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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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den Schutz der Gesetze, die Macht der Oeffentlichkeit, den Geist unsers Jahr¬
hunderts anrufen, denn meine Vaterpflicht ists auch, daß ihr solche Erbärmlich¬
keiten nicht mehr erlebt, und wenn ihr dadurch selbst Heimath und Vermögen
verlieren solltet."

So verließ ich mein Haus mit dem Wible, das mich durchaus nicht allein aus
den Weg lassen wollte. Schweigend schritten wir durch das stille Dorf, während
im Osten ein herrlicher Morgen seinen ersten Gruß über die Bergspitzen herab¬
schickte. Wohl niemand außer uns sah das Leuchten und Glühen da oben,
niemand hörte die schönsten Morgenlieder der muntern Vögel, die Leute schlie¬
fen ja den Schlaf des Gerechten, bis das Ave-Maria-Glöcklein sie weckte. Von
An an gings stark aufwärts, zuerst durch einen noch winterlich starren Buchen¬
wald, dann über stille Alpen, in deren eingefahrenen Hütten wohl noch manches
sagenhafte Wesen Hausen mochte. "Vielleicht werden einst die Leute da unten
auch mich als ruheloses Gespenst herumgehen sehen in meinem Arbeitszimmer
mit einem gottlosen Buch oder einer Schreibfeder in der Hand, und sich wie
vor dem Bösen mit einem Kreuze bezeichnen." "Nicht in deinem Wingolf
wie dus nennst, sondern unter dem Volle wirst du als Geist herumgehen,"
meinte das Wible und fuhr, als ich den Kopf schüttelte, stehen bleibend fort:
"Schau dahinab vor dir! Da draußen ist der Frühling schon hergezogen und
in unserem Thal beginnts erst zu grünen und hier oben starren uns noch kirch-
thurmhohe Schneemassen an. So kommen auch der Gedanke, der die Welt be¬
wegt und die Aufklärung nur allmälig zu uns herein." --

"Meine Meinung war immer," sagte ich, "wie die zehn Gebote und die
Predigt Jesu, so müsse auch die wahre Freiheit, das Evangelium der religiösen und
gesellschaftlichen Gleichberechtigung von den Bergen kommen. Eine neue frucht¬
bare Idee diene Einzelnen nur, um die Andern auszubeuten. Erst wenn auch
der gemeine Mann für dieselbe einstehe, könne sie für ein ganzes Volk er-
obert und fruchtbar gemacht werden. In diesem Sinne chab ich für meine
Heimath gewirkt, bis man mich vertrieb. Vor acht Jahren warf ich meine
ersten schriftstellerischen Versuche sammt meinen Tagbüchern ins Feuer und nahm
mir vor, nun ganz der Heimath und meiner Nanni zu gehören, nun aber könnte
es denn doch nöthig werden, sich umzusehen, was der gerühmte Geist unseres
aufgeklärten Jahrhunderts für mich thun werde. Nach dein, was ich, das Bäuer-
lein. bisher von ihm erfahren hätte, dürfe man jedenfalls alles Gute hoffen,
nur nicht daß man ihn so schnell auch da hereinbringen werde."

Wir redeten nun von unserem lieben verehrten Freunde, Herrn Dr. Hildebrand
'n Leipzig, der sich seit einem Jahr meiner und der Sonderlinge so liebevoll angenom¬
men hatte, und von allen Lieben und Guten da draußen, die auch das Bäuerlein
schon auf diese oder jene Art mit Beweisen ihrer Theilnahme erfreuten. So
kamen wir auf dem bösen Wege vorwärts, wir wußten selbst kaum wie. Im


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den Schutz der Gesetze, die Macht der Oeffentlichkeit, den Geist unsers Jahr¬
hunderts anrufen, denn meine Vaterpflicht ists auch, daß ihr solche Erbärmlich¬
keiten nicht mehr erlebt, und wenn ihr dadurch selbst Heimath und Vermögen
verlieren solltet."

So verließ ich mein Haus mit dem Wible, das mich durchaus nicht allein aus
den Weg lassen wollte. Schweigend schritten wir durch das stille Dorf, während
im Osten ein herrlicher Morgen seinen ersten Gruß über die Bergspitzen herab¬
schickte. Wohl niemand außer uns sah das Leuchten und Glühen da oben,
niemand hörte die schönsten Morgenlieder der muntern Vögel, die Leute schlie¬
fen ja den Schlaf des Gerechten, bis das Ave-Maria-Glöcklein sie weckte. Von
An an gings stark aufwärts, zuerst durch einen noch winterlich starren Buchen¬
wald, dann über stille Alpen, in deren eingefahrenen Hütten wohl noch manches
sagenhafte Wesen Hausen mochte. „Vielleicht werden einst die Leute da unten
auch mich als ruheloses Gespenst herumgehen sehen in meinem Arbeitszimmer
mit einem gottlosen Buch oder einer Schreibfeder in der Hand, und sich wie
vor dem Bösen mit einem Kreuze bezeichnen." „Nicht in deinem Wingolf
wie dus nennst, sondern unter dem Volle wirst du als Geist herumgehen,"
meinte das Wible und fuhr, als ich den Kopf schüttelte, stehen bleibend fort:
„Schau dahinab vor dir! Da draußen ist der Frühling schon hergezogen und
in unserem Thal beginnts erst zu grünen und hier oben starren uns noch kirch-
thurmhohe Schneemassen an. So kommen auch der Gedanke, der die Welt be¬
wegt und die Aufklärung nur allmälig zu uns herein." —

„Meine Meinung war immer," sagte ich, „wie die zehn Gebote und die
Predigt Jesu, so müsse auch die wahre Freiheit, das Evangelium der religiösen und
gesellschaftlichen Gleichberechtigung von den Bergen kommen. Eine neue frucht¬
bare Idee diene Einzelnen nur, um die Andern auszubeuten. Erst wenn auch
der gemeine Mann für dieselbe einstehe, könne sie für ein ganzes Volk er-
obert und fruchtbar gemacht werden. In diesem Sinne chab ich für meine
Heimath gewirkt, bis man mich vertrieb. Vor acht Jahren warf ich meine
ersten schriftstellerischen Versuche sammt meinen Tagbüchern ins Feuer und nahm
mir vor, nun ganz der Heimath und meiner Nanni zu gehören, nun aber könnte
es denn doch nöthig werden, sich umzusehen, was der gerühmte Geist unseres
aufgeklärten Jahrhunderts für mich thun werde. Nach dein, was ich, das Bäuer-
lein. bisher von ihm erfahren hätte, dürfe man jedenfalls alles Gute hoffen,
nur nicht daß man ihn so schnell auch da hereinbringen werde."

Wir redeten nun von unserem lieben verehrten Freunde, Herrn Dr. Hildebrand
'n Leipzig, der sich seit einem Jahr meiner und der Sonderlinge so liebevoll angenom¬
men hatte, und von allen Lieben und Guten da draußen, die auch das Bäuerlein
schon auf diese oder jene Art mit Beweisen ihrer Theilnahme erfreuten. So
kamen wir auf dem bösen Wege vorwärts, wir wußten selbst kaum wie. Im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/507>, abgerufen am 28.09.2024.