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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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schritt Tag und Nacht vorwärts; ich sah mit Staunen eines Morgens zwei große
und schöne Vasen zusammengesetzt, deren Scherben ich des Nachmittags vorher
auf dem Ausgrabungsplatze erblickt hatte." Zählte man schon nach Jahresfrist
800 Vasen, so wuchs die Zahl bald auf mehr als 3000; eine ganz neue Welt
von Kunstanschauungen that sich auf. Da war es in der That von unschätz¬
barem Werthe, daß ein so kundiger und umsichtiger Berichterstatter wie Gerhard
zur Stelle war, um mit unermüdlicher Gewissenhaftigkeit die Facta zu sammeln,
nach bestimmten maßgebenden Gesichtspunkten zu ordnen und so einer wissen¬
schaftlichen Behandlung jenes ganzen Kunstzweiges den festen Grund zu bereiten.
Sein rapporto voleents (1831) bleibt eine der epochemachenden Erscheinungen
der archäologischen Literatur. Ist es zu verwundern, wenn Gerhard auch ferner¬
hin dieser Denkmälcrclasse mit besonderer Vorliebe zugethan blieb?

Dieselben Funde sollten aber noch eine weit bedeutendere Folge haben.
Die Masse der neu zuströmenden Denkmäler mußte den alten Wunsch der hyper-
boreisch-römischen Gesellschaft wieder anregen, durch periodische Publicationen
Würdige Nachbildungen jener Werke zu verbreiten und daneben die sonstigen
Thatsachen der Auffindung in möglichster Vollständigkeit zu sammeln. Auch
hier war Gerhard die Seele der Agitation. Der Herzog von Luynes, der sich
längst für jenen Gedanken interessirt und die liberalste Mitwirkung und Unter¬
stützung in Aussicht gestellt hatte, war eben einmal wieder in Rom anwesend,
des Beistandes der alten Freunde war man gewiß, manche neue konnte man
ZU gewinnen hoffen; Bunsen. der preußische Gesandte, sagte, ohne die Schwie¬
rigkeiten des Unternehmens zu verkennen, seine Hilfe zu. Entscheidend ward
dann die Anwesenheit des Kronprinzen von Preußen, der im November 1828
"ach Rom gekommen, dort zuerst seine Liebe für die alte Kunst an der Quelle
schöpfte, unter Bunsens Einfluß sich für jenen Plan lebhaft interessirte und
das Protectorat der neuen Stiftung übernahm. So entstand am Geburts¬
tage Winckelmanns. dem 9. December 1828, durch den Zusammentritt Ger-
hards, Bunsens. Kestners, Feas und Thorwaldsens das Institut für archäo¬
logische Corresp ondenz. Bunsen übernahm in der mehr auf italienische
als auf deutsche Neigungen berechneten Hierarchie des Instituts, welches im
preußischen Kronprinzen seinen Protector, im Herzog von Blacas seinen Präsi-
denten erhielt, das Generalsecretariat, woneben ihm Gerhard und Panofka, als
dirigirende Secretäre zur Seite standen, jener in Rom für Italien und Deutsch,
land, dieser in Paris für Frankreich und England. Denn es galt ein durch¬
aus internationales Institut zu stiften; die Mitglieder der Direktion. die Ehren-
und ordentlichen Mitglieder, die Korrespondenten waren durch ganz Europa zer-
streut. Es war die Absicht einen Mittelpunkt zu bilden, ebenso für alle Nach¬
richten über neue Funde und wichtige archäologische Thatsachen, wie für die
daran sich knüpfenden Forschungen. Die hierdurch erforderte ausgedehnte Corre-


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schritt Tag und Nacht vorwärts; ich sah mit Staunen eines Morgens zwei große
und schöne Vasen zusammengesetzt, deren Scherben ich des Nachmittags vorher
auf dem Ausgrabungsplatze erblickt hatte." Zählte man schon nach Jahresfrist
800 Vasen, so wuchs die Zahl bald auf mehr als 3000; eine ganz neue Welt
von Kunstanschauungen that sich auf. Da war es in der That von unschätz¬
barem Werthe, daß ein so kundiger und umsichtiger Berichterstatter wie Gerhard
zur Stelle war, um mit unermüdlicher Gewissenhaftigkeit die Facta zu sammeln,
nach bestimmten maßgebenden Gesichtspunkten zu ordnen und so einer wissen¬
schaftlichen Behandlung jenes ganzen Kunstzweiges den festen Grund zu bereiten.
Sein rapporto voleents (1831) bleibt eine der epochemachenden Erscheinungen
der archäologischen Literatur. Ist es zu verwundern, wenn Gerhard auch ferner¬
hin dieser Denkmälcrclasse mit besonderer Vorliebe zugethan blieb?

Dieselben Funde sollten aber noch eine weit bedeutendere Folge haben.
Die Masse der neu zuströmenden Denkmäler mußte den alten Wunsch der hyper-
boreisch-römischen Gesellschaft wieder anregen, durch periodische Publicationen
Würdige Nachbildungen jener Werke zu verbreiten und daneben die sonstigen
Thatsachen der Auffindung in möglichster Vollständigkeit zu sammeln. Auch
hier war Gerhard die Seele der Agitation. Der Herzog von Luynes, der sich
längst für jenen Gedanken interessirt und die liberalste Mitwirkung und Unter¬
stützung in Aussicht gestellt hatte, war eben einmal wieder in Rom anwesend,
des Beistandes der alten Freunde war man gewiß, manche neue konnte man
ZU gewinnen hoffen; Bunsen. der preußische Gesandte, sagte, ohne die Schwie¬
rigkeiten des Unternehmens zu verkennen, seine Hilfe zu. Entscheidend ward
dann die Anwesenheit des Kronprinzen von Preußen, der im November 1828
"ach Rom gekommen, dort zuerst seine Liebe für die alte Kunst an der Quelle
schöpfte, unter Bunsens Einfluß sich für jenen Plan lebhaft interessirte und
das Protectorat der neuen Stiftung übernahm. So entstand am Geburts¬
tage Winckelmanns. dem 9. December 1828, durch den Zusammentritt Ger-
hards, Bunsens. Kestners, Feas und Thorwaldsens das Institut für archäo¬
logische Corresp ondenz. Bunsen übernahm in der mehr auf italienische
als auf deutsche Neigungen berechneten Hierarchie des Instituts, welches im
preußischen Kronprinzen seinen Protector, im Herzog von Blacas seinen Präsi-
denten erhielt, das Generalsecretariat, woneben ihm Gerhard und Panofka, als
dirigirende Secretäre zur Seite standen, jener in Rom für Italien und Deutsch,
land, dieser in Paris für Frankreich und England. Denn es galt ein durch¬
aus internationales Institut zu stiften; die Mitglieder der Direktion. die Ehren-
und ordentlichen Mitglieder, die Korrespondenten waren durch ganz Europa zer-
streut. Es war die Absicht einen Mittelpunkt zu bilden, ebenso für alle Nach¬
richten über neue Funde und wichtige archäologische Thatsachen, wie für die
daran sich knüpfenden Forschungen. Die hierdurch erforderte ausgedehnte Corre-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/459>, abgerufen am 22.07.2024.