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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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einen genauen Katalog der in ihrer Fülle fast unübersehbaren Monumente
des Vaticans verdanken wir Gerhards unermüdlichem, durch Platners Theilnahme
unterstützten Fleiße. Gerhard scheute kein Opfer an Zeit und Geduld. Auch
wer nicht eigene Erfahrungen gemacht hat, wird die Größe jenes Opfers er"
messen, wenn er einen Blick in die dreihundert eingedruckten Seiten jenes Ver¬
zeichnisses wirft und die gleichmäßige Ruhe und Sicherheit beachtet, mit welcher
der Thatbestand genau angegeben und Sinn und Kunstwerth der einzelnen
Monumente, nicht selten in eigenthümlicher Auffassung mit klarem Urtheil fest¬
gestellt wird. Ein vortrefflicher Aufsatz Gerhards über "Roms antike Bildwerke"
(1826) im ersten Bande der Beschreibung giebt als das allgemeine Resultat
seiner römischen Kunststudien eine Gesamtübersicht über Roms Antiken, theils
nach ihrer Stellung im Verlauf der Kunstgeschichte, wodurch wir die Einsicht
in die starken und die schwachen Seiten des römischen Kunstvorraths gewinnen,
theils nach der ursprünglichen Bestimmung, theils endlich nach den ihnen zu
Grunde liegenden Ideen. Auch diese Arbeit, welche bisher ohne Nachfolge ge¬
blieben ist, birgt in unscheinbarer Form eine reiche Fülle richtiger und gründ¬
licher Bemerkungen.

Man sollte meinen, daß die bisher angeführten Arbeiten genügt hätten,
um einige erste Jahre römischen und italienischen Aufenthalts auszufüllen und
Andern wohl angewandt erscheinen zu lassen, zumal wenn man die immer noch
schwache Gesundheit Gerhards erwägt. Allein dieser erkannte das dringende
Bedürfniß, die Kunstschätze Italiens nicht nur zu verzeichnen, sondern auch in
Abbildungen zugänglich zu machen. Denn hiermit war es traurig bestellt.
Roms Reichthum an Statuen und Reliefs hatte freilich schon seit Jahrhunderten
eine ganze Reihe von Kupferwerken mit bald heillosen bald allzu stilisirten Ab¬
bildungen hervorgerufen, umfangreiche Prachtwerke waren den bedeutendsten
Antiken römischer Museen, Paläste und Villen gewidmet, Winckelmann endlich
hatte in seinen UoimMouti ineäiti eine treffliche Auswahl noch unbekannter
Werke veranstaltet; dazu kamen Werke über etruskische Antiquitäten und die
große Arbeit über die Alterthümer aus Herculanum und Pompeji. Auf solchen
Grundlagen waren die encyklopädischen mythologischen Bilderbücher von Millin
und Hirt erwachsen. Aber was wollte das Alles heißen gegenüber der Masse von
übersehenen Werken, gegenüber dem alljährlich neu erstehenden Zuwachs?
Waren doch vollends die etwas entlegeneren Fundorte und Sammlungen fast ganz
unberücksichtigt geblieben. "Die alltägliche Meinung, welche sich ohne sonstigen
Vergleichungspunkt an die Denkmäler etlicher Kupferwerke hält, pflegt von der
grenzenlosen Erweiterungsfähigreit des archäologischen Materials keine Ahnung
zu haben", das erkannte Gerhard, und das als richtig und nothwendig Er'
kannte trotz aller Schwierigkeiten mit voller Energie durchzuführen, dazu war
er der geeignete Mann. Nachdem es gelungen war, Cotta zu einer umfassenden


einen genauen Katalog der in ihrer Fülle fast unübersehbaren Monumente
des Vaticans verdanken wir Gerhards unermüdlichem, durch Platners Theilnahme
unterstützten Fleiße. Gerhard scheute kein Opfer an Zeit und Geduld. Auch
wer nicht eigene Erfahrungen gemacht hat, wird die Größe jenes Opfers er«
messen, wenn er einen Blick in die dreihundert eingedruckten Seiten jenes Ver¬
zeichnisses wirft und die gleichmäßige Ruhe und Sicherheit beachtet, mit welcher
der Thatbestand genau angegeben und Sinn und Kunstwerth der einzelnen
Monumente, nicht selten in eigenthümlicher Auffassung mit klarem Urtheil fest¬
gestellt wird. Ein vortrefflicher Aufsatz Gerhards über „Roms antike Bildwerke"
(1826) im ersten Bande der Beschreibung giebt als das allgemeine Resultat
seiner römischen Kunststudien eine Gesamtübersicht über Roms Antiken, theils
nach ihrer Stellung im Verlauf der Kunstgeschichte, wodurch wir die Einsicht
in die starken und die schwachen Seiten des römischen Kunstvorraths gewinnen,
theils nach der ursprünglichen Bestimmung, theils endlich nach den ihnen zu
Grunde liegenden Ideen. Auch diese Arbeit, welche bisher ohne Nachfolge ge¬
blieben ist, birgt in unscheinbarer Form eine reiche Fülle richtiger und gründ¬
licher Bemerkungen.

Man sollte meinen, daß die bisher angeführten Arbeiten genügt hätten,
um einige erste Jahre römischen und italienischen Aufenthalts auszufüllen und
Andern wohl angewandt erscheinen zu lassen, zumal wenn man die immer noch
schwache Gesundheit Gerhards erwägt. Allein dieser erkannte das dringende
Bedürfniß, die Kunstschätze Italiens nicht nur zu verzeichnen, sondern auch in
Abbildungen zugänglich zu machen. Denn hiermit war es traurig bestellt.
Roms Reichthum an Statuen und Reliefs hatte freilich schon seit Jahrhunderten
eine ganze Reihe von Kupferwerken mit bald heillosen bald allzu stilisirten Ab¬
bildungen hervorgerufen, umfangreiche Prachtwerke waren den bedeutendsten
Antiken römischer Museen, Paläste und Villen gewidmet, Winckelmann endlich
hatte in seinen UoimMouti ineäiti eine treffliche Auswahl noch unbekannter
Werke veranstaltet; dazu kamen Werke über etruskische Antiquitäten und die
große Arbeit über die Alterthümer aus Herculanum und Pompeji. Auf solchen
Grundlagen waren die encyklopädischen mythologischen Bilderbücher von Millin
und Hirt erwachsen. Aber was wollte das Alles heißen gegenüber der Masse von
übersehenen Werken, gegenüber dem alljährlich neu erstehenden Zuwachs?
Waren doch vollends die etwas entlegeneren Fundorte und Sammlungen fast ganz
unberücksichtigt geblieben. „Die alltägliche Meinung, welche sich ohne sonstigen
Vergleichungspunkt an die Denkmäler etlicher Kupferwerke hält, pflegt von der
grenzenlosen Erweiterungsfähigreit des archäologischen Materials keine Ahnung
zu haben", das erkannte Gerhard, und das als richtig und nothwendig Er'
kannte trotz aller Schwierigkeiten mit voller Energie durchzuführen, dazu war
er der geeignete Mann. Nachdem es gelungen war, Cotta zu einer umfassenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/454>, abgerufen am 24.08.2024.