Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die sich Gerhard anschloß. Thiersch, Gerhard um elf Jahre im Alter
voraus, hatte früher unter E. Q. Visconti die Schätze des Uusöe Mpolöon
kennen gelernt und seine kunsthistorischen Ansichten zum Theil bereits in bedeu¬
tenderen Arbeiten niedergelegt, ein gereifter aber jugendfrischer Mann. Schorn,
wenig älter als Gerhard, war bereits seit zwei Jahren Redacteur des bei Cotta
erscheinenden Kunstblattes, mit feinem Kunstsinn ausgestattet und unter Schellings
Einfluß philosophisch gebildet. Zu dem Thüringer Thiersch, dem Mainzer Schorn,
dem Königsberger Hagen und dem Posener Gerhard trat dann noch häusig
der Würzburger Bildhauer Martin Wagner hinzu, der erfahrene Kenner
alter Kunst und bewährte Agent des damaligen Kronprinzen Ludwig von Bayern
bei seinen Ankäufen für die Münchener Glyptothek. Diese Mischung theore¬
tischer und praktischer Beschäftigung mit der alten Kunst bildet ein vorzügliches
Bildungselement grade in Rom, und so ward denn auch Gerhard in solcher
Umgebung auf das trefflichste in das Studium der dortigen Kunstwerke ein¬
geführt. In den römischen Museen, vorzugsweise auf Marmorwerke hinge¬
wiesen, verfolgte er mit Vorliebe gewisse religiöse Ideenkreise; die bacchischen
Darstellungen und ihr Verhältniß zu den Mysterien, das Doppelwesen der von
ihm sogenannten Venus-Proserpina, der alt-italische Gott Faunus boten
ihm die ersten Aufgaben, deren Bearbeitung für die Richtung und Methode
seiner Studien entscheidend wurde. Neben dem unverkennbaren Einfluß von
Creuzers Symbolik tritt ein tief in Gerhards ganzer Natur liegendes Bestreben
nach systematischer Abrundung schon hier hervor. Seine strenge philologische
Schulung ließ ihn aber auch andere Aufgaben nicht vernachlässigen, von denen
eine topographische auf das Forum bezügliche Arbeit ihm die Anerkennung auch
der einheimischen Gelehrten verschaffte. Winckelmanns Herausgeber, Carlo Fea
und Filippo Aurelio Visconti, der Bruder Emilio Quirinos, erleich¬
terten ihm den Gebrauch der in Rom damals so schwer zu beschaffender litera¬
rischen Hilfsmittel. Girolamo Amati, später Borghesi, der eigentliche
Begründer der lateinischen Epigraphik, führten ihn in diese Disciplin ein. Per¬
sönliche Beziehungen zu italienischen Gelehrten erweiterten sich leicht auf man¬
nigfachen Streifzügen, nach Florenz. Neapel und anderen Orten; Gerhard zählte
bald zu den geeignetsten Vermittlern deutscher und italienischer wissenschaftlicher
Arbeit. Eine große Gewandtheit des Verkehrs, in schwierigen Situationen
ein bedeutendes diptomatisches Geschick, dazu eine vollendete Herrschaft über
die italienische Sprache, wie sie damals mit bewußter Kunst gepflegt ward,
waren überall Gerhards beste Hilfe.

Gerhard wollte aber nicht blos für die Italiener die deutschen Bestrebungen
Vermitteln, er ließ es sich nicht minder angelegen sein, seine Landsleute an
Italiens Schätzen theilnehmen zu lassen. Die Freundschaft mit Schorn hatte
die Theilnahme an dessen Kunstblatt zur Folge. Seit dem Jahre 1823 stattete


