Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Reise durch seine Staaten, nur von wenigen Getreuen umgeben und von der
treuen Gefährtin seines Schicksals getrennt, da für diese die Reisestrapatzen in
dem weglos unsichern Lande unüberwindlich sind; in Jrapuato erkrankt er an
den Folgen von Erkältung und Ueberanstrengung und muß er darum die Be¬
endigung seiner Tour auf günstigere Zeiten verschieben. Wenig später kehren
die Gräfin Kolloniz und ihre Gefährten nach Europa zurück. "Sagen Sie
meiner Mutter, daß ich die Schwierigkeiten meiner Aufgabe nicht unterschätze,
daß ich aber meinen Entschluß noch keinen Augenblick bereut habe," lauten die
männlichen Worte, mit denen der unbeugsame, muthige Fürst seine Getreuen
verabschiedet.

Wo es nicht einmal möglich war, der nächsten Umgebung des Landes¬
herrn einen civilisüten Anstrich zu geben, wo man bei aller Unwahrheit und
Heuchelei außer Stande war, auch nur für die ersten Tage das Decorum einer
officiellen Lüge an den staatlichen Mittelpunkten zu beschaffen -- wie mußte
es da hinter den Coulissen aussehen, die vor jedem Monarchen aufgeführt
werden? Was unsere Reisende im Einzelnen von den Verwüstungen erzählt,
deren Schauplatz das herrliche, von der Natur mit verschwenderischer Pracht
ausgestattete und mit Denkmälern einer untergegangenen Cultur reich geschmückte
Land ist, wird man am besten ihren anmuthigen Aufzeichnungen selbst ent¬
nehmen; angedeutet sei nur noch, was über das gesellschaftliche Leben, die
Stellung der Frauen, vor allem aber der Jugenderziehung, -- diejenigen Gebiete,
welche der weiblichen Beobachtung am nächsten liegen, und doch zugleich poli¬
tisch die wichtigsten sind, erzählt wird. Langschläfern, Kirchenbesuch, Spa¬
zierritte, Toilette, Hazarvspiel und Theaterbesuch füllen die Tage der Gebildeten
aus, -- die Männer denken ebensowenig an Arbeit und Beruf, wie die Frauen
an Kinderzucht und Führung des Hauswesens, die Ignoranz ist selbst in den
obersten Classen so groß, daß die "geringsten" Begriffe von Geographie und
Geschichte fehlen. "In Europa giebt es für die Mexikaner nur Spanien, wo¬
her sie stammen, Rom, wo der Papst herrscht und Paris, woher ihre Kleider
kommen. Von anderen Ländern, anderen Nationen haben sie keine Ahnung
und sie konnten nicht begreifen, daß Französisch nicht unsere Landessprache sei."
Trotz der großen Fruchtbarkeit der Ehen ("fünfzehn, ja achtzehn Geburten von
einer Mutter sind nichts Seltenes") nimmt die Bevölkerung nicht allzu rasch
zu, denn zahllose Kinder gehen an der Sorglosigkeit ihrer Eltern zu Grunde.
Tags über sind sie der Aufsicht junger Indianerinnen anvertraut, nur Abends
um sechs Uhr lassen die Mütter sie holen, um sie mit auf die Paseosahrt zu
nehmen; halbnackt sitzen die Meinen an den offenen Fenstern schwerfälliger
Karossen, um in der Kühle des Abends der Erkältung ausgesetzt zu werden,
zu welcher die Gedankenlosigkeit und Eitelkeit der Eltern sie verurtheilt.
Wenn sie heranwachsen, schickt man sie in Pensionate oder Klöster. Eine fran-
zösische Klosterfrau Versicherte der Gräfin, sie habe nie so gelehrige, folgsame.


