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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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mit dem Leben, welches ich dir vor drei Jahren nur mit größter Gefahr
rettete, als die Brücke über die Aaas unter der Last der Kühe brach, die du da¬
rüber erlebst, und in den furchtbar angeschwollenen Strom stürzte; ich jubele
heute nicht blos als dein Freund, sondern auch als Bregenzerwälder, daß du,
den unsere Brücke nicht trug, nun eine andere aufhäuft zwischen uns und der
Welt. Jetzt haben wir das wahrhaft nöthig, wenn wir in unserer künstlich
geschaffenen Abgeschlossenheit uns nicht wieder in jene Zeiten zurückleben sollen,
wo eine kleine, in den Nachbargemeinden entstandene Gesellschaft von Wieder¬
täufern sich nach Mähren flüchten mußte."

"Zurückleben --" frug ich, "meint ihr denn, wir seien im Ganzen je weit
über jene Zeiten der sogenannten Mährenländer hinausgekommen?"

"Ja das allerdings," behaupteten meine drei Freunde einstimmig, und
stellten sich mit der dem Bregenzerwälder eigenen Lebhaftigkeit streitlustig vor mir
aus, "jetzt schreibt man 1863, liest in jeder Gemeinde einige Zeitungen und
ganz aus uns heraus hat einer wachsen können, von dem eben ein Buch in
die Welt hinausgehen soll."

"Der," antwortete ich, "steht eben auf dem schwachen Nothsteg zwischen
uns und der Welt. Er ist auch wirklich nicht frei von der Furcht, das Fun¬
dament desselben könnte ans unserer Seite untergraben werden von dem mäch¬
tigen Strom, der in Brixen als heilige Quelle entspringt."

"Ich habe immer geglaubt und behauptet, du liebtest die Bregenzerwälder,"
klagte der Zimmermann. "Wenn man dir auch manches in den Weg legte, so
kommt doch auch das nur von der Liebe der Gemeinde zu den Ihrigen, auf
die sie gern ein wenig stolz sein möchte. Seit ein Mensch von dir weiß, hast
du nie gethan wie Andere. Ich glaube nicht, daß du je eine rechte und ganze
Kinderfreude erlebt habest."

"Mit hölzernen Pferden und Kühen," sagte ich, "hab ich freilich keine so
große Freude gehabt; dagegen ist meine Welt mir aufgegangen, als mein Vater
mich das erste Mal mit sich in die Kirche ließ. Ich sah den prächtig gekleideten
Priester, den Stellvertreter Gottes am festlich geschmückten Altar mit den vielen
Kerzen und Blumen, ich athmete den lieblichen Duft, welcher dort aus dem
silbernen Rauchfaß mit dem Gebete der Gläubigen zum Himmel emporstieg, ich
hörte zum ersten Mal im Leben Orgelspiel und Gesang, und ich hätte es lieber
geglaubt, daß wir uns alle im Himmel befänden, als in dem großen, steinernen
Hause, dessen Anblick meine Einbildung schon oft stundenlang beschäftiget hatte.
Trotzdem begann ich überlaut zu weinen und so häusig rannen mir die Tropfen
übers Gesicht, wie wohl damals kaum, als der betrunkene Doctor im Tirol
drinn.n, dem man mich im zweiten Lebensjahr auf Anrathen seiner Verwandten
in An übergeben hatte, mir statt dem kranken Auge das gesunde behandelte und
für mein Lebtag verdarb. Aber so weh wie damals war mir jetzt nicht, den-


mit dem Leben, welches ich dir vor drei Jahren nur mit größter Gefahr
rettete, als die Brücke über die Aaas unter der Last der Kühe brach, die du da¬
rüber erlebst, und in den furchtbar angeschwollenen Strom stürzte; ich jubele
heute nicht blos als dein Freund, sondern auch als Bregenzerwälder, daß du,
den unsere Brücke nicht trug, nun eine andere aufhäuft zwischen uns und der
Welt. Jetzt haben wir das wahrhaft nöthig, wenn wir in unserer künstlich
geschaffenen Abgeschlossenheit uns nicht wieder in jene Zeiten zurückleben sollen,
wo eine kleine, in den Nachbargemeinden entstandene Gesellschaft von Wieder¬
täufern sich nach Mähren flüchten mußte."

„Zurückleben —" frug ich, „meint ihr denn, wir seien im Ganzen je weit
über jene Zeiten der sogenannten Mährenländer hinausgekommen?"

„Ja das allerdings," behaupteten meine drei Freunde einstimmig, und
stellten sich mit der dem Bregenzerwälder eigenen Lebhaftigkeit streitlustig vor mir
aus, „jetzt schreibt man 1863, liest in jeder Gemeinde einige Zeitungen und
ganz aus uns heraus hat einer wachsen können, von dem eben ein Buch in
die Welt hinausgehen soll."

„Der," antwortete ich, „steht eben auf dem schwachen Nothsteg zwischen
uns und der Welt. Er ist auch wirklich nicht frei von der Furcht, das Fun¬
dament desselben könnte ans unserer Seite untergraben werden von dem mäch¬
tigen Strom, der in Brixen als heilige Quelle entspringt."

„Ich habe immer geglaubt und behauptet, du liebtest die Bregenzerwälder,"
klagte der Zimmermann. „Wenn man dir auch manches in den Weg legte, so
kommt doch auch das nur von der Liebe der Gemeinde zu den Ihrigen, auf
die sie gern ein wenig stolz sein möchte. Seit ein Mensch von dir weiß, hast
du nie gethan wie Andere. Ich glaube nicht, daß du je eine rechte und ganze
Kinderfreude erlebt habest."

„Mit hölzernen Pferden und Kühen," sagte ich, „hab ich freilich keine so
große Freude gehabt; dagegen ist meine Welt mir aufgegangen, als mein Vater
mich das erste Mal mit sich in die Kirche ließ. Ich sah den prächtig gekleideten
Priester, den Stellvertreter Gottes am festlich geschmückten Altar mit den vielen
Kerzen und Blumen, ich athmete den lieblichen Duft, welcher dort aus dem
silbernen Rauchfaß mit dem Gebete der Gläubigen zum Himmel emporstieg, ich
hörte zum ersten Mal im Leben Orgelspiel und Gesang, und ich hätte es lieber
geglaubt, daß wir uns alle im Himmel befänden, als in dem großen, steinernen
Hause, dessen Anblick meine Einbildung schon oft stundenlang beschäftiget hatte.
Trotzdem begann ich überlaut zu weinen und so häusig rannen mir die Tropfen
übers Gesicht, wie wohl damals kaum, als der betrunkene Doctor im Tirol
drinn.n, dem man mich im zweiten Lebensjahr auf Anrathen seiner Verwandten
in An übergeben hatte, mir statt dem kranken Auge das gesunde behandelte und
für mein Lebtag verdarb. Aber so weh wie damals war mir jetzt nicht, den-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/498>, abgerufen am 01.07.2024.