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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Begünstigung des plötzlich besitzlich gewordenen Bauernstandes in Polen und
den westlichen Gouvernements mit kaum verhehltem Mißtrauen zugesehen hatte,
wiederholt in die Lage gerieth. der Regierung mißfällige Bestrebungen und Ten-
denzen zu documentiren, durch welche sich der Wunsch nach einer Beschränkung
der absoluten Gewalt wie ein rother Faden durchzog. Sowohl die Gouverne"
neues-Adel"versammlungen in Moskau und Petersburg, wie einzelne der meist
vom Adel, geleiteten Landschaftsversammlungen (Provinziallandtagen. die aus
Vertretern "aller Stände zusammengesetzt sind) sprachen sich in dieser Beziehung
in unzweideutigen Andeutungen aus und mußten wiederholt wegen Ueberschrei,
lung ihrer Befugnisse aufgelöst werden. Wie sich durch die gebildeten Classen und
Kreise ein dumpfes Gefühl von der Gefahr verbreitete, welche aus dem Bunde des
Absolutismus, mit dem niederen Bolle erwachsen könne, so hatte die eben
charakterisirte große demokratische Partei ein instinctives Gefühl davon, daß
dem Adel gegenüber ihre Wünsche mit denen der Regierung zusammenfielen. Der
Gedanke an eine Einschränkung der absoluten Gewalt wird nämlich von der
russischen Demokratie zur Zeit aufs lebhafteste bekämpft, denn ihrer Anschauung
nach ist dieselbe mit dem Wiederaufleben einer Adelsherrschaft und unnationaler
(im Südwesten polnischer, an der Ostsee deutscher, in Finnland schwedischer)
Einflüsse identisch. "Erst wenn die alte aristokratische Gesellschaft mit Hilfe des
schrankenlosen, durch keine Rechtsform gehemmten Absolutismus morcellirt und
vernichtet ist -- erst dann können wir eine Constitution brauchen" so lautet
die harschende Parteiformel. Die Ueberzeugung, daß die polnisch zurech¬
nungsfähigen und gebildeten Classen, wenn man ihnen ihr natürliches Recht
ließe, eigene Wege gehen und das Ideal des demokratischen Bauernrußland
gefährden würden, macht die "Liberalen" dieses Schlages zu geschworenen
Feinden jedes Versuchs zur Aenderung der bestehenden Regierungsform in
Rußland. Ein Hauptstück in der Doctrin derselben bildete die Lehre von der
Verwerflichkeit des persönlichen Eigenthums am Grund und Boden, an dessen
Stelle der altrussische Gemeindebesitz mit seinen periodisch wechselnden Acker¬
vertheilungen zu treten bestimmt ist. -- Aus dem englischen, war ein kaiserlich-
französischer Freiheitsbegriff geworden, der eine fertige büreaukratische Schab-
lone mitbrachte, nach welcher allein die gegebenen Zustände und Verhältnisse
bemessen und beurtheilt wurden.

Jenseit dieser Partei, welche besonders in der Bureaukratie, der Presse und
einem Theil des Militärs die maßgebende ist, stand ein Kreis hirnverbrannter
socialistischer Fanatiker, welche in Anlehnung an die von Herzen verbreiteten
Lehren sofort die letzten Konsequenzen des social-demokratischen Programms
Ziehen d. h. die gesammte Aristokratie gewaltsam aus der Welt schaffen, das
Institut des Gemeindebesitzes in communistischen Sinne weiter ausbilden, alle
Ueveneste aristokratischer Ordnung über den Haufen werfen -- kurz aus dem


Begünstigung des plötzlich besitzlich gewordenen Bauernstandes in Polen und
den westlichen Gouvernements mit kaum verhehltem Mißtrauen zugesehen hatte,
wiederholt in die Lage gerieth. der Regierung mißfällige Bestrebungen und Ten-
denzen zu documentiren, durch welche sich der Wunsch nach einer Beschränkung
der absoluten Gewalt wie ein rother Faden durchzog. Sowohl die Gouverne«
neues-Adel«versammlungen in Moskau und Petersburg, wie einzelne der meist
vom Adel, geleiteten Landschaftsversammlungen (Provinziallandtagen. die aus
Vertretern "aller Stände zusammengesetzt sind) sprachen sich in dieser Beziehung
in unzweideutigen Andeutungen aus und mußten wiederholt wegen Ueberschrei,
lung ihrer Befugnisse aufgelöst werden. Wie sich durch die gebildeten Classen und
Kreise ein dumpfes Gefühl von der Gefahr verbreitete, welche aus dem Bunde des
Absolutismus, mit dem niederen Bolle erwachsen könne, so hatte die eben
charakterisirte große demokratische Partei ein instinctives Gefühl davon, daß
dem Adel gegenüber ihre Wünsche mit denen der Regierung zusammenfielen. Der
Gedanke an eine Einschränkung der absoluten Gewalt wird nämlich von der
russischen Demokratie zur Zeit aufs lebhafteste bekämpft, denn ihrer Anschauung
nach ist dieselbe mit dem Wiederaufleben einer Adelsherrschaft und unnationaler
(im Südwesten polnischer, an der Ostsee deutscher, in Finnland schwedischer)
Einflüsse identisch. „Erst wenn die alte aristokratische Gesellschaft mit Hilfe des
schrankenlosen, durch keine Rechtsform gehemmten Absolutismus morcellirt und
vernichtet ist — erst dann können wir eine Constitution brauchen" so lautet
die harschende Parteiformel. Die Ueberzeugung, daß die polnisch zurech¬
nungsfähigen und gebildeten Classen, wenn man ihnen ihr natürliches Recht
ließe, eigene Wege gehen und das Ideal des demokratischen Bauernrußland
gefährden würden, macht die „Liberalen" dieses Schlages zu geschworenen
Feinden jedes Versuchs zur Aenderung der bestehenden Regierungsform in
Rußland. Ein Hauptstück in der Doctrin derselben bildete die Lehre von der
Verwerflichkeit des persönlichen Eigenthums am Grund und Boden, an dessen
Stelle der altrussische Gemeindebesitz mit seinen periodisch wechselnden Acker¬
vertheilungen zu treten bestimmt ist. — Aus dem englischen, war ein kaiserlich-
französischer Freiheitsbegriff geworden, der eine fertige büreaukratische Schab-
lone mitbrachte, nach welcher allein die gegebenen Zustände und Verhältnisse
bemessen und beurtheilt wurden.