Reise durch seine Staaten, nur von wenigen Getreuen umgeben und von der
treuen Gefährtin seines Schicksals getrennt, da für diese die Reisestrapatzen in
dem weglos unsichern Lande unüberwindlich sind; in Jrapuato erkrankt er an
den Folgen von Erkältung und Ueberanstrengung und muß er darum die Be¬
endigung seiner Tour auf günstigere Zeiten verschieben. Wenig später kehren
die Gräfin Kolloniz und ihre Gefährten nach Europa zurück. „Sagen Sie
meiner Mutter, daß ich die Schwierigkeiten meiner Aufgabe nicht unterschätze,
daß ich aber meinen Entschluß noch keinen Augenblick bereut habe," lauten die
männlichen Worte, mit denen der unbeugsame, muthige Fürst seine Getreuen
verabschiedet.

Wo es nicht einmal möglich war, der nächsten Umgebung des Landes¬
herrn einen civilisüten Anstrich zu geben, wo man bei aller Unwahrheit und
Heuchelei außer Stande war, auch nur für die ersten Tage das Decorum einer
officiellen Lüge an den staatlichen Mittelpunkten zu beschaffen — wie mußte
es da hinter den Coulissen aussehen, die vor jedem Monarchen aufgeführt
werden? Was unsere Reisende im Einzelnen von den Verwüstungen erzählt,
deren Schauplatz das herrliche, von der Natur mit verschwenderischer Pracht
ausgestattete und mit Denkmälern einer untergegangenen Cultur reich geschmückte
Land ist, wird man am besten ihren anmuthigen Aufzeichnungen selbst ent¬
nehmen; angedeutet sei nur noch, was über das gesellschaftliche Leben, die
Stellung der Frauen, vor allem aber der Jugenderziehung, — diejenigen Gebiete,
welche der weiblichen Beobachtung am nächsten liegen, und doch zugleich poli¬
tisch die wichtigsten sind, erzählt wird. Langschläfern, Kirchenbesuch, Spa¬
zierritte, Toilette, Hazarvspiel und Theaterbesuch füllen die Tage der Gebildeten
aus, -- die Männer denken ebensowenig an Arbeit und Beruf, wie die Frauen
an Kinderzucht und Führung des Hauswesens, die Ignoranz ist selbst in den
obersten Classen so groß, daß die „geringsten" Begriffe von Geographie und
Geschichte fehlen. „In Europa giebt es für die Mexikaner nur Spanien, wo¬
her sie stammen, Rom, wo der Papst herrscht und Paris, woher ihre Kleider
kommen. Von anderen Ländern, anderen Nationen haben sie keine Ahnung
und sie konnten nicht begreifen, daß Französisch nicht unsere Landessprache sei."
Trotz der großen Fruchtbarkeit der Ehen („fünfzehn, ja achtzehn Geburten von
einer Mutter sind nichts Seltenes") nimmt die Bevölkerung nicht allzu rasch
zu, denn zahllose Kinder gehen an der Sorglosigkeit ihrer Eltern zu Grunde.
Tags über sind sie der Aufsicht junger Indianerinnen anvertraut, nur Abends
um sechs Uhr lassen die Mütter sie holen, um sie mit auf die Paseosahrt zu
nehmen; halbnackt sitzen die Meinen an den offenen Fenstern schwerfälliger
Karossen, um in der Kühle des Abends der Erkältung ausgesetzt zu werden,
zu welcher die Gedankenlosigkeit und Eitelkeit der Eltern sie verurtheilt.
