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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Schweiz und begrüßen im Bund mit den Ultramontanen die französisch-östrei¬
chische Allianz als Rettungsanker für die süddeutsche Freiheit. Ungescheut wird
das Schutz- und Trutzbündniß im Süden als ein werthloses Stück Papier be¬
zeichnet und allgemein ist das Gefühl, daß dieses Band allerdings für sick
allein nicht stark genug ist, die Wiederkehr der Schmach früherer Zeiten un¬
möglich zu machen. Nickt einmal dazu hat es überall 'hingereicht, ungesäumt
die preußische Wehrverfassung einzuführen, wozu es wenigstens die moralische
Verpflichtung insofern enthielt, als seine legale Ausführung ohne diese Vor¬
bedingung gar nicht möglich ist. Und wo denn doch mit der Erhöhung der
Kriegstüchtigkeit Ernst gemacht wurde, hat es nicht an Stimmen gefehlt, welche
öffentlich als den eigentlichen Gegner, gegen welchen Süddeutschland "bis an
die Zähne" sich waffnen müsse, Preußen bezeichneten, und welche die Anspan¬
nung der militärischen Kräfte ausdrücklich nicht mit der Nothwendigkeit des
Zusammenstehens nach außen motivirten. sondern mit der Gefahr einer "uns
etwa nach den Erfahrungen von 186K, wenn auch nur möglicherweise drohenden
Vergewaltigung".

Dies sind nun ^freilich Verirrungen Einzelner, welche die Entwicklung im
ganzen und großen nicht aufhalten können. Allein so lange jene Frist der
freien Wahl dauert, ist doch auch den Agitationen dieser Art Freiheit gesichert
und nicht jegliche Aussicht auf Erfolg abgeschnitten. Für das Ausland zumal
sind sie ein beständiger Vorwand, sich der bedrohten süddeutschen Freiheit anzu¬
nehmen und ehrgeizige Gelüste in das Gewand tugendhafter Entrüstung
zu kleiden. Das Gefühl der Unsicherheit zum mindesten ist unzertrennlich von
dem Wohnen in einem umgebauten Haus. Und wer sich erinnert, wie die süd¬
deutsche Bevölkerung im vorigen J.ihr durch nichtswürdige Verführungskünste
ihre Vernunft gefangen nehmen ließ, muh wünschen, daß die Zeit abgekürzt
werde, innerhalb deren die Wiederkehr ähnlicher Erfahrungen wenigstens mög¬
lich ist. Es liegt im Interesse des Südens wie des Nordens, im Interesse des
allgemeinen Friedens, daß die Zeit der freien Wahl ihr Ende finde.

Und es ist ein Mittel diese Frist abzukürzen. Erwartungsvoll sind in
diesem Moment die Blicke auf Baden gerichtet. Der Norden ist bereit zu
empfangen, Baden ist bereit zu kommen -- welche Gründe sind vorhanden, den
entscheidenden Schritt zu verzögern? Der Schlußparagraph der Bundesver¬
fassung erlaubt den Zutritt auch eines einzelnen der Südstaaten; Bismarcks
Rundschreiben und die Adresse des Reichstags erklären einen solchen Schritt
für eine lediglich innere Angelegenheit der deutschen Nation; der unberechtigte
Versuch des bayrischen Veto fordert eine unzweideutige Antwort.

Nach der französischen Seite würde der Zutritt Badens vollends die er-
wünschte Klarheit bringen. Die Ausdehnung des norddeutschen Bundes längs
des Rheins bis an die Schweizergrenze würde Frankreich einen letzten Entschluß


Schweiz und begrüßen im Bund mit den Ultramontanen die französisch-östrei¬
chische Allianz als Rettungsanker für die süddeutsche Freiheit. Ungescheut wird
das Schutz- und Trutzbündniß im Süden als ein werthloses Stück Papier be¬
zeichnet und allgemein ist das Gefühl, daß dieses Band allerdings für sick
allein nicht stark genug ist, die Wiederkehr der Schmach früherer Zeiten un¬
möglich zu machen. Nickt einmal dazu hat es überall 'hingereicht, ungesäumt
die preußische Wehrverfassung einzuführen, wozu es wenigstens die moralische
Verpflichtung insofern enthielt, als seine legale Ausführung ohne diese Vor¬
bedingung gar nicht möglich ist. Und wo denn doch mit der Erhöhung der
Kriegstüchtigkeit Ernst gemacht wurde, hat es nicht an Stimmen gefehlt, welche
öffentlich als den eigentlichen Gegner, gegen welchen Süddeutschland „bis an
die Zähne" sich waffnen müsse, Preußen bezeichneten, und welche die Anspan¬
nung der militärischen Kräfte ausdrücklich nicht mit der Nothwendigkeit des
Zusammenstehens nach außen motivirten. sondern mit der Gefahr einer „uns
etwa nach den Erfahrungen von 186K, wenn auch nur möglicherweise drohenden
Vergewaltigung".

