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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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gion, aus der sie ihre Stoffe meistens entnahmen, nachzuweisen. So ist denn
auch der zweite Theil ausdrücklich der Aufhellung ältester Religionsanschauungen
und Götterkreise und damit verbundener mystischen Lehren gewidmet, für welche
die Bildwerke eine wichtige und noch unbenutzte Quelle seien. Diese Aus¬
führungen, die zum Theil mit dem Prodromus mythologischer Kunsterklärung
in innerer Verbindung stehen, sind freilich wesentlich positiver Art, doch ist es
nicht schwer, den Gegensatz derselben nicht blos gegen Creuzers, Schillings
und andere frühere Auffassungen darin zu bemerken, sondern auch gegen die
Untersuchungen Welckers und Otfr. Müllers, welche während des italieni-
schen Aufenthaltes Gerhards entstanden (des Ersteren "äschylische Trilogie Pro¬
metheus" erschien 1824, Müllers "Prolegomena zu einer wissenschaftlichen My¬
thologie" 1825) und zum großen Theil zu wesentlich anderen Ergebnissen über
Wesen und Geschichte der griechischen Religion gelangt waren, obgleich beide
ebenfalls den Kunstwerken ihre gebührende Stellung einräumten. Grade der
große Einfluß beider Männer auf die wissenschaftlichen Studien der deutschen
Zeitgenossen mochte Gerhard zu seinen Grundzügen anregen, welche, obwohl
unvollendet und im Einzelnen später vielfach berichtigt, immer eine der wich¬
tigsten Quellen für die Kenntniß von Gerhards Grundansichten bleibe" werden.

Während Gerhards Abwesenheit in Deutschland hatten die zurückgebliebe,
nen Freunde Stackelberg und Kestner in Etrurien Entdeckungen von höchster
Wichtigkeit gemacht, namentlich in Corneto (Tarquinii) höchst interessante Wand¬
gemälde aufgefunden. Nachdem so die Aufmerksamkeit der römischen Kunstlieb¬
haber und Sammler auf jene Gegenden gelenkt war, fehlte es nicht an Aus¬
grabungen, die mit überraschenden Erfolgen gekrönt wurden. Namentlich seit
dem Frühjahr 1828 ward von mehren Unternehmern in lebhaftestem Wetteifer
der Boden von Canino (Voici) durchsucht und lohnte mit überaus reichen Massen
bemalter Vasen, die man bisher ausschließlich in Unteritalien zu finden gewohnt
gewesen war. Gerhard, der um dieselbe Zeit nach Italien zurückgekehrt
war, eilte an Ort und Stelle und sah mit Erstaunen die neuerschlosse¬
nen Gräberstätte der alten Etrueker ihre griechischen Kunstschätze ans Licht
geben. "Zwischen den einzelnen Schaaren fern hergekommener Arbeiter," er¬
zählt er. "welche unter verschiedene Befehlshaber ihrer Provinz vertheilt blieben,
bildeten drei Zelte den Mittelpunkt für den unablässigen Zufluß frisch gefun¬
dener, noch von der Erde bedeckter und befeuchteter Vasen und Vasenscherben.
In dem Zelte, welches dem Prinzen (von Canino, Lucian Buonaparte, dem
Haupteigenthümer jener ergiebigen Grundstücke) und seiner Familie tagtäglich
diente, wurden sofort Versuche der Zusammensetzung angestellt, die vereinten
Stücke gesondert nach Musignano, dem vereinzelten Landhause des Prinzen,
geschickt, und mehren, nach längerem Versuch der unablässig fortgesetzten
Arbeit bereits wohlerfahrenen Restauratoren übergeben. Die Arbeit der letzteren


gion, aus der sie ihre Stoffe meistens entnahmen, nachzuweisen. So ist denn
auch der zweite Theil ausdrücklich der Aufhellung ältester Religionsanschauungen
und Götterkreise und damit verbundener mystischen Lehren gewidmet, für welche
die Bildwerke eine wichtige und noch unbenutzte Quelle seien. Diese Aus¬
führungen, die zum Theil mit dem Prodromus mythologischer Kunsterklärung
in innerer Verbindung stehen, sind freilich wesentlich positiver Art, doch ist es
nicht schwer, den Gegensatz derselben nicht blos gegen Creuzers, Schillings
und andere frühere Auffassungen darin zu bemerken, sondern auch gegen die
Untersuchungen Welckers und Otfr. Müllers, welche während des italieni-
schen Aufenthaltes Gerhards entstanden (des Ersteren „äschylische Trilogie Pro¬
metheus" erschien 1824, Müllers „Prolegomena zu einer wissenschaftlichen My¬
thologie" 1825) und zum großen Theil zu wesentlich anderen Ergebnissen über
Wesen und Geschichte der griechischen Religion gelangt waren, obgleich beide
ebenfalls den Kunstwerken ihre gebührende Stellung einräumten. Grade der
große Einfluß beider Männer auf die wissenschaftlichen Studien der deutschen
Zeitgenossen mochte Gerhard zu seinen Grundzügen anregen, welche, obwohl
unvollendet und im Einzelnen später vielfach berichtigt, immer eine der wich¬
tigsten Quellen für die Kenntniß von Gerhards Grundansichten bleibe» werden.

