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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Der Riß, der in meiner Heimath und auch in den Nachbargemeinden sich
aufgethan hatte, ging mitten durch die Häuser zwischen Kindern und Eltern,
zwischen Brüdern und Schwestern, ja zwischen Gatten und Gattin hindurch, und
alles schien zusammenzuwirken, um die Wuth der Rohesten gegen den vermeint¬
lichen Unheilstifter aufs Höchste zu treiben.

Vergebens ersuchten die angesehensten Männer meiner Heimath den Pfarrer,
von heiliger Stätte aus ein beruhigendes Wort an die Gemeinde zu richten.
Und als ich später von ihnen begleitet selbst in den Pfarrhof ging, um Herrn
Rüscher die Unwahrheit der Gerüchte über mich und meine Bestrebungen zu
beweisen und ihn zu einer Erklärung zu veranlassen, wollte er mich vor Zeugen
gar nicht anhören, und als wir zwei dann allein verhandelten, wurde die Er¬
klärung, die mich sichern konnte, rundweg verweigert.

Auf dem Kirchweihmarkt in An am 5. Mai wurde mit Fingern auf den
neuen Irrlehrer gewiesen, und häufleinweise stellten grobe Burschen und Männer
sich unheimlich flüsternd um mich herum, während andere mich neckten und auch
auf andere Weise ihre Absicht, mich in einen Streit zu verwickeln, verriethen.
Unter diesen Leuten, sür die ich besonders in den letzten Jahren so viel geredet
und gewirkt hatte, kam ich mir heute wie ein Ausgestoßener vor. Anfangs
war mirs, ob sie mich nur verhöhnen wollten, bald aber that mir ihr Undank
noch mehr weh. Ich sah mich im allerfin stechen Mittelalter, und wie mir jetzt,
kann nur einem Vervehmten zu Muthe gewesen sein, der nie mehr sicher war,
wann und wo der tödtliche Streich ihn treffen werde. Meine Freunde und
das treue Wible ließen mich nicht mehr aus den Augen, bis wir im Herrenstüble
beim Rößlewirth eine Zufluchtsstätte fanden.

Es war spät, als wir mit mehren guten Freunden nach Schoppernau
zurückführen. Aber weder ich roads Wible dachten in der Nacht an Ruhe und
Schlaf. Auch meine Freunde, lauter kräftige Bauernbursche und Handwerker,
hatten mich gewarnt, allein und besonders zur Nacht mich nicht mehr weit
zu wagen.

"Luft, Luft. Freiheit!" rief ich plötzlich aus, und auch das Wible gestand
trotz der Feldarbeit, die eben jetzt begann: "Ja, du mußt fort! Fort zu deinem
Bruder, der ein Herz für dich hat und gewiß auch den Schutz der Gesetze für
dich anrufen wird." Das Wible begann sogleich das Nöthigste zur Reise ein¬
zupacke". Beim Kaffeetrinken gab ich noch die nöthigen Aufträge wegen der
von mir für die Gemeinde errichteten Viehassecuranz und der Leihbibliothek.
Dann nahm ich Abschied von meiner Mutter. Die edle Dulderin konnte mir
nur sagen: sie fühle jetzt, daß meine Absicht gut sei, drum wolle sie auch das
in Gottes Namen geduldig ertragen. Feuchten Auges wendete ich mich den
um die Großmutter herum schlummernden vier Kindern zu, und ich konnte mich
nicht enthalten, laut auszurufen: "Ja, ich muß den Kampf ausnehmen, muß


Der Riß, der in meiner Heimath und auch in den Nachbargemeinden sich
aufgethan hatte, ging mitten durch die Häuser zwischen Kindern und Eltern,
zwischen Brüdern und Schwestern, ja zwischen Gatten und Gattin hindurch, und
alles schien zusammenzuwirken, um die Wuth der Rohesten gegen den vermeint¬
lichen Unheilstifter aufs Höchste zu treiben.

Vergebens ersuchten die angesehensten Männer meiner Heimath den Pfarrer,
von heiliger Stätte aus ein beruhigendes Wort an die Gemeinde zu richten.
Und als ich später von ihnen begleitet selbst in den Pfarrhof ging, um Herrn
Rüscher die Unwahrheit der Gerüchte über mich und meine Bestrebungen zu
beweisen und ihn zu einer Erklärung zu veranlassen, wollte er mich vor Zeugen
gar nicht anhören, und als wir zwei dann allein verhandelten, wurde die Er¬
klärung, die mich sichern konnte, rundweg verweigert.

Auf dem Kirchweihmarkt in An am 5. Mai wurde mit Fingern auf den
neuen Irrlehrer gewiesen, und häufleinweise stellten grobe Burschen und Männer
sich unheimlich flüsternd um mich herum, während andere mich neckten und auch
auf andere Weise ihre Absicht, mich in einen Streit zu verwickeln, verriethen.
Unter diesen Leuten, sür die ich besonders in den letzten Jahren so viel geredet
und gewirkt hatte, kam ich mir heute wie ein Ausgestoßener vor. Anfangs
war mirs, ob sie mich nur verhöhnen wollten, bald aber that mir ihr Undank
noch mehr weh. Ich sah mich im allerfin stechen Mittelalter, und wie mir jetzt,
kann nur einem Vervehmten zu Muthe gewesen sein, der nie mehr sicher war,
wann und wo der tödtliche Streich ihn treffen werde. Meine Freunde und
das treue Wible ließen mich nicht mehr aus den Augen, bis wir im Herrenstüble
beim Rößlewirth eine Zufluchtsstätte fanden.

