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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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peditionstruppcn, dem Hauptquartier des gelben Fiebers und des Vomito, lan¬
det der neue Herrscher mit seinen Getreuen: niemand hat den Muth ihn zu
empfangen und die ersten Worte, welche er auf dem Boden seines Reichs zu
hören bekommt, sind die brutalen Phrasen, in welchen der Contreadmiral
Bosse die Gefahren des Uebernachtens an Ort und Stelle und die Unmöglich¬
keit einer gesicherten Reise in die Hauptstadt schildert. Erst am Abend des langen,
peinlich verbrachten ersten Tages erscheinen Almonte und einige andere Notable,
um den Monarchen zu bewillkommnen. Andern Tags findet eine Art von Em¬
pfang statt, dessen Frostigkeit das europäische Gefolge sofort in Erstaunen seht;
dann steigt man auf freiem Felde in einen Bahnzug, der die Gesellschaft nach
Soledad führt. Hier muß der größte Theil des Gefolges sich von dem fürst¬
lichen Paar trennen, weil niemand es für nothwendig gehalten, Vorbereitungen
zur Beförderung einer größeren Reisegesellschaft zu treffen. Unterwegs be¬
kommen die Gräfin und ihre Gefährten eigentlich nur Indianer zu sehen, die
(wie wir von K-sratry erfahren) durch Versprechungen und Märchen zusammen¬
getrommelt worden waren; die Mexikaner, von denen die Fremdlinge auf den
Stationen empfangen werden, zeichnen sich zwar durch Höflichkeit und gute
Formen aus. tragen aber das Gepräge von Müßiggängern und charakterlosen
Genußmenschen so deutlich auf dem Gesicht, daß selbst die harmlose junge Frau,
der wir diese Mittheilungen danken, außer Zweifel darüber ist, mit wem sie es
zu thun hat. Unsere Berichterstatterin ist besonders erstaunt über den Pessi-
mismus und die unverhohlene Verachtung, mit welcher die Mexikaner von sich
selbst und ihrem Vaterlande reden. Phrasen wie: "<une2 nous rien n'est or-
-zarms6 guo le vol" und "es giebt hier nur Schurken und Diebe", werden
von hochgestellten Staatsmännern mit ebenso viel Seelenruhe wie Ueberzeugung
ausgesprochen. Puebla, der Ort, in welchem die Passagiere am glänzendsten
empfangen, ja "mit Jubel" begrüßt werden, liegt zum Theil in Trümmern und
trägt noch alle Spuren der eben erlittenen Belagerung, welche dem General
Forey wohlfeile Lorbeeren, den Parisern die bekannte "Rose von Puebla" ein-
getragen. Der Einzug in die Hauptstadt Mexiko macht trotz der Vorbereitungen,
welche ihm vorhergegangen, den Eindruck eines Theatcraufzugs auf einer ver¬
kommenen Bühne zweiten Ranges und nur die unglückliche Kaiserin besitzt Muth
und Optimismus genug, um noch an eine rosenfarbene Zukunft zu glauben. Nach
der Messe findet die feierliche Vorstellung der Notabeln statt, unter denen Ge-
neral Miramon die hervorragendste Stelle einnimmt -- ein junger Mann, dem
"jenes sanfte, seine und schlaue Wesen eigen ist", das die Mexikaner kenn¬
zeichnet, ebenso bekannt durch seine Tapferkeit und Popularität wie durch seine
Unthaten. Abends um 8 Uhr ist Gallatheater angesagt -- als das Kaiserpaar
in seiner Loge erscheint, ist das Haus noch völlig leer, "denn kein Mexikaner ist
pünktlich." Nachdem man einer erbärmlichen Vorstellung der halevyschen Jüdin


peditionstruppcn, dem Hauptquartier des gelben Fiebers und des Vomito, lan¬
det der neue Herrscher mit seinen Getreuen: niemand hat den Muth ihn zu
empfangen und die ersten Worte, welche er auf dem Boden seines Reichs zu
hören bekommt, sind die brutalen Phrasen, in welchen der Contreadmiral
Bosse die Gefahren des Uebernachtens an Ort und Stelle und die Unmöglich¬
keit einer gesicherten Reise in die Hauptstadt schildert. Erst am Abend des langen,
peinlich verbrachten ersten Tages erscheinen Almonte und einige andere Notable,
um den Monarchen zu bewillkommnen. Andern Tags findet eine Art von Em¬
pfang statt, dessen Frostigkeit das europäische Gefolge sofort in Erstaunen seht;
dann steigt man auf freiem Felde in einen Bahnzug, der die Gesellschaft nach
Soledad führt. Hier muß der größte Theil des Gefolges sich von dem fürst¬
lichen Paar trennen, weil niemand es für nothwendig gehalten, Vorbereitungen
zur Beförderung einer größeren Reisegesellschaft zu treffen. Unterwegs be¬
kommen die Gräfin und ihre Gefährten eigentlich nur Indianer zu sehen, die
(wie wir von K-sratry erfahren) durch Versprechungen und Märchen zusammen¬
getrommelt worden waren; die Mexikaner, von denen die Fremdlinge auf den
Stationen empfangen werden, zeichnen sich zwar durch Höflichkeit und gute
Formen aus. tragen aber das Gepräge von Müßiggängern und charakterlosen
Genußmenschen so deutlich auf dem Gesicht, daß selbst die harmlose junge Frau,
der wir diese Mittheilungen danken, außer Zweifel darüber ist, mit wem sie es
zu thun hat. Unsere Berichterstatterin ist besonders erstaunt über den Pessi-
mismus und die unverhohlene Verachtung, mit welcher die Mexikaner von sich
selbst und ihrem Vaterlande reden. Phrasen wie: „<une2 nous rien n'est or-
-zarms6 guo le vol" und „es giebt hier nur Schurken und Diebe", werden
von hochgestellten Staatsmännern mit ebenso viel Seelenruhe wie Ueberzeugung
ausgesprochen. Puebla, der Ort, in welchem die Passagiere am glänzendsten
empfangen, ja „mit Jubel" begrüßt werden, liegt zum Theil in Trümmern und
trägt noch alle Spuren der eben erlittenen Belagerung, welche dem General
Forey wohlfeile Lorbeeren, den Parisern die bekannte „Rose von Puebla" ein-
getragen. Der Einzug in die Hauptstadt Mexiko macht trotz der Vorbereitungen,
welche ihm vorhergegangen, den Eindruck eines Theatcraufzugs auf einer ver¬
kommenen Bühne zweiten Ranges und nur die unglückliche Kaiserin besitzt Muth
und Optimismus genug, um noch an eine rosenfarbene Zukunft zu glauben. Nach
der Messe findet die feierliche Vorstellung der Notabeln statt, unter denen Ge-
neral Miramon die hervorragendste Stelle einnimmt — ein junger Mann, dem
„jenes sanfte, seine und schlaue Wesen eigen ist", das die Mexikaner kenn¬
zeichnet, ebenso bekannt durch seine Tapferkeit und Popularität wie durch seine
Unthaten. Abends um 8 Uhr ist Gallatheater angesagt — als das Kaiserpaar
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pünktlich." Nachdem man einer erbärmlichen Vorstellung der halevyschen Jüdin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/522>, abgerufen am 03.07.2024.