Wenn sie heranwachsen, schickt man sie in Pensionate oder Klöster. Eine fran-
zösische Klosterfrau Versicherte der Gräfin, sie habe nie so gelehrige, folgsame.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191218"/>
          <p xml:id="ID_1736" prev="#ID_1735"> Reise durch seine Staaten, nur von wenigen Getreuen umgeben und von der<lb/>
treuen Gefährtin seines Schicksals getrennt, da für diese die Reisestrapatzen in<lb/>
dem weglos unsichern Lande unüberwindlich sind; in Jrapuato erkrankt er an<lb/>
den Folgen von Erkältung und Ueberanstrengung und muß er darum die Be¬<lb/>
endigung seiner Tour auf günstigere Zeiten verschieben. Wenig später kehren<lb/>
die Gräfin Kolloniz und ihre Gefährten nach Europa zurück. &#x201E;Sagen Sie<lb/>
meiner Mutter, daß ich die Schwierigkeiten meiner Aufgabe nicht unterschätze,<lb/>
daß ich aber meinen Entschluß noch keinen Augenblick bereut habe," lauten die<lb/>
männlichen Worte, mit denen der unbeugsame, muthige Fürst seine Getreuen<lb/>
verabschiedet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1737" next="#ID_1738"> Wo es nicht einmal möglich war, der nächsten Umgebung des Landes¬<lb/>
herrn einen civilisüten Anstrich zu geben, wo man bei aller Unwahrheit und<lb/>
Heuchelei außer Stande war, auch nur für die ersten Tage das Decorum einer<lb/>
officiellen Lüge an den staatlichen Mittelpunkten zu beschaffen &#x2014; wie mußte<lb/>
es da hinter den Coulissen aussehen, die vor jedem Monarchen aufgeführt<lb/>
werden? Was unsere Reisende im Einzelnen von den Verwüstungen erzählt,<lb/>
deren Schauplatz das herrliche, von der Natur mit verschwenderischer Pracht<lb/>
ausgestattete und mit Denkmälern einer untergegangenen Cultur reich geschmückte<lb/>
Land ist, wird man am besten ihren anmuthigen Aufzeichnungen selbst ent¬<lb/>
nehmen; angedeutet sei nur noch, was über das gesellschaftliche Leben, die<lb/>
Stellung der Frauen, vor allem aber der Jugenderziehung, &#x2014; diejenigen Gebiete,<lb/>
welche der weiblichen Beobachtung am nächsten liegen, und doch zugleich poli¬<lb/>
tisch die wichtigsten sind, erzählt wird.  Langschläfern, Kirchenbesuch, Spa¬<lb/>
zierritte, Toilette, Hazarvspiel und Theaterbesuch füllen die Tage der Gebildeten<lb/>
aus, -- die Männer denken ebensowenig an Arbeit und Beruf, wie die Frauen<lb/>
an Kinderzucht und Führung des Hauswesens, die Ignoranz ist selbst in den<lb/>
obersten Classen so groß, daß die &#x201E;geringsten" Begriffe von Geographie und<lb/>
Geschichte fehlen.  &#x201E;In Europa giebt es für die Mexikaner nur Spanien, wo¬<lb/>
her sie stammen, Rom, wo der Papst herrscht und Paris, woher ihre Kleider<lb/>
kommen. Von anderen Ländern, anderen Nationen haben sie keine Ahnung<lb/>
und sie konnten nicht begreifen, daß Französisch nicht unsere Landessprache sei."<lb/>
Trotz der großen Fruchtbarkeit der Ehen (&#x201E;fünfzehn, ja achtzehn Geburten von<lb/>
einer Mutter sind nichts Seltenes") nimmt die Bevölkerung nicht allzu rasch<lb/>
zu, denn zahllose Kinder gehen an der Sorglosigkeit ihrer Eltern zu Grunde.<lb/>
Tags über sind sie der Aufsicht junger Indianerinnen anvertraut, nur Abends<lb/>
um sechs Uhr lassen die Mütter sie holen, um sie mit auf die Paseosahrt zu<lb/>
nehmen; halbnackt sitzen die Meinen an den offenen Fenstern schwerfälliger<lb/>
Karossen, um in der Kühle des Abends der Erkältung ausgesetzt zu werden,<lb/>