Es war spät, als wir mit mehren guten Freunden nach Schoppernau
zurückführen. Aber weder ich roads Wible dachten in der Nacht an Ruhe und
Schlaf. Auch meine Freunde, lauter kräftige Bauernbursche und Handwerker,
hatten mich gewarnt, allein und besonders zur Nacht mich nicht mehr weit
zu wagen.

„Luft, Luft. Freiheit!" rief ich plötzlich aus, und auch das Wible gestand
trotz der Feldarbeit, die eben jetzt begann: „Ja, du mußt fort! Fort zu deinem
Bruder, der ein Herz für dich hat und gewiß auch den Schutz der Gesetze für
dich anrufen wird." Das Wible begann sogleich das Nöthigste zur Reise ein¬
zupacke». Beim Kaffeetrinken gab ich noch die nöthigen Aufträge wegen der
von mir für die Gemeinde errichteten Viehassecuranz und der Leihbibliothek.
Dann nahm ich Abschied von meiner Mutter. Die edle Dulderin konnte mir
nur sagen: sie fühle jetzt, daß meine Absicht gut sei, drum wolle sie auch das
in Gottes Namen geduldig ertragen. Feuchten Auges wendete ich mich den
um die Großmutter herum schlummernden vier Kindern zu, und ich konnte mich
nicht enthalten, laut auszurufen: „Ja, ich muß den Kampf ausnehmen, muß


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[0506] Der Riß, der in meiner Heimath und auch in den Nachbargemeinden sich aufgethan hatte, ging mitten durch die Häuser zwischen Kindern und Eltern, zwischen Brüdern und Schwestern, ja zwischen Gatten und Gattin hindurch, und alles schien zusammenzuwirken, um die Wuth der Rohesten gegen den vermeint¬ lichen Unheilstifter aufs Höchste zu treiben. Vergebens ersuchten die angesehensten Männer meiner Heimath den Pfarrer, von heiliger Stätte aus ein beruhigendes Wort an die Gemeinde zu richten. Und als ich später von ihnen begleitet selbst in den Pfarrhof ging, um Herrn Rüscher die Unwahrheit der Gerüchte über mich und meine Bestrebungen zu beweisen und ihn zu einer Erklärung zu veranlassen, wollte er mich vor Zeugen gar nicht anhören, und als wir zwei dann allein verhandelten, wurde die Er¬ klärung, die mich sichern konnte, rundweg verweigert. Auf dem Kirchweihmarkt in An am 5. Mai wurde mit Fingern auf den neuen Irrlehrer gewiesen, und häufleinweise stellten grobe Burschen und Männer sich unheimlich flüsternd um mich herum, während andere mich neckten und auch auf andere Weise ihre Absicht, mich in einen Streit zu verwickeln, verriethen. Unter diesen Leuten, sür die ich besonders in den letzten Jahren so viel geredet und gewirkt hatte, kam ich mir heute wie ein Ausgestoßener vor. Anfangs war mirs, ob sie mich nur verhöhnen wollten, bald aber that mir ihr Undank noch mehr weh. Ich sah mich im allerfin stechen Mittelalter, und wie mir jetzt, kann nur einem Vervehmten zu Muthe gewesen sein, der nie mehr sicher war, wann und wo der tödtliche Streich ihn treffen werde. Meine Freunde und das treue Wible ließen mich nicht mehr aus den Augen, bis wir im Herrenstüble beim Rößlewirth eine Zufluchtsstätte fanden. Es war spät, als wir mit mehren guten Freunden nach Schoppernau zurückführen. Aber weder ich roads Wible dachten in der Nacht an Ruhe und Schlaf. Auch meine Freunde, lauter kräftige Bauernbursche und Handwerker, hatten mich gewarnt, allein und besonders zur Nacht mich nicht mehr weit zu wagen. „Luft, Luft. Freiheit!" rief ich plötzlich aus, und auch das Wible gestand trotz der Feldarbeit, die eben jetzt begann: „Ja, du mußt fort! Fort zu deinem Bruder, der ein Herz für dich hat und gewiß auch den Schutz der Gesetze für dich anrufen wird." Das Wible begann sogleich das Nöthigste zur Reise ein¬ zupacke». Beim Kaffeetrinken gab ich noch die nöthigen Aufträge wegen der von mir für die Gemeinde errichteten Viehassecuranz und der Leihbibliothek. Dann nahm ich Abschied von meiner Mutter. Die edle Dulderin konnte mir nur sagen: sie fühle jetzt, daß meine Absicht gut sei, drum wolle sie auch das in Gottes Namen geduldig ertragen. Feuchten Auges wendete ich mich den um die Großmutter herum schlummernden vier Kindern zu, und ich konnte mich nicht enthalten, laut auszurufen: „Ja, ich muß den Kampf ausnehmen, muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/506>, abgerufen am 03.07.2024.