Dies sind nun ^freilich Verirrungen Einzelner, welche die Entwicklung im
ganzen und großen nicht aufhalten können. Allein so lange jene Frist der
freien Wahl dauert, ist doch auch den Agitationen dieser Art Freiheit gesichert
und nicht jegliche Aussicht auf Erfolg abgeschnitten. Für das Ausland zumal
sind sie ein beständiger Vorwand, sich der bedrohten süddeutschen Freiheit anzu¬
nehmen und ehrgeizige Gelüste in das Gewand tugendhafter Entrüstung
zu kleiden. Das Gefühl der Unsicherheit zum mindesten ist unzertrennlich von
dem Wohnen in einem umgebauten Haus. Und wer sich erinnert, wie die süd¬
deutsche Bevölkerung im vorigen J.ihr durch nichtswürdige Verführungskünste
ihre Vernunft gefangen nehmen ließ, muh wünschen, daß die Zeit abgekürzt
werde, innerhalb deren die Wiederkehr ähnlicher Erfahrungen wenigstens mög¬
lich ist. Es liegt im Interesse des Südens wie des Nordens, im Interesse des
allgemeinen Friedens, daß die Zeit der freien Wahl ihr Ende finde.

Und es ist ein Mittel diese Frist abzukürzen. Erwartungsvoll sind in
diesem Moment die Blicke auf Baden gerichtet. Der Norden ist bereit zu
empfangen, Baden ist bereit zu kommen — welche Gründe sind vorhanden, den
entscheidenden Schritt zu verzögern? Der Schlußparagraph der Bundesver¬
fassung erlaubt den Zutritt auch eines einzelnen der Südstaaten; Bismarcks
Rundschreiben und die Adresse des Reichstags erklären einen solchen Schritt
für eine lediglich innere Angelegenheit der deutschen Nation; der unberechtigte
Versuch des bayrischen Veto fordert eine unzweideutige Antwort.

Nach der französischen Seite würde der Zutritt Badens vollends die er-
wünschte Klarheit bringen. Die Ausdehnung des norddeutschen Bundes längs
des Rheins bis an die Schweizergrenze würde Frankreich einen letzten Entschluß


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[0153] Schweiz und begrüßen im Bund mit den Ultramontanen die französisch-östrei¬ chische Allianz als Rettungsanker für die süddeutsche Freiheit. Ungescheut wird das Schutz- und Trutzbündniß im Süden als ein werthloses Stück Papier be¬ zeichnet und allgemein ist das Gefühl, daß dieses Band allerdings für sick allein nicht stark genug ist, die Wiederkehr der Schmach früherer Zeiten un¬ möglich zu machen. Nickt einmal dazu hat es überall 'hingereicht, ungesäumt die preußische Wehrverfassung einzuführen, wozu es wenigstens die moralische Verpflichtung insofern enthielt, als seine legale Ausführung ohne diese Vor¬ bedingung gar nicht möglich ist. Und wo denn doch mit der Erhöhung der Kriegstüchtigkeit Ernst gemacht wurde, hat es nicht an Stimmen gefehlt, welche öffentlich als den eigentlichen Gegner, gegen welchen Süddeutschland „bis an die Zähne" sich waffnen müsse, Preußen bezeichneten, und welche die Anspan¬ nung der militärischen Kräfte ausdrücklich nicht mit der Nothwendigkeit des Zusammenstehens nach außen motivirten. sondern mit der Gefahr einer „uns etwa nach den Erfahrungen von 186K, wenn auch nur möglicherweise drohenden Vergewaltigung". Dies sind nun ^freilich Verirrungen Einzelner, welche die Entwicklung im ganzen und großen nicht aufhalten können. Allein so lange jene Frist der freien Wahl dauert, ist doch auch den Agitationen dieser Art Freiheit gesichert und nicht jegliche Aussicht auf Erfolg abgeschnitten. Für das Ausland zumal sind sie ein beständiger Vorwand, sich der bedrohten süddeutschen Freiheit anzu¬ nehmen und ehrgeizige Gelüste in das Gewand tugendhafter Entrüstung zu kleiden. Das Gefühl der Unsicherheit zum mindesten ist unzertrennlich von dem Wohnen in einem umgebauten Haus. Und wer sich erinnert, wie die süd¬ deutsche Bevölkerung im vorigen J.ihr durch nichtswürdige Verführungskünste ihre Vernunft gefangen nehmen ließ, muh wünschen, daß die Zeit abgekürzt werde, innerhalb deren die Wiederkehr ähnlicher Erfahrungen wenigstens mög¬ lich ist. Es liegt im Interesse des Südens wie des Nordens, im Interesse des allgemeinen Friedens, daß die Zeit der freien Wahl ihr Ende finde. Und es ist ein Mittel diese Frist abzukürzen. Erwartungsvoll sind in diesem Moment die Blicke auf Baden gerichtet. Der Norden ist bereit zu empfangen, Baden ist bereit zu kommen — welche Gründe sind vorhanden, den entscheidenden Schritt zu verzögern? Der Schlußparagraph der Bundesver¬ fassung erlaubt den Zutritt auch eines einzelnen der Südstaaten; Bismarcks Rundschreiben und die Adresse des Reichstags erklären einen solchen Schritt für eine lediglich innere Angelegenheit der deutschen Nation; der unberechtigte Versuch des bayrischen Veto fordert eine unzweideutige Antwort. Nach der französischen Seite würde der Zutritt Badens vollends die er- wünschte Klarheit bringen. Die Ausdehnung des norddeutschen Bundes längs des Rheins bis an die Schweizergrenze würde Frankreich einen letzten Entschluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/153>, abgerufen am 27.09.2024.