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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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auch auf sie übertragen, an seinen Reisen Pflegte sie theilzunehmen, nach
Rom, London, Paris, ebenso wie zu den deutschen Freunden, unter welchen
namentlich Welcker und Jahr in Bonn oft aufgesucht wurden; genug ihr gan¬
zes Leben fiel mit dem seinigen zusammen. So konnte ihr denn auch nach
Jahren des schönsten Glückes die schwerste Prüfung nicht zu schwer werden.
Um die Mitte der fünfziger Jahre, bald nach Vollendung der Mythologie, nahm
die Augenschwäche, welche Gerhard zuerst nach Italien geführt und ihn nie ganz
verlassen hatte, einen bedenklicheren Grad an. Bald mußte er sich entschließen,
wollte er nicht einer völligen Blindheit sicher und rasch entgegcngehn, auf den
Gebrauch seiner Augen fürs Lesen und Schreiben vollständig zu verzichten;'nur
so war es möglich, wenigstens so Viel Augenlicht sich zu bewahren, um keines
Führers zu bedürfen. Für den Mann, der gewohnt war mit seiner Zeit wie
mit einem anvertrauten Gut auf das gewissenhafteste zu schalten und keine
Minute unbenutzt vergehen zu lassen, war die Prüfung eine unsäglich harte.
Wie vielfach ihn auch sein Augenleiden bereits gehindert hatte, jetzt sollte er
lernen, ganz mit fremden Augen zu sehen, die Forschungen Andrer nur durch
Vorlesen kennen zu lernen, seine eignen Arbeiten zu dictiren. In den ersten
Jahren war ihm die Gattin der ganze Ersatz, sie sah. sie las. sie schrieb für ihn.
Wenn Gerhard weder die Redaction der archäologischen Zeitung aufgab, noch seine
übrigen Arbeiten bei Seite legte oder anders betrieb als bisher, so war dies nur bei
seinem ungewöhnlich sichern Gedächtniß und bei der genau geordneten Art seines
ganzen Wissens möglich, doch auch da bleibt der Umfang seiner Thätigkeit ganz
staunenswerth. Leider ward er aber der Hilfe seiner Gattin bald beraubt, indem ein
hartnäckiges langjähriges Kopfleiden ihr selbst die größte Schonung auferlegte.
Jetzt mußte anderweitiger Beistand herbeigeschafft werden. Eine Reihe von
jüngeren Leuten ist nach und nach ihm hilfreich zur Hand gewesen; kaum einer
wird unter ihnen sein, der nicht mit der wärmsten Verehrung für die beiden
Gatten aus dem in mehr als einer Hinsicht bildenden Verhältniß geschie¬
den wäre.

In dieser traurigen Zeit mußte sich Gerhard natürlich auch aus dem ge-
selligen Verkehr, den er in kleinerem und größerem Kreise gern gepflegt hatte,
immer mehr zurückziehen. Von den älteren Freunden war einer nach dem an¬
dern bereits dahingegangen, Schorn. Stackelberg. Meier, Kestner. Panofka,
Braun, Bunsen. (an dessen Stelle Gerhard als Generalsecretär des Instituts
trat); von den Mitgliedern der hyperboreisch-römischen Gesellschaft und von den
Stiftern des Instituts war außer ihm nur noch der Herzog von Luynes am
Leben, von älteren römischen Bekannten noch Karl Witte. Andre jüngere
Freunde aus römischer und späterer Zeit, auch manche anhängliche Schüler,
wußten ihm Ersatz bieten. Eine große Sorge aber bot das Institut dar. dessen
Bestand in den fünfziger Jahren aus Gründen, die wir übergehen können, auf


Trenzboten II. 1867. 69

auch auf sie übertragen, an seinen Reisen Pflegte sie theilzunehmen, nach
Rom, London, Paris, ebenso wie zu den deutschen Freunden, unter welchen
namentlich Welcker und Jahr in Bonn oft aufgesucht wurden; genug ihr gan¬
zes Leben fiel mit dem seinigen zusammen. So konnte ihr denn auch nach
Jahren des schönsten Glückes die schwerste Prüfung nicht zu schwer werden.
Um die Mitte der fünfziger Jahre, bald nach Vollendung der Mythologie, nahm
die Augenschwäche, welche Gerhard zuerst nach Italien geführt und ihn nie ganz
verlassen hatte, einen bedenklicheren Grad an. Bald mußte er sich entschließen,
wollte er nicht einer völligen Blindheit sicher und rasch entgegcngehn, auf den
Gebrauch seiner Augen fürs Lesen und Schreiben vollständig zu verzichten;'nur
so war es möglich, wenigstens so Viel Augenlicht sich zu bewahren, um keines
Führers zu bedürfen. Für den Mann, der gewohnt war mit seiner Zeit wie
mit einem anvertrauten Gut auf das gewissenhafteste zu schalten und keine
Minute unbenutzt vergehen zu lassen, war die Prüfung eine unsäglich harte.
Wie vielfach ihn auch sein Augenleiden bereits gehindert hatte, jetzt sollte er
lernen, ganz mit fremden Augen zu sehen, die Forschungen Andrer nur durch
Vorlesen kennen zu lernen, seine eignen Arbeiten zu dictiren. In den ersten
Jahren war ihm die Gattin der ganze Ersatz, sie sah. sie las. sie schrieb für ihn.
Wenn Gerhard weder die Redaction der archäologischen Zeitung aufgab, noch seine
übrigen Arbeiten bei Seite legte oder anders betrieb als bisher, so war dies nur bei
seinem ungewöhnlich sichern Gedächtniß und bei der genau geordneten Art seines
ganzen Wissens möglich, doch auch da bleibt der Umfang seiner Thätigkeit ganz
staunenswerth. Leider ward er aber der Hilfe seiner Gattin bald beraubt, indem ein
hartnäckiges langjähriges Kopfleiden ihr selbst die größte Schonung auferlegte.
Jetzt mußte anderweitiger Beistand herbeigeschafft werden. Eine Reihe von
jüngeren Leuten ist nach und nach ihm hilfreich zur Hand gewesen; kaum einer
wird unter ihnen sein, der nicht mit der wärmsten Verehrung für die beiden
Gatten aus dem in mehr als einer Hinsicht bildenden Verhältniß geschie¬
den wäre.

