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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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noch konnte ich mir das Weinen nicht wehren. Der erschrockene Bater nannte
mich zuerst einen närrischen Jungen, mahnte mich dann durch einige Rippen¬
stöße zum Schweigen und führte mich, da auch Versprechen, Bitten und Drohen
nichts nützen wollte, noch lange vor dem Schlüsse des Gottesdienstes aus der
Kirche. Und dann habe ich auch daheim in meinem Kämmerlein einen Altar
auf einem alten Mehltrog aufgerichtet, mit Baumzweigen statt Blumen und
Weidenruthen statt Kerzen, und Kuhschellen haben geläutet zu^der Messe, die
nun in einem über die Kleider angezogenen Hemde fast täglich von mir gelesen
oder gebrummt wurde, bis der Sturm des Jahres 1848 die erste Zeitung in
unser Haus trug,"

"Uns Anderen war bald die Weile lang, wenn wir uns einmal in dein
Altarkämmerlein schwatzen ließen," sagte der Schreiner.

"Aus dem Altarkämmerlein ist für jetzt mein Schreibstübchen geworden,
aber noch immer giebt es Wenige, die dorthin zu mir kommen mögen."

"Du kannst allenfalls zu den Anderen heraus," meinte der Zimmermann,
"jetzt hängst du nicht mehr an einem Nagel wie früher. Seit du nicht blos
mit einem Buche dich einsperrst, oder die düstersten Tobel, die dunkelsten Wälder
aufsuchst, ist mir für dich nicht mehr bange. Dem, der etwas Rechtes kann
und etwas thut, haben die Bregenzerwälder noch immer Hochachtung und Liebe
entgegengebracht, und ihn mit Stolz den Ihrigen genannt. Solche Grübler und
Rechner aber kann das Volk nun einmal nicht leiden. Man kanns eben ganz
gut mit Einem im Sinn haben, und ihm doch Unrecht thun, drum solltest du
nicht glauben, daß alle deine Gegner waren, die dir etwas in den Weg
legten. Besonders nach dem Tode meiner ältesten Schwester, der dir so sehr
zu Herzen ging, sah man dich immer verbitterter werden. Viele, die du durch
dein zuweilen ausgelassenes Betragen nicht zu täuschen vermochtest, wußten dich
unglücklich und wollten dir eben auf ihre Weise helfen. Nun -- ich hab dich
auch nicht grade sänftiglich erfaßt, als ich dich aus dem Wasser zog, und doch
hast du mir darum noch nie Vorwürfe gemacht; willst du nun ungerechter sein
gegen die, welche es ebenso gut meinen, wie ich es damals gemeint habe?"

"Nein," sagte ich gerührt. "Die Gemeinde hats mit mir beinahe gehabt
wie meine gute Mutter, die meinetwegen so viel sorgen und ausstehen
mußte, nachdem der Vater Anno 49 am Schlagfluß starb. Sie glaubte den
schwächlichen, etwas kurzsichtigen Knaben nie Andern und auch nie sich selbst
überlassen zu dürfen. Und der Trotzkopf wollte gar nicht geführt sein, wollte
sich nicht warnen und nicht leiten lassen. Sobald er etwas verdienen konnte,
bestellte er zum Aerger aller spatsamen Vettern und Basen eine Zeitung wie
Pfarrer oder Vorsteher, und später ließ er sich bis von Lindau herein ganz
theure Bücher kommen, die ihn immer noch wunderlicher machten. Wohl ver¬
richtete er seine Arbeiten, aber sein Humor dabei war nicht der eines achtzehn-


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noch konnte ich mir das Weinen nicht wehren. Der erschrockene Bater nannte
mich zuerst einen närrischen Jungen, mahnte mich dann durch einige Rippen¬
stöße zum Schweigen und führte mich, da auch Versprechen, Bitten und Drohen
nichts nützen wollte, noch lange vor dem Schlüsse des Gottesdienstes aus der
Kirche. Und dann habe ich auch daheim in meinem Kämmerlein einen Altar
auf einem alten Mehltrog aufgerichtet, mit Baumzweigen statt Blumen und
Weidenruthen statt Kerzen, und Kuhschellen haben geläutet zu^der Messe, die
nun in einem über die Kleider angezogenen Hemde fast täglich von mir gelesen
oder gebrummt wurde, bis der Sturm des Jahres 1848 die erste Zeitung in
unser Haus trug,"

„Uns Anderen war bald die Weile lang, wenn wir uns einmal in dein
Altarkämmerlein schwatzen ließen," sagte der Schreiner.

„Aus dem Altarkämmerlein ist für jetzt mein Schreibstübchen geworden,
aber noch immer giebt es Wenige, die dorthin zu mir kommen mögen."

„Du kannst allenfalls zu den Anderen heraus," meinte der Zimmermann,
„jetzt hängst du nicht mehr an einem Nagel wie früher. Seit du nicht blos
mit einem Buche dich einsperrst, oder die düstersten Tobel, die dunkelsten Wälder
aufsuchst, ist mir für dich nicht mehr bange. Dem, der etwas Rechtes kann
und etwas thut, haben die Bregenzerwälder noch immer Hochachtung und Liebe
entgegengebracht, und ihn mit Stolz den Ihrigen genannt. Solche Grübler und
Rechner aber kann das Volk nun einmal nicht leiden. Man kanns eben ganz
gut mit Einem im Sinn haben, und ihm doch Unrecht thun, drum solltest du
nicht glauben, daß alle deine Gegner waren, die dir etwas in den Weg
legten. Besonders nach dem Tode meiner ältesten Schwester, der dir so sehr
zu Herzen ging, sah man dich immer verbitterter werden. Viele, die du durch
dein zuweilen ausgelassenes Betragen nicht zu täuschen vermochtest, wußten dich
unglücklich und wollten dir eben auf ihre Weise helfen. Nun — ich hab dich
auch nicht grade sänftiglich erfaßt, als ich dich aus dem Wasser zog, und doch
hast du mir darum noch nie Vorwürfe gemacht; willst du nun ungerechter sein
gegen die, welche es ebenso gut meinen, wie ich es damals gemeint habe?"

„Nein," sagte ich gerührt. „Die Gemeinde hats mit mir beinahe gehabt
wie meine gute Mutter, die meinetwegen so viel sorgen und ausstehen
mußte, nachdem der Vater Anno 49 am Schlagfluß starb. Sie glaubte den
schwächlichen, etwas kurzsichtigen Knaben nie Andern und auch nie sich selbst
überlassen zu dürfen. Und der Trotzkopf wollte gar nicht geführt sein, wollte
sich nicht warnen und nicht leiten lassen. Sobald er etwas verdienen konnte,
bestellte er zum Aerger aller spatsamen Vettern und Basen eine Zeitung wie
Pfarrer oder Vorsteher, und später ließ er sich bis von Lindau herein ganz
theure Bücher kommen, die ihn immer noch wunderlicher machten. Wohl ver¬
richtete er seine Arbeiten, aber sein Humor dabei war nicht der eines achtzehn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/499>, abgerufen am 03.07.2024.