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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Sinne durch ihre literarische wie akademische oder anderweitige praktische Thätig¬
keit besonders verdient gemacht haben, gehört Eduard Gerhard, der vor
wenigen Tagen der Wissenschaft entrissen ist. Wenige Zeilen, die nicht darauf An¬
spruch machen können, ein vollständiges Lebensbild zu entwerfen, mögen wenig¬
stens in weiteren Kreisen an die Bedeutung eines Mannes erinnern, der vor
vielen dazu beigetragen hat, deutscher Wissenschaft weit über die Grenzen des
Vaterlandes hinaus Achtung und Ehre zu verschaffen.

Eduard Gerhard wurde am 29. November 1795 in Posen geboren,
kam aber als kleiner Knabe nach Breslau, wo sein Vater als Jurist eine
geachtete Stellung einnahm, und erhielt dort seine erste Ausbildung. Schon
früh war er so weit herangereift, um seine Universitätsstudien zu beginnen und
widmete sich, anfangs durch den für seine Zukunft sorglichen Vater noch zur
Theologie gewiesen, schon in Breslau und später in Berlin mit vollem Eiser
der Philologie. Es waren fast ausschließlich streng philologische Studien, die
er betneb, die alten Sprachen wurden ihm aufs engste vertraut; seine früh
erworbene umfassende Belesenheit, unterstützt von einem staunenswerthen Ge¬
dächtniß, kam ihm in späteren Zeiten erschwerten Studiums trefflich zu Statten.
In Berlin schloß er sich hauptsächlich an Böckh an, der damals an seiner
großen Pindarausgabe arbeitete. Nicht blos die philologische Einzelarbeit konnte
er hier lernen, sondern zugleich unter des Meisters Anleitung den Blick auf
die Weite des von der ganzen Alterthumswissenschaft umspannten Gebietes
werfen. Dabei fehlte es auch nicht an vertrauten Studiengenossen, namentlich
verbanden ihn enge Freundschaft und gemeinsames Studium mit dem im Jahre
1855 als Professor in Halle verstorbenen Mor. Hera. Ed. Meier. Mit diesem
theilte Gerhard auch die Wohnung; fast hätte aber die Freundschaft ein Ende
gefunden, als der noch nicht zwanzigjährige Gerhard eines Tages im April 1815
seinen Stubenkameraden mit der Nachricht überraschte, er habe soeben sein
Examen beendigt. Noch in späterer Zeit konnte Meier bei aller Herzlichkeit des
fortgesetzten Verkehrs diese von dem Freunde hinter seinem Rücken bestandene
Gefahr nicht recht vergessen. Am 1. Juli desselben Jahres fand die Promotion
statt, Böckh war der Promotor und Gerhard ward der erste cloetor rite promotus
an der philosophischen Facultät zu Berlin. Erst im folgenden Jahre erschien
die Promotionsschrift, seine leotiones ^polloirig.ug.<z, eine genaue und scharf¬
sinnige Arbeit von strenger Methode über die Kritik des Apollonios von Rhodos,
deren Reife bei der Jugend des Verfassers doppelte Anerkennung verdient und
die noch heute auch von den strengsten Richtern des Fachs hochgeschätzt wird.
Dieselbe war denn auch der Anlaß, daß Böckh ihn zur Mitarbeit an seinem
Pindar heranzog und ihm die Herausgabe der Scholien übertrug. Dieser ehren¬
volle Auftrag machte Gerhard zunächst mühsame Handschristenvergleichungen und
anderweitige Vorarbeiten zur Pflicht, wobei es nicht an schönen Entdeckungen


Sinne durch ihre literarische wie akademische oder anderweitige praktische Thätig¬
keit besonders verdient gemacht haben, gehört Eduard Gerhard, der vor
wenigen Tagen der Wissenschaft entrissen ist. Wenige Zeilen, die nicht darauf An¬
spruch machen können, ein vollständiges Lebensbild zu entwerfen, mögen wenig¬
stens in weiteren Kreisen an die Bedeutung eines Mannes erinnern, der vor
vielen dazu beigetragen hat, deutscher Wissenschaft weit über die Grenzen des
Vaterlandes hinaus Achtung und Ehre zu verschaffen.