In dieser traurigen Zeit mußte sich Gerhard natürlich auch aus dem ge-
selligen Verkehr, den er in kleinerem und größerem Kreise gern gepflegt hatte,
immer mehr zurückziehen. Von den älteren Freunden war einer nach dem an¬
dern bereits dahingegangen, Schorn. Stackelberg. Meier, Kestner. Panofka,
Braun, Bunsen. (an dessen Stelle Gerhard als Generalsecretär des Instituts
trat); von den Mitgliedern der hyperboreisch-römischen Gesellschaft und von den
Stiftern des Instituts war außer ihm nur noch der Herzog von Luynes am
Leben, von älteren römischen Bekannten noch Karl Witte. Andre jüngere
Freunde aus römischer und späterer Zeit, auch manche anhängliche Schüler,
wußten ihm Ersatz bieten. Eine große Sorge aber bot das Institut dar. dessen
Bestand in den fünfziger Jahren aus Gründen, die wir übergehen können, auf


Trenzboten II. 1867. 69
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[0465] auch auf sie übertragen, an seinen Reisen Pflegte sie theilzunehmen, nach Rom, London, Paris, ebenso wie zu den deutschen Freunden, unter welchen namentlich Welcker und Jahr in Bonn oft aufgesucht wurden; genug ihr gan¬ zes Leben fiel mit dem seinigen zusammen. So konnte ihr denn auch nach Jahren des schönsten Glückes die schwerste Prüfung nicht zu schwer werden. Um die Mitte der fünfziger Jahre, bald nach Vollendung der Mythologie, nahm die Augenschwäche, welche Gerhard zuerst nach Italien geführt und ihn nie ganz verlassen hatte, einen bedenklicheren Grad an. Bald mußte er sich entschließen, wollte er nicht einer völligen Blindheit sicher und rasch entgegcngehn, auf den Gebrauch seiner Augen fürs Lesen und Schreiben vollständig zu verzichten;'nur so war es möglich, wenigstens so Viel Augenlicht sich zu bewahren, um keines Führers zu bedürfen. Für den Mann, der gewohnt war mit seiner Zeit wie mit einem anvertrauten Gut auf das gewissenhafteste zu schalten und keine Minute unbenutzt vergehen zu lassen, war die Prüfung eine unsäglich harte. Wie vielfach ihn auch sein Augenleiden bereits gehindert hatte, jetzt sollte er lernen, ganz mit fremden Augen zu sehen, die Forschungen Andrer nur durch Vorlesen kennen zu lernen, seine eignen Arbeiten zu dictiren. In den ersten Jahren war ihm die Gattin der ganze Ersatz, sie sah. sie las. sie schrieb für ihn. Wenn Gerhard weder die Redaction der archäologischen Zeitung aufgab, noch seine übrigen Arbeiten bei Seite legte oder anders betrieb als bisher, so war dies nur bei seinem ungewöhnlich sichern Gedächtniß und bei der genau geordneten Art seines ganzen Wissens möglich, doch auch da bleibt der Umfang seiner Thätigkeit ganz staunenswerth. Leider ward er aber der Hilfe seiner Gattin bald beraubt, indem ein hartnäckiges langjähriges Kopfleiden ihr selbst die größte Schonung auferlegte. Jetzt mußte anderweitiger Beistand herbeigeschafft werden. Eine Reihe von jüngeren Leuten ist nach und nach ihm hilfreich zur Hand gewesen; kaum einer wird unter ihnen sein, der nicht mit der wärmsten Verehrung für die beiden Gatten aus dem in mehr als einer Hinsicht bildenden Verhältniß geschie¬ den wäre. In dieser traurigen Zeit mußte sich Gerhard natürlich auch aus dem ge- selligen Verkehr, den er in kleinerem und größerem Kreise gern gepflegt hatte, immer mehr zurückziehen. Von den älteren Freunden war einer nach dem an¬ dern bereits dahingegangen, Schorn. Stackelberg. Meier, Kestner. Panofka, Braun, Bunsen. (an dessen Stelle Gerhard als Generalsecretär des Instituts trat); von den Mitgliedern der hyperboreisch-römischen Gesellschaft und von den Stiftern des Instituts war außer ihm nur noch der Herzog von Luynes am Leben, von älteren römischen Bekannten noch Karl Witte. Andre jüngere Freunde aus römischer und späterer Zeit, auch manche anhängliche Schüler, wußten ihm Ersatz bieten. Eine große Sorge aber bot das Institut dar. dessen Bestand in den fünfziger Jahren aus Gründen, die wir übergehen können, auf Trenzboten II. 1867. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/465>, abgerufen am 22.07.2024.