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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Wege schrankenlosester Gewalt ihr Ideal verwirklichen wollte. Zu dieser Gruppe
von Exaltirten, denen die Neuerung für eine Halbthuerin ohne Consequenz
und Logik galt, gehörte jener Karakosow. der am 4. (16.) April sein Pistol auf
den im Sommergarten lustwandelnder Kaiser abschoß. Von dem Schreck und
der Bestürzung, welche dieser wahnsinnigen That und der Entdeckung folgten,
daß sie von einem nichtaristokratischen Russen und Gliede einer geheimen socia-
Mischen Gesellschaft ausgegangen sei. brauchen wir hier nicht weiter zu handeln.
Man wußte zu genau, daß die Verirrungen der verbrecherischen Socialisten"
kreise falsch verstandene Handlungen und unterschobene Tendenzen der Regierung
zum Ausgangspunkt gehabt hatten, um nicht eine feierliche Kundgebung des
kaiserlichen Willens über die künftig zu befolgende innere Politik der Regierung
für nothwendig zu halten. Ein an den Fürsten Gagarin gerichtetes Haro
schreiben des Monarchen (S. ä. 13./25. Mai 1866) betonte aufs entschiedenste,
daß die Regierung sich auf die conservativen Elemente des Staatslebens, be¬
sonders auf den Adel, stütze und stützen werde, Recht und persönliches Eigen¬
thum aufrechterhalten und allen socialistisch-demokratischen Regungen energisch
entgegentreten wolle. -- Es fehlte nicht an Schwarzsehern, die nach Veröffent¬
lichung dieses Actenstücks und nach verschiedenen, in den höchsten Regierung?"
kreisen vorgenommenen Personalveränderungen eine Reaction, ein finsteres,
unnationales Adelsregiment fürchteten. Da es sich indessen bald zeigte, daß an
eine Aenderung des in Polen und den früher polnischen Gouvernements be¬
folgten Systems nicht gedacht werde, daß das Wort von der Bedeutung des Adels
und der conservativen Elemente auf jene und manche andere Theile des
Reichs keine Anwendung haben werde, für diese die Verlegung des politi¬
schen Schwerpunkts in die ungebildeten Classen nach wie vor auf dem Plan
bleibe -- war man demokratischerseits bald außer Sorgen. Der Einfluß der in
einem Theil des Reichs befolgten Politik ließ sich für die übrigen Theile des"
selben nicht verläugnen und als vollends die von Aristrokaten geleitete Peters¬
burger Landschaftsversammlung im Februar d. I. Gegenstand des kaiser"
lichen Mißfallens und einer gewaltsamen Auflösung wurde, wußte man ganz
genau, daß an eine Umkehr nicht zu denken sei und daß auf die bisher ange¬
nommene Solidarität der Interessen der Regierung mit denen der sogenannten
Demokratie d. h. der Partei, welche auf die Paralusirung des Einflusses
der Aristokratie, beziehungsweise der gebildeten Mittelclassen (welche übrigens
nur in Finnland, den Ostseeprovinzen und einzelnen russischen und polnischen
Städten ezistiren) hinarbeitet -- auch für die Folge weiter gebaut und gerech¬
net werden könne.

Daß einzelne und grade die ausgezeichnetsten und bedeutendsten Männer
des kaiserlichen Vertrauens andere Anschauungen vertreten, von einer Alliance
urit der Massendemokratie und ihren büreaukratischen Anwälten nichts wissen


Wege schrankenlosester Gewalt ihr Ideal verwirklichen wollte. Zu dieser Gruppe
von Exaltirten, denen die Neuerung für eine Halbthuerin ohne Consequenz
und Logik galt, gehörte jener Karakosow. der am 4. (16.) April sein Pistol auf
den im Sommergarten lustwandelnder Kaiser abschoß. Von dem Schreck und
der Bestürzung, welche dieser wahnsinnigen That und der Entdeckung folgten,
daß sie von einem nichtaristokratischen Russen und Gliede einer geheimen socia-
Mischen Gesellschaft ausgegangen sei. brauchen wir hier nicht weiter zu handeln.
Man wußte zu genau, daß die Verirrungen der verbrecherischen Socialisten«
kreise falsch verstandene Handlungen und unterschobene Tendenzen der Regierung
zum Ausgangspunkt gehabt hatten, um nicht eine feierliche Kundgebung des
kaiserlichen Willens über die künftig zu befolgende innere Politik der Regierung
für nothwendig zu halten. Ein an den Fürsten Gagarin gerichtetes Haro
schreiben des Monarchen (S. ä. 13./25. Mai 1866) betonte aufs entschiedenste,
daß die Regierung sich auf die conservativen Elemente des Staatslebens, be¬
sonders auf den Adel, stütze und stützen werde, Recht und persönliches Eigen¬
thum aufrechterhalten und allen socialistisch-demokratischen Regungen energisch
entgegentreten wolle. — Es fehlte nicht an Schwarzsehern, die nach Veröffent¬
lichung dieses Actenstücks und nach verschiedenen, in den höchsten Regierung?«
kreisen vorgenommenen Personalveränderungen eine Reaction, ein finsteres,
unnationales Adelsregiment fürchteten. Da es sich indessen bald zeigte, daß an
eine Aenderung des in Polen und den früher polnischen Gouvernements be¬
folgten Systems nicht gedacht werde, daß das Wort von der Bedeutung des Adels
und der conservativen Elemente auf jene und manche andere Theile des
Reichs keine Anwendung haben werde, für diese die Verlegung des politi¬
schen Schwerpunkts in die ungebildeten Classen nach wie vor auf dem Plan
bleibe — war man demokratischerseits bald außer Sorgen. Der Einfluß der in
einem Theil des Reichs befolgten Politik ließ sich für die übrigen Theile des«
selben nicht verläugnen und als vollends die von Aristrokaten geleitete Peters¬
burger Landschaftsversammlung im Februar d. I. Gegenstand des kaiser«
lichen Mißfallens und einer gewaltsamen Auflösung wurde, wußte man ganz
genau, daß an eine Umkehr nicht zu denken sei und daß auf die bisher ange¬
nommene Solidarität der Interessen der Regierung mit denen der sogenannten
Demokratie d. h. der Partei, welche auf die Paralusirung des Einflusses
der Aristokratie, beziehungsweise der gebildeten Mittelclassen (welche übrigens
nur in Finnland, den Ostseeprovinzen und einzelnen russischen und polnischen
Städten ezistiren) hinarbeitet — auch für die Folge weiter gebaut und gerech¬
net werden könne.