die sich Gerhard anschloß. Thiersch, Gerhard um elf Jahre im Alter
voraus, hatte früher unter E. Q. Visconti die Schätze des Uusöe Mpolöon
kennen gelernt und seine kunsthistorischen Ansichten zum Theil bereits in bedeu¬
tenderen Arbeiten niedergelegt, ein gereifter aber jugendfrischer Mann. Schorn,
wenig älter als Gerhard, war bereits seit zwei Jahren Redacteur des bei Cotta
erscheinenden Kunstblattes, mit feinem Kunstsinn ausgestattet und unter Schellings
Einfluß philosophisch gebildet. Zu dem Thüringer Thiersch, dem Mainzer Schorn,
dem Königsberger Hagen und dem Posener Gerhard trat dann noch häusig
der Würzburger Bildhauer Martin Wagner hinzu, der erfahrene Kenner
alter Kunst und bewährte Agent des damaligen Kronprinzen Ludwig von Bayern
bei seinen Ankäufen für die Münchener Glyptothek. Diese Mischung theore¬
tischer und praktischer Beschäftigung mit der alten Kunst bildet ein vorzügliches
Bildungselement grade in Rom, und so ward denn auch Gerhard in solcher
Umgebung auf das trefflichste in das Studium der dortigen Kunstwerke ein¬
geführt. In den römischen Museen, vorzugsweise auf Marmorwerke hinge¬
wiesen, verfolgte er mit Vorliebe gewisse religiöse Ideenkreise; die bacchischen
Darstellungen und ihr Verhältniß zu den Mysterien, das Doppelwesen der von
ihm sogenannten Venus-Proserpina, der alt-italische Gott Faunus boten
ihm die ersten Aufgaben, deren Bearbeitung für die Richtung und Methode
seiner Studien entscheidend wurde. Neben dem unverkennbaren Einfluß von
Creuzers Symbolik tritt ein tief in Gerhards ganzer Natur liegendes Bestreben
nach systematischer Abrundung schon hier hervor. Seine strenge philologische
Schulung ließ ihn aber auch andere Aufgaben nicht vernachlässigen, von denen
eine topographische auf das Forum bezügliche Arbeit ihm die Anerkennung auch
der einheimischen Gelehrten verschaffte. Winckelmanns Herausgeber, Carlo Fea
und Filippo Aurelio Visconti, der Bruder Emilio Quirinos, erleich¬
terten ihm den Gebrauch der in Rom damals so schwer zu beschaffender litera¬
rischen Hilfsmittel. Girolamo Amati, später Borghesi, der eigentliche
Begründer der lateinischen Epigraphik, führten ihn in diese Disciplin ein. Per¬
sönliche Beziehungen zu italienischen Gelehrten erweiterten sich leicht auf man¬
nigfachen Streifzügen, nach Florenz. Neapel und anderen Orten; Gerhard zählte
bald zu den geeignetsten Vermittlern deutscher und italienischer wissenschaftlicher
Arbeit. Eine große Gewandtheit des Verkehrs, in schwierigen Situationen
ein bedeutendes diptomatisches Geschick, dazu eine vollendete Herrschaft über
die italienische Sprache, wie sie damals mit bewußter Kunst gepflegt ward,
waren überall Gerhards beste Hilfe.

Gerhard wollte aber nicht blos für die Italiener die deutschen Bestrebungen
Vermitteln, er ließ es sich nicht minder angelegen sein, seine Landsleute an
Italiens Schätzen theilnehmen zu lassen. Die Freundschaft mit Schorn hatte
die Theilnahme an dessen Kunstblatt zur Folge. Seit dem Jahre 1823 stattete