Während Gerhards Abwesenheit in Deutschland hatten die zurückgebliebe,
nen Freunde Stackelberg und Kestner in Etrurien Entdeckungen von höchster
Wichtigkeit gemacht, namentlich in Corneto (Tarquinii) höchst interessante Wand¬
gemälde aufgefunden. Nachdem so die Aufmerksamkeit der römischen Kunstlieb¬
haber und Sammler auf jene Gegenden gelenkt war, fehlte es nicht an Aus¬
grabungen, die mit überraschenden Erfolgen gekrönt wurden. Namentlich seit
dem Frühjahr 1828 ward von mehren Unternehmern in lebhaftestem Wetteifer
der Boden von Canino (Voici) durchsucht und lohnte mit überaus reichen Massen
bemalter Vasen, die man bisher ausschließlich in Unteritalien zu finden gewohnt
gewesen war. Gerhard, der um dieselbe Zeit nach Italien zurückgekehrt
war, eilte an Ort und Stelle und sah mit Erstaunen die neuerschlosse¬
nen Gräberstätte der alten Etrueker ihre griechischen Kunstschätze ans Licht
geben. „Zwischen den einzelnen Schaaren fern hergekommener Arbeiter," er¬
zählt er. „welche unter verschiedene Befehlshaber ihrer Provinz vertheilt blieben,
bildeten drei Zelte den Mittelpunkt für den unablässigen Zufluß frisch gefun¬
dener, noch von der Erde bedeckter und befeuchteter Vasen und Vasenscherben.
In dem Zelte, welches dem Prinzen (von Canino, Lucian Buonaparte, dem
Haupteigenthümer jener ergiebigen Grundstücke) und seiner Familie tagtäglich
diente, wurden sofort Versuche der Zusammensetzung angestellt, die vereinten
Stücke gesondert nach Musignano, dem vereinzelten Landhause des Prinzen,
geschickt, und mehren, nach längerem Versuch der unablässig fortgesetzten
Arbeit bereits wohlerfahrenen Restauratoren übergeben. Die Arbeit der letzteren


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[0458] gion, aus der sie ihre Stoffe meistens entnahmen, nachzuweisen. So ist denn auch der zweite Theil ausdrücklich der Aufhellung ältester Religionsanschauungen und Götterkreise und damit verbundener mystischen Lehren gewidmet, für welche die Bildwerke eine wichtige und noch unbenutzte Quelle seien. Diese Aus¬ führungen, die zum Theil mit dem Prodromus mythologischer Kunsterklärung in innerer Verbindung stehen, sind freilich wesentlich positiver Art, doch ist es nicht schwer, den Gegensatz derselben nicht blos gegen Creuzers, Schillings und andere frühere Auffassungen darin zu bemerken, sondern auch gegen die Untersuchungen Welckers und Otfr. Müllers, welche während des italieni- schen Aufenthaltes Gerhards entstanden (des Ersteren „äschylische Trilogie Pro¬ metheus" erschien 1824, Müllers „Prolegomena zu einer wissenschaftlichen My¬ thologie" 1825) und zum großen Theil zu wesentlich anderen Ergebnissen über Wesen und Geschichte der griechischen Religion gelangt waren, obgleich beide ebenfalls den Kunstwerken ihre gebührende Stellung einräumten. Grade der große Einfluß beider Männer auf die wissenschaftlichen Studien der deutschen Zeitgenossen mochte Gerhard zu seinen Grundzügen anregen, welche, obwohl unvollendet und im Einzelnen später vielfach berichtigt, immer eine der wich¬ tigsten Quellen für die Kenntniß von Gerhards Grundansichten bleibe» werden. Während Gerhards Abwesenheit in Deutschland hatten die zurückgebliebe, nen Freunde Stackelberg und Kestner in Etrurien Entdeckungen von höchster Wichtigkeit gemacht, namentlich in Corneto (Tarquinii) höchst interessante Wand¬ gemälde aufgefunden. Nachdem so die Aufmerksamkeit der römischen Kunstlieb¬ haber und Sammler auf jene Gegenden gelenkt war, fehlte es nicht an Aus¬ grabungen, die mit überraschenden Erfolgen gekrönt wurden. Namentlich seit dem Frühjahr 1828 ward von mehren Unternehmern in lebhaftestem Wetteifer der Boden von Canino (Voici) durchsucht und lohnte mit überaus reichen Massen bemalter Vasen, die man bisher ausschließlich in Unteritalien zu finden gewohnt gewesen war. Gerhard, der um dieselbe Zeit nach Italien zurückgekehrt war, eilte an Ort und Stelle und sah mit Erstaunen die neuerschlosse¬ nen Gräberstätte der alten Etrueker ihre griechischen Kunstschätze ans Licht geben. „Zwischen den einzelnen Schaaren fern hergekommener Arbeiter," er¬ zählt er. „welche unter verschiedene Befehlshaber ihrer Provinz vertheilt blieben, bildeten drei Zelte den Mittelpunkt für den unablässigen Zufluß frisch gefun¬ dener, noch von der Erde bedeckter und befeuchteter Vasen und Vasenscherben. In dem Zelte, welches dem Prinzen (von Canino, Lucian Buonaparte, dem Haupteigenthümer jener ergiebigen Grundstücke) und seiner Familie tagtäglich diente, wurden sofort Versuche der Zusammensetzung angestellt, die vereinten Stücke gesondert nach Musignano, dem vereinzelten Landhause des Prinzen, geschickt, und mehren, nach längerem Versuch der unablässig fortgesetzten Arbeit bereits wohlerfahrenen Restauratoren übergeben. Die Arbeit der letzteren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/458>, abgerufen am 22.07.2024.