Eduard Gerhard wurde am 29. November 1795 in Posen geboren,
kam aber als kleiner Knabe nach Breslau, wo sein Vater als Jurist eine
geachtete Stellung einnahm, und erhielt dort seine erste Ausbildung. Schon
früh war er so weit herangereift, um seine Universitätsstudien zu beginnen und
widmete sich, anfangs durch den für seine Zukunft sorglichen Vater noch zur
Theologie gewiesen, schon in Breslau und später in Berlin mit vollem Eiser
der Philologie. Es waren fast ausschließlich streng philologische Studien, die
er betneb, die alten Sprachen wurden ihm aufs engste vertraut; seine früh
erworbene umfassende Belesenheit, unterstützt von einem staunenswerthen Ge¬
dächtniß, kam ihm in späteren Zeiten erschwerten Studiums trefflich zu Statten.
In Berlin schloß er sich hauptsächlich an Böckh an, der damals an seiner
großen Pindarausgabe arbeitete. Nicht blos die philologische Einzelarbeit konnte
er hier lernen, sondern zugleich unter des Meisters Anleitung den Blick auf
die Weite des von der ganzen Alterthumswissenschaft umspannten Gebietes
werfen. Dabei fehlte es auch nicht an vertrauten Studiengenossen, namentlich
verbanden ihn enge Freundschaft und gemeinsames Studium mit dem im Jahre
1855 als Professor in Halle verstorbenen Mor. Hera. Ed. Meier. Mit diesem
theilte Gerhard auch die Wohnung; fast hätte aber die Freundschaft ein Ende
gefunden, als der noch nicht zwanzigjährige Gerhard eines Tages im April 1815
seinen Stubenkameraden mit der Nachricht überraschte, er habe soeben sein
Examen beendigt. Noch in späterer Zeit konnte Meier bei aller Herzlichkeit des
fortgesetzten Verkehrs diese von dem Freunde hinter seinem Rücken bestandene
Gefahr nicht recht vergessen. Am 1. Juli desselben Jahres fand die Promotion
statt, Böckh war der Promotor und Gerhard ward der erste cloetor rite promotus
an der philosophischen Facultät zu Berlin. Erst im folgenden Jahre erschien
die Promotionsschrift, seine leotiones ^polloirig.ug.<z, eine genaue und scharf¬
sinnige Arbeit von strenger Methode über die Kritik des Apollonios von Rhodos,
deren Reife bei der Jugend des Verfassers doppelte Anerkennung verdient und
die noch heute auch von den strengsten Richtern des Fachs hochgeschätzt wird.
Dieselbe war denn auch der Anlaß, daß Böckh ihn zur Mitarbeit an seinem
Pindar heranzog und ihm die Herausgabe der Scholien übertrug. Dieser ehren¬
volle Auftrag machte Gerhard zunächst mühsame Handschristenvergleichungen und
anderweitige Vorarbeiten zur Pflicht, wobei es nicht an schönen Entdeckungen


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[0450] Sinne durch ihre literarische wie akademische oder anderweitige praktische Thätig¬ keit besonders verdient gemacht haben, gehört Eduard Gerhard, der vor wenigen Tagen der Wissenschaft entrissen ist. Wenige Zeilen, die nicht darauf An¬ spruch machen können, ein vollständiges Lebensbild zu entwerfen, mögen wenig¬ stens in weiteren Kreisen an die Bedeutung eines Mannes erinnern, der vor vielen dazu beigetragen hat, deutscher Wissenschaft weit über die Grenzen des Vaterlandes hinaus Achtung und Ehre zu verschaffen. Eduard Gerhard wurde am 29. November 1795 in Posen geboren, kam aber als kleiner Knabe nach Breslau, wo sein Vater als Jurist eine geachtete Stellung einnahm, und erhielt dort seine erste Ausbildung. Schon früh war er so weit herangereift, um seine Universitätsstudien zu beginnen und widmete sich, anfangs durch den für seine Zukunft sorglichen Vater noch zur Theologie gewiesen, schon in Breslau und später in Berlin mit vollem Eiser der Philologie. Es waren fast ausschließlich streng philologische Studien, die er betneb, die alten Sprachen wurden ihm aufs engste vertraut; seine früh erworbene umfassende Belesenheit, unterstützt von einem staunenswerthen Ge¬ dächtniß, kam ihm in späteren Zeiten erschwerten Studiums trefflich zu Statten. In Berlin schloß er sich hauptsächlich an Böckh an, der damals an seiner großen Pindarausgabe arbeitete. Nicht blos die philologische Einzelarbeit konnte er hier lernen, sondern zugleich unter des Meisters Anleitung den Blick auf die Weite des von der ganzen Alterthumswissenschaft umspannten Gebietes werfen. Dabei fehlte es auch nicht an vertrauten Studiengenossen, namentlich verbanden ihn enge Freundschaft und gemeinsames Studium mit dem im Jahre 1855 als Professor in Halle verstorbenen Mor. Hera. Ed. Meier. Mit diesem theilte Gerhard auch die Wohnung; fast hätte aber die Freundschaft ein Ende gefunden, als der noch nicht zwanzigjährige Gerhard eines Tages im April 1815 seinen Stubenkameraden mit der Nachricht überraschte, er habe soeben sein Examen beendigt. Noch in späterer Zeit konnte Meier bei aller Herzlichkeit des fortgesetzten Verkehrs diese von dem Freunde hinter seinem Rücken bestandene Gefahr nicht recht vergessen. Am 1. Juli desselben Jahres fand die Promotion statt, Böckh war der Promotor und Gerhard ward der erste cloetor rite promotus an der philosophischen Facultät zu Berlin. Erst im folgenden Jahre erschien die Promotionsschrift, seine leotiones ^polloirig.ug.<z, eine genaue und scharf¬ sinnige Arbeit von strenger Methode über die Kritik des Apollonios von Rhodos, deren Reife bei der Jugend des Verfassers doppelte Anerkennung verdient und die noch heute auch von den strengsten Richtern des Fachs hochgeschätzt wird. Dieselbe war denn auch der Anlaß, daß Böckh ihn zur Mitarbeit an seinem Pindar heranzog und ihm die Herausgabe der Scholien übertrug. Dieser ehren¬ volle Auftrag machte Gerhard zunächst mühsame Handschristenvergleichungen und anderweitige Vorarbeiten zur Pflicht, wobei es nicht an schönen Entdeckungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/450>, abgerufen am 01.07.2024.