jetzt fällt der Vergleich der ökonomischen
Verhältnisse entschieden zu Ungunsten des Südens aus. Die nächste Zollvereins-
zählung wird wieder Resultate bringen, die schlecht zu der Mohl'schen Verherr¬
lichung des süddeutschen Eldorado stimmen. In der Folge wird sich noch viel
deutlicher herausstellen, wie es mit den Früchten der norddeutschen Knechtschaft
und der süddeutschen Freiheit beschaffen ist. Die Fortschritte der norddeutschen
Gesetzgebung müssen als eben so viele Schrauben wirken, die an die Autonomie
des Südens angesetzt werden. Es wird auch in Süddeutschland die Erkenntniß
aufdämmern, daß für das wirthschaftliche Wohlergehen und selbst für die po¬
litischen Rechte der Nordbund ganz andere Garantien bietet, als die Selbständig¬
keit des Südens, d. h. sein Ausschluß von dem lebendigen Spiel der wirth¬
schaftlichen und politischen Kräfte der Nation.

Dies Alles wird seine Wirkung ausüben. Aber man wird nicht erwarten
können, daß die Wirkung sich rasch zeige. In der That müssen wir, so lange
das Programm: "Warten bis der Süden freiwillig kommt." stritt ausgeführt
werden soll, uns auf eine lange Uebergangszeit gefaßt machen. Niemand ver¬
mag vorauszusehen, wann -- normale Zeitumstände vorausgesetzt einmal der
Zeitpunkt kommen wird, da die süddeutschen Bevölkerungen mit der Wucht ein¬
stimmigen Willens und Entschlusses den Eintritt begehren. Und wer sie darum
gar zu hart beurtheilen wollte, den darf man doch daran erinnern, daß auch
im Norden die bundesstaatliche Einigung nicht durch Uebenedcn oder freiwilliges
Entgegenkommen zu Stande gebracht worden ist. Preußens bundesstaatliches
Programm vom 10. Juni 1866 wäre noch heute ein Programm wie andere,
ohne die darauf gefolgte Action, ohne die Einverleibung der einen und ohne
den mehr oder weniger sanften Druck auf die anderen.

Und wenn man nur sicher wäre, daß dieser Proceß, wenn auch langsam,
doch stetig und ohne Störungen sich vollzieht! Aber der Ukbergangszustcmd ist
nicht nur von unabsehbarer Dauer, er ist auch nicht ohne Gefahren. Eine aus¬
wärtige Verwicklung mag Norden und Süden rascher zusammenschmelzen, aber
in.in gebe sich keiner Täuschung hin, auch das ist bei der geographischen Lage
der Südstaaten noch immer denkbar, daß der Versuch einer Trennung, gemacht
würde. Schon einmal haben zum Theil dieselben Minister, die heute noch re¬
gieren, die freundlichen Dienste Frankreichs angerufen, und noch heute sieht die
würtenbergische Regierung in der preußischen Partei des Landes ihren eigent¬
lichen Feind. Verbissene Demokraten träumen von der Vereinigung mit der


auf die noch fehlenden atomistisch zersplitterten Theile. Wird durch die Wieder¬
herstellung des Zollvereins und insbesondere durch die Institution des Zoll-
Parlaments für das Bewußtsein der gemeinsamen Interessen ein stetig wirkendes
Organ geschaffen, so werden andrerseits die Früchte der einheitlichen Gesetzgebung
im Nordbund das Volk im Süden zu Parallelen einladen, die für die Vereini¬
gung nur günstig sein können. Schon jetzt fällt der Vergleich der ökonomischen
Verhältnisse entschieden zu Ungunsten des Südens aus. Die nächste Zollvereins-
zählung wird wieder Resultate bringen, die schlecht zu der Mohl'schen Verherr¬
lichung des süddeutschen Eldorado stimmen. In der Folge wird sich noch viel
deutlicher herausstellen, wie es mit den Früchten der norddeutschen Knechtschaft
und der süddeutschen Freiheit beschaffen ist. Die Fortschritte der norddeutschen
Gesetzgebung müssen als eben so viele Schrauben wirken, die an die Autonomie
des Südens angesetzt werden. Es wird auch in Süddeutschland die Erkenntniß
aufdämmern, daß für das wirthschaftliche Wohlergehen und selbst für die po¬
litischen Rechte der Nordbund ganz andere Garantien bietet, als die Selbständig¬
keit des Südens, d. h. sein Ausschluß von dem lebendigen Spiel der wirth¬
schaftlichen und politischen Kräfte der Nation.

Dies Alles wird seine Wirkung ausüben. Aber man wird nicht erwarten
können, daß die Wirkung sich rasch zeige. In der That müssen wir, so lange
das Programm: „Warten bis der Süden freiwillig kommt." stritt ausgeführt
werden soll, uns auf eine lange Uebergangszeit gefaßt machen. Niemand ver¬
mag vorauszusehen, wann — normale Zeitumstände vorausgesetzt einmal der
Zeitpunkt kommen wird, da die süddeutschen Bevölkerungen mit der Wucht ein¬
stimmigen Willens und Entschlusses den Eintritt begehren. Und wer sie darum
gar zu hart beurtheilen wollte, den darf man doch daran erinnern, daß auch
im Norden die bundesstaatliche Einigung nicht durch Uebenedcn oder freiwilliges
Entgegenkommen zu Stande gebracht worden ist. Preußens bundesstaatliches
Programm vom 10. Juni 1866 wäre noch heute ein Programm wie andere,
ohne die darauf gefolgte Action, ohne die Einverleibung der einen und ohne
den mehr oder weniger sanften Druck auf die anderen.

Und wenn man nur sicher wäre, daß dieser Proceß, wenn auch langsam,
doch stetig und ohne Störungen sich vollzieht! Aber der Ukbergangszustcmd ist
nicht nur von unabsehbarer Dauer, er ist auch nicht ohne Gefahren. Eine aus¬
wärtige Verwicklung mag Norden und Süden rascher zusammenschmelzen, aber
in.in gebe sich keiner Täuschung hin, auch das ist bei der geographischen Lage
der Südstaaten noch immer denkbar, daß der Versuch einer Trennung, gemacht
würde. Schon einmal haben zum Theil dieselben Minister, die heute noch re¬
gieren, die freundlichen Dienste Frankreichs angerufen, und noch heute sieht die
würtenbergische Regierung in der preußischen Partei des Landes ihren eigent¬
lichen Feind. Verbissene Demokraten träumen von der Vereinigung mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/152>, abgerufen am 20.10.2024.