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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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deren Verfasser mich die frommen Herren unter der Hand zu nennen die Auf¬
merksamkeit hatten.

Ein Kapuziner in Bezau brachte sogar einen Arbeiter beim Lithographie¬
besitzer Feuerstein zu einem kleinen frommen Diebstahl, um eine noch nicht ver¬
öffentlichte Schrift von mir in die heiligen Hände zu bekommen und dann als
bereits erschienen zu verprcdigen. Hauptsächlich richtete sich der fromme Zorn
des guten Paters gegen folgende, nach seinem Dafürhalten von dem Gottes-
läugner Lessing kommende Stelle: "Wie einer ist, so ist sein Gott." "Was."
ruft der Prediger mit einem dröhnenden Schlag auf die Kanzel, "Einer ist ein
Hurer, folglich wäre Gott auch ein --, ein Anderer ist ein Dieb, und Gott
--, wieder ein Anderer lügt, also --!? Haben die ärgsten Heiden in ihrem
Sündenleben je diesen Schriftsteller an Frechheit erreicht?"

Und dann hatte der Kämpfer Christi noch die Kühnheit, einem frommen
Häuflein zu erzählen, wie er in den Besitz der verPredigten Schrift gekommen
war, um damit zu beweisen, daß ich wirklich der Versasser derselben sei. Da
ich im letzten Winter mit schriftstellerischen Arbeiten so beschäftiget war, daß ich
zur Verrichtung der gröbsten Feldarbeiten zuweilen einen Tagwerker hielt, ent¬
stand nun plötzlich und wie auf ein gegebenes Zeichen in mehren Dörfern das
Gerede: ich brauchte nicht mehr zu arbeiten, da ich ja Geld von den Frei-
maurern erhielte, wofür ich dann das Land um seinen heiligen Glauben bringen
müsse. Meine Heimathgemeinde kam in den Ruf, daß es da kaum noch ein Dutzend
gute Christen gäbe, und zum Beweise wurden von einzelnen Bürgern, von
meinen Freunden und besonders von der durch mich im letzten Winter für die
Gemeinde errichteten Leihbibliothek Dinge erzählt, daß einem dabei Sehen und
Hören hätte vergehen können.

Während meine Verwandten jammerten und mich im Gebet einschlossen,
bedauerten Andere an öffentlichen Orten mit frommem Augenverdrehen, daß
mir vor sieben Jahren der Zimmermann das Leben gerettet und nicht lieber
einen Klotz an den Kopf geworfen habe. Des Pfarrers Vater meinte, bei ihm
in Bezau oder Reutte würde man mit so Einem wie mir nicht viel Wesens
machen. Man that ihm das andere Auge auch noch ausstechen und ihn dann
erschlagen. Aber auch in Schoppernau werde man mit so einem kleinen Männ¬
lein schon noch fertig werden. Viele schienen der Ansicht, und Einige sprayen
es offen aus, es wäre ein gutes Werk, wenn man mich so mit Glimpf auf
die Seite bringen würde. Meine Freunde, die die Aufregung mit jeder Pre¬
digt gegen das Lesen, gegen Schriftsteller und Freimaurer nur noch wachsen
sahen, singen an, für meine körperliche, ich selbst für meine geistige Existenz
das Aergste zu fürchten. Die fanatisirten Leute waren schon so weit, daß etwas
Häßliches geschehen mußte, wenn nicht sofort mit mächtiger Stimme "Halt"
gerufen wurde.


Grenzboten II. 1867. 64

deren Verfasser mich die frommen Herren unter der Hand zu nennen die Auf¬
merksamkeit hatten.

Ein Kapuziner in Bezau brachte sogar einen Arbeiter beim Lithographie¬
besitzer Feuerstein zu einem kleinen frommen Diebstahl, um eine noch nicht ver¬
öffentlichte Schrift von mir in die heiligen Hände zu bekommen und dann als
bereits erschienen zu verprcdigen. Hauptsächlich richtete sich der fromme Zorn
des guten Paters gegen folgende, nach seinem Dafürhalten von dem Gottes-
läugner Lessing kommende Stelle: „Wie einer ist, so ist sein Gott." „Was."
ruft der Prediger mit einem dröhnenden Schlag auf die Kanzel, „Einer ist ein
Hurer, folglich wäre Gott auch ein —, ein Anderer ist ein Dieb, und Gott
—, wieder ein Anderer lügt, also —!? Haben die ärgsten Heiden in ihrem
Sündenleben je diesen Schriftsteller an Frechheit erreicht?"

Und dann hatte der Kämpfer Christi noch die Kühnheit, einem frommen
Häuflein zu erzählen, wie er in den Besitz der verPredigten Schrift gekommen
war, um damit zu beweisen, daß ich wirklich der Versasser derselben sei. Da
ich im letzten Winter mit schriftstellerischen Arbeiten so beschäftiget war, daß ich
zur Verrichtung der gröbsten Feldarbeiten zuweilen einen Tagwerker hielt, ent¬
stand nun plötzlich und wie auf ein gegebenes Zeichen in mehren Dörfern das
Gerede: ich brauchte nicht mehr zu arbeiten, da ich ja Geld von den Frei-
maurern erhielte, wofür ich dann das Land um seinen heiligen Glauben bringen
müsse. Meine Heimathgemeinde kam in den Ruf, daß es da kaum noch ein Dutzend
gute Christen gäbe, und zum Beweise wurden von einzelnen Bürgern, von
meinen Freunden und besonders von der durch mich im letzten Winter für die
Gemeinde errichteten Leihbibliothek Dinge erzählt, daß einem dabei Sehen und
Hören hätte vergehen können.

Während meine Verwandten jammerten und mich im Gebet einschlossen,
bedauerten Andere an öffentlichen Orten mit frommem Augenverdrehen, daß
mir vor sieben Jahren der Zimmermann das Leben gerettet und nicht lieber
einen Klotz an den Kopf geworfen habe. Des Pfarrers Vater meinte, bei ihm
in Bezau oder Reutte würde man mit so Einem wie mir nicht viel Wesens
machen. Man that ihm das andere Auge auch noch ausstechen und ihn dann
erschlagen. Aber auch in Schoppernau werde man mit so einem kleinen Männ¬
lein schon noch fertig werden. Viele schienen der Ansicht, und Einige sprayen
es offen aus, es wäre ein gutes Werk, wenn man mich so mit Glimpf auf
die Seite bringen würde. Meine Freunde, die die Aufregung mit jeder Pre¬
digt gegen das Lesen, gegen Schriftsteller und Freimaurer nur noch wachsen
sahen, singen an, für meine körperliche, ich selbst für meine geistige Existenz
das Aergste zu fürchten. Die fanatisirten Leute waren schon so weit, daß etwas
Häßliches geschehen mußte, wenn nicht sofort mit mächtiger Stimme „Halt"
gerufen wurde.


Grenzboten II. 1867. 64
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/505>, abgerufen am 01.07.2024.