zu welcher die Gedankenlosigkeit und Eitelkeit der Eltern sie verurtheilt.<lb/>
Wenn sie heranwachsen, schickt man sie in Pensionate oder Klöster. Eine fran-<lb/>
zösische Klosterfrau Versicherte der Gräfin, sie habe nie so gelehrige, folgsame.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] Reise durch seine Staaten, nur von wenigen Getreuen umgeben und von der treuen Gefährtin seines Schicksals getrennt, da für diese die Reisestrapatzen in dem weglos unsichern Lande unüberwindlich sind; in Jrapuato erkrankt er an den Folgen von Erkältung und Ueberanstrengung und muß er darum die Be¬ endigung seiner Tour auf günstigere Zeiten verschieben. Wenig später kehren die Gräfin Kolloniz und ihre Gefährten nach Europa zurück. „Sagen Sie meiner Mutter, daß ich die Schwierigkeiten meiner Aufgabe nicht unterschätze, daß ich aber meinen Entschluß noch keinen Augenblick bereut habe," lauten die männlichen Worte, mit denen der unbeugsame, muthige Fürst seine Getreuen verabschiedet. Wo es nicht einmal möglich war, der nächsten Umgebung des Landes¬ herrn einen civilisüten Anstrich zu geben, wo man bei aller Unwahrheit und Heuchelei außer Stande war, auch nur für die ersten Tage das Decorum einer officiellen Lüge an den staatlichen Mittelpunkten zu beschaffen — wie mußte es da hinter den Coulissen aussehen, die vor jedem Monarchen aufgeführt werden? Was unsere Reisende im Einzelnen von den Verwüstungen erzählt, deren Schauplatz das herrliche, von der Natur mit verschwenderischer Pracht ausgestattete und mit Denkmälern einer untergegangenen Cultur reich geschmückte Land ist, wird man am besten ihren anmuthigen Aufzeichnungen selbst ent¬ nehmen; angedeutet sei nur noch, was über das gesellschaftliche Leben, die Stellung der Frauen, vor allem aber der Jugenderziehung, — diejenigen Gebiete, welche der weiblichen Beobachtung am nächsten liegen, und doch zugleich poli¬ tisch die wichtigsten sind, erzählt wird. Langschläfern, Kirchenbesuch, Spa¬ zierritte, Toilette, Hazarvspiel und Theaterbesuch füllen die Tage der Gebildeten aus, -- die Männer denken ebensowenig an Arbeit und Beruf, wie die Frauen an Kinderzucht und Führung des Hauswesens, die Ignoranz ist selbst in den obersten Classen so groß, daß die „geringsten" Begriffe von Geographie und Geschichte fehlen. „In Europa giebt es für die Mexikaner nur Spanien, wo¬ her sie stammen, Rom, wo der Papst herrscht und Paris, woher ihre Kleider kommen. Von anderen Ländern, anderen Nationen haben sie keine Ahnung und sie konnten nicht begreifen, daß Französisch nicht unsere Landessprache sei." Trotz der großen Fruchtbarkeit der Ehen („fünfzehn, ja achtzehn Geburten von einer Mutter sind nichts Seltenes") nimmt die Bevölkerung nicht allzu rasch zu, denn zahllose Kinder gehen an der Sorglosigkeit ihrer Eltern zu Grunde. Tags über sind sie der Aufsicht junger Indianerinnen anvertraut, nur Abends um sechs Uhr lassen die Mütter sie holen, um sie mit auf die Paseosahrt zu nehmen; halbnackt sitzen die Meinen an den offenen Fenstern schwerfälliger Karossen, um in der Kühle des Abends der Erkältung ausgesetzt zu werden, zu welcher die Gedankenlosigkeit und Eitelkeit der Eltern sie verurtheilt. Wenn sie heranwachsen, schickt man sie in Pensionate oder Klöster. Eine fran- zösische Klosterfrau Versicherte der Gräfin, sie habe nie so gelehrige, folgsame.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/524>, abgerufen am 06.02.2025.