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191146"/>
          <p xml:id="ID_1486" prev="#ID_1485"> die sich Gerhard anschloß. Thiersch, Gerhard um elf Jahre im Alter<lb/>
voraus, hatte früher unter E. Q. Visconti die Schätze des Uusöe Mpolöon<lb/>
kennen gelernt und seine kunsthistorischen Ansichten zum Theil bereits in bedeu¬<lb/>
tenderen Arbeiten niedergelegt, ein gereifter aber jugendfrischer Mann. Schorn,<lb/>
wenig älter als Gerhard, war bereits seit zwei Jahren Redacteur des bei Cotta<lb/>
erscheinenden Kunstblattes, mit feinem Kunstsinn ausgestattet und unter Schellings<lb/>
Einfluß philosophisch gebildet. Zu dem Thüringer Thiersch, dem Mainzer Schorn,<lb/>
dem Königsberger Hagen und dem Posener Gerhard trat dann noch häusig<lb/>
der Würzburger Bildhauer Martin Wagner hinzu, der erfahrene Kenner<lb/>
alter Kunst und bewährte Agent des damaligen Kronprinzen Ludwig von Bayern<lb/>
bei seinen Ankäufen für die Münchener Glyptothek. Diese Mischung theore¬<lb/>
tischer und praktischer Beschäftigung mit der alten Kunst bildet ein vorzügliches<lb/>
Bildungselement grade in Rom, und so ward denn auch Gerhard in solcher<lb/>
Umgebung auf das trefflichste in das Studium der dortigen Kunstwerke ein¬<lb/>
geführt. In den römischen Museen, vorzugsweise auf Marmorwerke hinge¬<lb/>
wiesen, verfolgte er mit Vorliebe gewisse religiöse Ideenkreise; die bacchischen<lb/>
Darstellungen und ihr Verhältniß zu den Mysterien, das Doppelwesen der von<lb/>
ihm sogenannten Venus-Proserpina, der alt-italische Gott Faunus boten<lb/>
ihm die ersten Aufgaben, deren Bearbeitung für die Richtung und Methode<lb/>
seiner Studien entscheidend wurde. Neben dem unverkennbaren Einfluß von<lb/>
Creuzers Symbolik tritt ein tief in Gerhards ganzer Natur liegendes Bestreben<lb/>
nach systematischer Abrundung schon hier hervor. Seine strenge philologische<lb/>
Schulung ließ ihn aber auch andere Aufgaben nicht vernachlässigen, von denen<lb/>
eine topographische auf das Forum bezügliche Arbeit ihm die Anerkennung auch<lb/>
der einheimischen Gelehrten verschaffte. Winckelmanns Herausgeber, Carlo Fea<lb/>
und Filippo Aurelio Visconti, der Bruder Emilio Quirinos, erleich¬<lb/>
terten ihm den Gebrauch der in Rom damals so schwer zu beschaffender litera¬<lb/>
rischen Hilfsmittel. Girolamo Amati, später Borghesi, der eigentliche<lb/>
Begründer der lateinischen Epigraphik, führten ihn in diese Disciplin ein. Per¬<lb/>
sönliche Beziehungen zu italienischen Gelehrten erweiterten sich leicht auf man¬<lb/>
nigfachen Streifzügen, nach Florenz. Neapel und anderen Orten; Gerhard zählte<lb/>
bald zu den geeignetsten Vermittlern deutscher und italienischer wissenschaftlicher<lb/>
Arbeit. Eine große Gewandtheit des Verkehrs, in schwierigen Situationen<lb/>
ein bedeutendes diptomatisches Geschick, dazu eine vollendete Herrschaft über<lb/>
die italienische Sprache, wie sie damals mit bewußter Kunst gepflegt ward,<lb/>
waren überall Gerhards beste Hilfe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1487" next="#ID_1488"> Gerhard wollte aber nicht blos für die Italiener die deutschen Bestrebungen<lb/>
Vermitteln, er ließ es sich nicht minder angelegen sein, seine Landsleute an<lb/>
Italiens Schätzen theilnehmen zu lassen. Die Freundschaft mit Schorn hatte<lb/>
die Theilnahme an dessen Kunstblatt zur Folge. Seit dem Jahre 1823 stattete</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] die sich Gerhard anschloß. Thiersch, Gerhard um elf Jahre im Alter voraus, hatte früher unter E. Q. Visconti die Schätze des Uusöe Mpolöon kennen gelernt und seine kunsthistorischen Ansichten zum Theil bereits in bedeu¬ tenderen Arbeiten niedergelegt, ein gereifter aber jugendfrischer Mann. Schorn, wenig älter als Gerhard, war bereits seit zwei Jahren Redacteur des bei Cotta erscheinenden Kunstblattes, mit feinem Kunstsinn ausgestattet und unter Schellings Einfluß philosophisch gebildet. Zu dem Thüringer Thiersch, dem Mainzer Schorn, dem Königsberger Hagen und dem Posener Gerhard trat dann noch häusig der Würzburger Bildhauer Martin Wagner hinzu, der erfahrene Kenner alter Kunst und bewährte Agent des damaligen Kronprinzen Ludwig von Bayern bei seinen Ankäufen für die Münchener Glyptothek. Diese Mischung theore¬ tischer und praktischer Beschäftigung mit der alten Kunst bildet ein vorzügliches Bildungselement grade in Rom, und so ward denn auch Gerhard in solcher Umgebung auf das trefflichste in das Studium der dortigen Kunstwerke ein¬ geführt. In den römischen Museen, vorzugsweise auf Marmorwerke hinge¬ wiesen, verfolgte er mit Vorliebe gewisse religiöse Ideenkreise; die bacchischen Darstellungen und ihr Verhältniß zu den Mysterien, das Doppelwesen der von ihm sogenannten Venus-Proserpina, der alt-italische Gott Faunus boten ihm die ersten Aufgaben, deren Bearbeitung für die Richtung und Methode seiner Studien entscheidend wurde. Neben dem unverkennbaren Einfluß von Creuzers Symbolik tritt ein tief in Gerhards ganzer Natur liegendes Bestreben nach systematischer Abrundung schon hier hervor. Seine strenge philologische Schulung ließ ihn aber auch andere Aufgaben nicht vernachlässigen, von denen eine topographische auf das Forum bezügliche Arbeit ihm die Anerkennung auch der einheimischen Gelehrten verschaffte. Winckelmanns Herausgeber, Carlo Fea und Filippo Aurelio Visconti, der Bruder Emilio Quirinos, erleich¬ terten ihm den Gebrauch der in Rom damals so schwer zu beschaffender litera¬ rischen Hilfsmittel. Girolamo Amati, später Borghesi, der eigentliche Begründer der lateinischen Epigraphik, führten ihn in diese Disciplin ein. Per¬ sönliche Beziehungen zu italienischen Gelehrten erweiterten sich leicht auf man¬ nigfachen Streifzügen, nach Florenz. Neapel und anderen Orten; Gerhard zählte bald zu den geeignetsten Vermittlern deutscher und italienischer wissenschaftlicher Arbeit. Eine große Gewandtheit des Verkehrs, in schwierigen Situationen ein bedeutendes diptomatisches Geschick, dazu eine vollendete Herrschaft über die italienische Sprache, wie sie damals mit bewußter Kunst gepflegt ward, waren überall Gerhards beste Hilfe. Gerhard wollte aber nicht blos für die Italiener die deutschen Bestrebungen Vermitteln, er ließ es sich nicht minder angelegen sein, seine Landsleute an Italiens Schätzen theilnehmen zu lassen. Die Freundschaft mit Schorn hatte die Theilnahme an dessen Kunstblatt zur Folge. Seit dem Jahre 1823 stattete

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/452>, abgerufen am 22.07.2024.