Jenseit dieser Partei, welche besonders in der Bureaukratie, der Presse und
einem Theil des Militärs die maßgebende ist, stand ein Kreis hirnverbrannter
socialistischer Fanatiker, welche in Anlehnung an die von Herzen verbreiteten
Lehren sofort die letzten Konsequenzen des social-demokratischen Programms
Ziehen d. h. die gesammte Aristokratie gewaltsam aus der Welt schaffen, das
Institut des Gemeindebesitzes in communistischen Sinne weiter ausbilden, alle
Ueveneste aristokratischer Ordnung über den Haufen werfen — kurz aus dem


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[0479] Begünstigung des plötzlich besitzlich gewordenen Bauernstandes in Polen und den westlichen Gouvernements mit kaum verhehltem Mißtrauen zugesehen hatte, wiederholt in die Lage gerieth. der Regierung mißfällige Bestrebungen und Ten- denzen zu documentiren, durch welche sich der Wunsch nach einer Beschränkung der absoluten Gewalt wie ein rother Faden durchzog. Sowohl die Gouverne« neues-Adel«versammlungen in Moskau und Petersburg, wie einzelne der meist vom Adel, geleiteten Landschaftsversammlungen (Provinziallandtagen. die aus Vertretern "aller Stände zusammengesetzt sind) sprachen sich in dieser Beziehung in unzweideutigen Andeutungen aus und mußten wiederholt wegen Ueberschrei, lung ihrer Befugnisse aufgelöst werden. Wie sich durch die gebildeten Classen und Kreise ein dumpfes Gefühl von der Gefahr verbreitete, welche aus dem Bunde des Absolutismus, mit dem niederen Bolle erwachsen könne, so hatte die eben charakterisirte große demokratische Partei ein instinctives Gefühl davon, daß dem Adel gegenüber ihre Wünsche mit denen der Regierung zusammenfielen. Der Gedanke an eine Einschränkung der absoluten Gewalt wird nämlich von der russischen Demokratie zur Zeit aufs lebhafteste bekämpft, denn ihrer Anschauung nach ist dieselbe mit dem Wiederaufleben einer Adelsherrschaft und unnationaler (im Südwesten polnischer, an der Ostsee deutscher, in Finnland schwedischer) Einflüsse identisch. „Erst wenn die alte aristokratische Gesellschaft mit Hilfe des schrankenlosen, durch keine Rechtsform gehemmten Absolutismus morcellirt und vernichtet ist — erst dann können wir eine Constitution brauchen" so lautet die harschende Parteiformel. Die Ueberzeugung, daß die polnisch zurech¬ nungsfähigen und gebildeten Classen, wenn man ihnen ihr natürliches Recht ließe, eigene Wege gehen und das Ideal des demokratischen Bauernrußland gefährden würden, macht die „Liberalen" dieses Schlages zu geschworenen Feinden jedes Versuchs zur Aenderung der bestehenden Regierungsform in Rußland. Ein Hauptstück in der Doctrin derselben bildete die Lehre von der Verwerflichkeit des persönlichen Eigenthums am Grund und Boden, an dessen Stelle der altrussische Gemeindebesitz mit seinen periodisch wechselnden Acker¬ vertheilungen zu treten bestimmt ist. — Aus dem englischen, war ein kaiserlich- französischer Freiheitsbegriff geworden, der eine fertige büreaukratische Schab- lone mitbrachte, nach welcher allein die gegebenen Zustände und Verhältnisse bemessen und beurtheilt wurden. Jenseit dieser Partei, welche besonders in der Bureaukratie, der Presse und einem Theil des Militärs die maßgebende ist, stand ein Kreis hirnverbrannter socialistischer Fanatiker, welche in Anlehnung an die von Herzen verbreiteten Lehren sofort die letzten Konsequenzen des social-demokratischen Programms Ziehen d. h. die gesammte Aristokratie gewaltsam aus der Welt schaffen, das Institut des Gemeindebesitzes in communistischen Sinne weiter ausbilden, alle Ueveneste aristokratischer Ordnung über den Haufen werfen — kurz aus dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/479>, abgerufen am 28.09.2024.