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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Publication zu bestimmen, benutzte Gerhard seit 1824 'auf seinen zahlreichen
Reisen namentlich im südlichen Italien sowie in Rom selbst jede Gelegenheit,
um die Sammlung zu bereichern. Mochte auch bald der Mangel eines ge-
eigneten Zeichners, bald die Illiberalität eines Besitzers, bald die Entlegenheit
oder Verborgenheit eines Kunstwerks sich in den Weg stellen. Gerhard ließ
sich nicht irren; seiner zähen Energie und seiner seltenen Umsicht und Einsicht
gelang es. innerhalb weniger Jahre eine Fülle von Zeichnungen nach Antiken
zu sammeln, wie sie nicht leicht einem zweiten Archäologen je zu Gebote ge-
standen hat. So entstanden die "antiken Bildwerke", deren Abbildungen
auf 400 Tafeln großen Folioformates berechnet waren. Die erste Centurie
sollte unbekannte Werke. Götterbilder, mythologische Borgänge und Darstellungen
aus dem Mysterienkreise enthalten. die beiden folgenden eine ergänzende Aus¬
wahl merkwürdiger Bilder aus früheren Publicationen, die letzte endlich über¬
sichtliche Erläuterungstascln bieten. So sollte das ganze Werk, als ein Inbe¬
griff des Wissenswerthen der Archäologie in Abbildungen, allen einschlägigen
Studien zur Grundlage dienen. Keine Dcnkmälerciassc blieb dabei ausgeschlossen,
jede Zeichnung war sorgfältig nach dem Originale revidut. alle ungehörige
stilistische Verschönerung vermieden. Der Text sollte nur die allgemeinen Ge¬
sichtspunkte und eine genauere Erläuterung einiger Tafeln zur "Begründung
einer griechischen Götterlehre aus Kunstdenkmälern" geben, im nebligen sollte
er sich kurz fassen. So erschien mit den ersten Heften zusammen der "Prodromus
mythologischer Kunsterklärung", ein Werk voll selbständiger Gelehrsamkeit, das von
ebenso großer Beherrschung der schriftlichen wie der bildlichen Quellen Zeugniß
ablegt. Aber seine Benutzung erschwert der eigenthümliche Standpunkt des
Erklärers, der mit gleicher Vorliebe entlegene Deutungen und mystische Be¬
ziehungen aufsucht, wie er nichtmythologischer Erklärung der Annahme alltäglicher
Vorgänge abgeneigt ist und sich schwer entschließt, nicht zu lösenden Schwierig¬
keiten gegenüber sich zu bescheiden. Dazu kommt der sprachliche Ausdruck, dessen
Schwierigkeit zwar Gerhard selbst mit allem Recht durch die verwickelte Natur
des Gegenstandes entschuldigt, der aber auch durch eine unverkennbare Vorliebe für
die Stilweise Goethes in seinen späten Werken, wie durch den Einfluß italienischer
Ausdrucksweise und Stilistik gemodelt ist. Da das Werk trotz des Verhältniß-
mäßig niedrig gestellten Preises die gehoffte Aufnahme nicht fand, so trat nach
dem Erscheinen der ersten Lieferungen eine Stockung ein. Dazu ging ein Theil
der Zeichnungen auf dem Wege von Italien nach Deutsch! urd verloren, eine
bedeutende Anzahl bereits vollendeter Platten ward durch ein Versehen vor dem
Abzug abgeschliffen. Mit schwerem Herzen mußte sich Gerhard viel später ent¬
schließen, den ursprünglichen Plan von 400 auf 140 Tafeln zu beschränken.
So ward das 1828 begonnene Werk im Jahre 1844 zu einem wenigstens
äußerlichen Abschluß gebracht, aber trotz aller Verstümmelung durfte der Heraus-


Publication zu bestimmen, benutzte Gerhard seit 1824 'auf seinen zahlreichen
Reisen namentlich im südlichen Italien sowie in Rom selbst jede Gelegenheit,
um die Sammlung zu bereichern. Mochte auch bald der Mangel eines ge-
eigneten Zeichners, bald die Illiberalität eines Besitzers, bald die Entlegenheit
oder Verborgenheit eines Kunstwerks sich in den Weg stellen. Gerhard ließ
sich nicht irren; seiner zähen Energie und seiner seltenen Umsicht und Einsicht
gelang es. innerhalb weniger Jahre eine Fülle von Zeichnungen nach Antiken
zu sammeln, wie sie nicht leicht einem zweiten Archäologen je zu Gebote ge-
standen hat. So entstanden die „antiken Bildwerke", deren Abbildungen
auf 400 Tafeln großen Folioformates berechnet waren. Die erste Centurie
sollte unbekannte Werke. Götterbilder, mythologische Borgänge und Darstellungen
aus dem Mysterienkreise enthalten. die beiden folgenden eine ergänzende Aus¬
wahl merkwürdiger Bilder aus früheren Publicationen, die letzte endlich über¬
sichtliche Erläuterungstascln bieten. So sollte das ganze Werk, als ein Inbe¬
griff des Wissenswerthen der Archäologie in Abbildungen, allen einschlägigen
Studien zur Grundlage dienen. Keine Dcnkmälerciassc blieb dabei ausgeschlossen,
jede Zeichnung war sorgfältig nach dem Originale revidut. alle ungehörige
stilistische Verschönerung vermieden. Der Text sollte nur die allgemeinen Ge¬
sichtspunkte und eine genauere Erläuterung einiger Tafeln zur „Begründung
einer griechischen Götterlehre aus Kunstdenkmälern" geben, im nebligen sollte
er sich kurz fassen. So erschien mit den ersten Heften zusammen der „Prodromus
mythologischer Kunsterklärung", ein Werk voll selbständiger Gelehrsamkeit, das von
ebenso großer Beherrschung der schriftlichen wie der bildlichen Quellen Zeugniß
ablegt. Aber seine Benutzung erschwert der eigenthümliche Standpunkt des
Erklärers, der mit gleicher Vorliebe entlegene Deutungen und mystische Be¬
ziehungen aufsucht, wie er nichtmythologischer Erklärung der Annahme alltäglicher
Vorgänge abgeneigt ist und sich schwer entschließt, nicht zu lösenden Schwierig¬
keiten gegenüber sich zu bescheiden. Dazu kommt der sprachliche Ausdruck, dessen
Schwierigkeit zwar Gerhard selbst mit allem Recht durch die verwickelte Natur
des Gegenstandes entschuldigt, der aber auch durch eine unverkennbare Vorliebe für
die Stilweise Goethes in seinen späten Werken, wie durch den Einfluß italienischer
Ausdrucksweise und Stilistik gemodelt ist. Da das Werk trotz des Verhältniß-
mäßig niedrig gestellten Preises die gehoffte Aufnahme nicht fand, so trat nach
dem Erscheinen der ersten Lieferungen eine Stockung ein. Dazu ging ein Theil
der Zeichnungen auf dem Wege von Italien nach Deutsch! urd verloren, eine
bedeutende Anzahl bereits vollendeter Platten ward durch ein Versehen vor dem
Abzug abgeschliffen. Mit schwerem Herzen mußte sich Gerhard viel später ent¬
schließen, den ursprünglichen Plan von 400 auf 140 Tafeln zu beschränken.
So ward das 1828 begonnene Werk im Jahre 1844 zu einem wenigstens
äußerlichen Abschluß gebracht, aber trotz aller Verstümmelung durfte der Heraus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/455>, abgerufen am 22.07.2024.