Daß einzelne und grade die ausgezeichnetsten und bedeutendsten Männer
des kaiserlichen Vertrauens andere Anschauungen vertreten, von einer Alliance
urit der Massendemokratie und ihren büreaukratischen Anwälten nichts wissen


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[0480] Wege schrankenlosester Gewalt ihr Ideal verwirklichen wollte. Zu dieser Gruppe von Exaltirten, denen die Neuerung für eine Halbthuerin ohne Consequenz und Logik galt, gehörte jener Karakosow. der am 4. (16.) April sein Pistol auf den im Sommergarten lustwandelnder Kaiser abschoß. Von dem Schreck und der Bestürzung, welche dieser wahnsinnigen That und der Entdeckung folgten, daß sie von einem nichtaristokratischen Russen und Gliede einer geheimen socia- Mischen Gesellschaft ausgegangen sei. brauchen wir hier nicht weiter zu handeln. Man wußte zu genau, daß die Verirrungen der verbrecherischen Socialisten« kreise falsch verstandene Handlungen und unterschobene Tendenzen der Regierung zum Ausgangspunkt gehabt hatten, um nicht eine feierliche Kundgebung des kaiserlichen Willens über die künftig zu befolgende innere Politik der Regierung für nothwendig zu halten. Ein an den Fürsten Gagarin gerichtetes Haro schreiben des Monarchen (S. ä. 13./25. Mai 1866) betonte aufs entschiedenste, daß die Regierung sich auf die conservativen Elemente des Staatslebens, be¬ sonders auf den Adel, stütze und stützen werde, Recht und persönliches Eigen¬ thum aufrechterhalten und allen socialistisch-demokratischen Regungen energisch entgegentreten wolle. — Es fehlte nicht an Schwarzsehern, die nach Veröffent¬ lichung dieses Actenstücks und nach verschiedenen, in den höchsten Regierung?« kreisen vorgenommenen Personalveränderungen eine Reaction, ein finsteres, unnationales Adelsregiment fürchteten. Da es sich indessen bald zeigte, daß an eine Aenderung des in Polen und den früher polnischen Gouvernements be¬ folgten Systems nicht gedacht werde, daß das Wort von der Bedeutung des Adels und der conservativen Elemente auf jene und manche andere Theile des Reichs keine Anwendung haben werde, für diese die Verlegung des politi¬ schen Schwerpunkts in die ungebildeten Classen nach wie vor auf dem Plan bleibe — war man demokratischerseits bald außer Sorgen. Der Einfluß der in einem Theil des Reichs befolgten Politik ließ sich für die übrigen Theile des« selben nicht verläugnen und als vollends die von Aristrokaten geleitete Peters¬ burger Landschaftsversammlung im Februar d. I. Gegenstand des kaiser« lichen Mißfallens und einer gewaltsamen Auflösung wurde, wußte man ganz genau, daß an eine Umkehr nicht zu denken sei und daß auf die bisher ange¬ nommene Solidarität der Interessen der Regierung mit denen der sogenannten Demokratie d. h. der Partei, welche auf die Paralusirung des Einflusses der Aristokratie, beziehungsweise der gebildeten Mittelclassen (welche übrigens nur in Finnland, den Ostseeprovinzen und einzelnen russischen und polnischen Städten ezistiren) hinarbeitet — auch für die Folge weiter gebaut und gerech¬ net werden könne. Daß einzelne und grade die ausgezeichnetsten und bedeutendsten Männer des kaiserlichen Vertrauens andere Anschauungen vertreten, von einer Alliance urit der Massendemokratie und ihren büreaukratischen Anwälten nichts wissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/480>, abgerufen am 26.06.2024.