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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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fehlte. Er habilitirte sich gleichzeitig in Breslau und gab hier im Verein mit
Wernicke, Meier und noch einigen Freunden zwei Hefte "philologischer Blätter"
heraus, deren scharfe und übermüthige Angriffe, besonders aus Hermann und seine
Schüler, den jugendlichen Verfassern manche Unannehmlichkeit zuzog. Schlimmer
betraf Gerhard ein Augenleiden, das er sich bei der mühsamen Entzifferung
schlecht geschriebener Pindarscholien zuzog und das mit dem Verlust der Seh¬
kraft des einen Auges endete. So sah er sich genöthigt, die übernommene
Arbeit an Böckh zurückzugeben, nachdem mit der Ausarbeitung nur eben erst
begonnen war. Auch auf die akademische Thätigkeit mußte Gerhard verzichten
und unterrichtete einstweilen in Posen als Lehrer am Gymnasium mit Eifer
die polnische Jugend.

Das Augenleiden und eine nervöse Abspannung führten Gerhard im Jahre
1819 zuerst über die Alpen. Rom bildete den Mittelpunkt, aber nicht das
letzte Ziel der Reise, die sich im folgenden Jahre bis auf Sicilien ausdehnte.
Körperliche Erholung war der nächste Zweck derselben, von Verfolgung specieller
wissenschaftlicher Zwecke abzusehen zwang ihn schon sein leidender Zustand. Aber
Anregung brachte er in reicher Fülle mit, Italien hatte es ihm angethan
und den unwiderstehlichen Wunsch hervorgerufen, auf die eigenthümlichen Auf¬
gaben des Wunderlandes vollständiger vorbereitet zurückzukehren; darin erkannte
er eine Aufgabe und eine Pflicht seines Lebens. Das Jahr 1821 gewährte
ihm bei befestigter Gesundheit den Anblick der im Louvre gesammelten Sculp-
turen und ließ ihn manche persönliche Bekanntschaft anknüpfen. Zu der prak¬
tischen Ausbildung und der erworbenen Fertigkeit Kunstwerke zu betrachten --
einer Kunst, die leichter scheint, als sie in der That ist -- gesellten sich theoretische
Studien über das ganze Gebiet der Archäologie, denen er sich in großer Zurück¬
gezogenheit in Bonn widmete. So nach allen Seiten wohl vorbereitet, trat
er zum zweiten Male die Pilgerfahrt nach Italien an. um das alte Wort, das
er sich zum Wahrspruch gewählt hatte, die Heilung bei dem zu suchen, der die
Wunde geschlagen, zu erproben. War auch die Sehkraft mangelhaft geblieben,
fo daß sie es ihm erschwerte, einen umfassenderen Eindruck aus einmal in sich
aufzunehmen, so war doch nicht mehr die äußerste Schonung geboten; auch
Uebrigen ersetzte der Körper, was ihm etwa an Kraft gebrach, durch Zähig¬
keit, welche in einer eisernen Willenskraft und einem unermüdlichen Pflichteifer
ihren Rückhalt fand. Am 18. October 1822 traf Gerhard in Rom ein und nahm
"ne Wohnung auf dem Monte Pincio.

In Rom fand sich damals wie heute eine Reihe von Gesinnungsgenossen
aller Nationen zusammen, denen allen das Studium des alten Roms und seiner
Kunstwerke am Herzen lag, aber es fehlte noch an einem gemeinsamen Centrum.
So galt es also seine Fäden hier und da anzuknüpfen. Von deutschen Archäo¬
logen waren es zunächst Friedr. Thiersch, Ludwig Schorn und Aug. Hagen, an


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fehlte. Er habilitirte sich gleichzeitig in Breslau und gab hier im Verein mit
Wernicke, Meier und noch einigen Freunden zwei Hefte „philologischer Blätter"
heraus, deren scharfe und übermüthige Angriffe, besonders aus Hermann und seine
Schüler, den jugendlichen Verfassern manche Unannehmlichkeit zuzog. Schlimmer
betraf Gerhard ein Augenleiden, das er sich bei der mühsamen Entzifferung
schlecht geschriebener Pindarscholien zuzog und das mit dem Verlust der Seh¬
kraft des einen Auges endete. So sah er sich genöthigt, die übernommene
Arbeit an Böckh zurückzugeben, nachdem mit der Ausarbeitung nur eben erst
begonnen war. Auch auf die akademische Thätigkeit mußte Gerhard verzichten
und unterrichtete einstweilen in Posen als Lehrer am Gymnasium mit Eifer
die polnische Jugend.

Das Augenleiden und eine nervöse Abspannung führten Gerhard im Jahre
1819 zuerst über die Alpen. Rom bildete den Mittelpunkt, aber nicht das
letzte Ziel der Reise, die sich im folgenden Jahre bis auf Sicilien ausdehnte.
Körperliche Erholung war der nächste Zweck derselben, von Verfolgung specieller
wissenschaftlicher Zwecke abzusehen zwang ihn schon sein leidender Zustand. Aber
Anregung brachte er in reicher Fülle mit, Italien hatte es ihm angethan
und den unwiderstehlichen Wunsch hervorgerufen, auf die eigenthümlichen Auf¬
gaben des Wunderlandes vollständiger vorbereitet zurückzukehren; darin erkannte
er eine Aufgabe und eine Pflicht seines Lebens. Das Jahr 1821 gewährte
ihm bei befestigter Gesundheit den Anblick der im Louvre gesammelten Sculp-
turen und ließ ihn manche persönliche Bekanntschaft anknüpfen. Zu der prak¬
tischen Ausbildung und der erworbenen Fertigkeit Kunstwerke zu betrachten —
einer Kunst, die leichter scheint, als sie in der That ist — gesellten sich theoretische
Studien über das ganze Gebiet der Archäologie, denen er sich in großer Zurück¬
gezogenheit in Bonn widmete. So nach allen Seiten wohl vorbereitet, trat
er zum zweiten Male die Pilgerfahrt nach Italien an. um das alte Wort, das
er sich zum Wahrspruch gewählt hatte, die Heilung bei dem zu suchen, der die
Wunde geschlagen, zu erproben. War auch die Sehkraft mangelhaft geblieben,
fo daß sie es ihm erschwerte, einen umfassenderen Eindruck aus einmal in sich
aufzunehmen, so war doch nicht mehr die äußerste Schonung geboten; auch
Uebrigen ersetzte der Körper, was ihm etwa an Kraft gebrach, durch Zähig¬
keit, welche in einer eisernen Willenskraft und einem unermüdlichen Pflichteifer
ihren Rückhalt fand. Am 18. October 1822 traf Gerhard in Rom ein und nahm
"ne Wohnung auf dem Monte Pincio.

In Rom fand sich damals wie heute eine Reihe von Gesinnungsgenossen
aller Nationen zusammen, denen allen das Studium des alten Roms und seiner
Kunstwerke am Herzen lag, aber es fehlte noch an einem gemeinsamen Centrum.
So galt es also seine Fäden hier und da anzuknüpfen. Von deutschen Archäo¬
logen waren es zunächst Friedr. Thiersch, Ludwig Schorn und Aug. Hagen, an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/451>, abgerufen am 02.07.2024.