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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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daß sich in dem westpreußischen Bruderlande gleichzeitig ein "frisches" nationales
(d. h. polnisches) Leben regt, -- der Ausgang dieses Krieges, auf den so viele
Hoffnungen gesetzt worden waren, bringt in Oestreich das die slawische Sache
rcpräsentirende Föderativsystem zu Fall und stellt Preußen an die Spitze eines
Bundes norddeutscher Völker, welchem nicht nur die Wenden der Ober- und
Niederlausitz, sondern auch die Bewohner Posens, West- und Ostpreußens ein¬
verleibt werden. Daß als Kompensation für diese Verluste die Slawisirung
Oestreichs gefordert und als einziges Rettungsmittel für die bedrohte Zukunft
dieses Staats bezeichnet wird, zeigt allerdings, daß die Politiker des Central-
vlattes aus jeder Verlegenheit einen ihren Interessen und Wünschen entsprechen¬
den Ausgang zu finden wissen -- schade nur, daß die neuesten Vorgänge an der
Donau den Zeitpunkt für die Verwirklichung dieses Programms in eine Ent¬
fernung gerückt haben, die trotz der "täglich zunehmenden Bedeutung des Slawen-
thums" gar nicht zu ermessen ist. Inzwischen tröstet man sich mit Reminis¬
cenzen aus der vergangenen Herrlichkeit der Slawenherrschaft am baltischen
Meer oder mit dem Zuwachs der slawischen Literatur in Laibach, oder man
registrirt Dutzende berühmter slawischer Componisten und Musttcr, welche allein
das Böhmen der Gegenwart hervorgebracht hat, oder es werden unmaßgebliche
Vorschläge zur Aussöhnung der Polen mit ihren stammverwandten Freunden
und Brüdern den Russen und zur Vereinigung der griechischen orthodoxen mit
der anglikanischen Kirche gemacht, sowie tiefsinnige Betrachtungen über die "fa¬
talistische Bedeutung" Westiußlands (Luhaucns) für das Slawenthum, über die
nationale Bewegung in Rußland und über die Aufgabe dieses Staats gegen¬
über den stammverwandten Brüdern im übrigen Europa angestellt.

Rußland ist überhaupt die eigentliche Heimath der Geister, welche im Cen-
tralblatt ihr lustiges Spiel treiben. Von den praktischen Fragen, mit deren
Lösung die Regierung dieses ungeheuren Reichs sich abmüht, von der steigenden
Finanznoth, der Stockung aller Production, dem entsetzlichen Crcditman^el, dem
Umsichgreifen socialistischer Irrlehren, der zunehmenden Völkern u. s. w. ist nur
sehr ausnahmsweise die Rede. Die Beiührung mit der Brutalität dieser That¬
sachen würde die philosophische Spekulation über die slawischen Aufgaben der
Zukunft nur stören und den klaren Blick des Sehers verdunkeln, der berufen
ist, das Vorübergehende von dem Bleibenden zu unterscheiden. Kann das Cen-
tralorgan des Panslawismus es doch überhaupt nicht mit dem Rußland der zu¬
fälligen, doch dazu durch fremdländische Einflüsse getrübten Erscheinung zu
thun haben! um dieses handelt es sich gar nicht, sondern um das Nußland,
wie es von der slawischen Idee gefordert wird, um das vierte Weltreich zu
gründen und seine weltgeschichtliche Mission zu lösen! Das russische Reich der
Gegenwart kommt nur in Betracht, insoweit es die Keime dieser künftige"
Entwickelung birgt. Zwar läßt sich demselben schon gegenwärtig nachrühmen,


daß sich in dem westpreußischen Bruderlande gleichzeitig ein „frisches" nationales
(d. h. polnisches) Leben regt, — der Ausgang dieses Krieges, auf den so viele
Hoffnungen gesetzt worden waren, bringt in Oestreich das die slawische Sache
rcpräsentirende Föderativsystem zu Fall und stellt Preußen an die Spitze eines
Bundes norddeutscher Völker, welchem nicht nur die Wenden der Ober- und
Niederlausitz, sondern auch die Bewohner Posens, West- und Ostpreußens ein¬
verleibt werden. Daß als Kompensation für diese Verluste die Slawisirung
Oestreichs gefordert und als einziges Rettungsmittel für die bedrohte Zukunft
dieses Staats bezeichnet wird, zeigt allerdings, daß die Politiker des Central-
vlattes aus jeder Verlegenheit einen ihren Interessen und Wünschen entsprechen¬
den Ausgang zu finden wissen — schade nur, daß die neuesten Vorgänge an der
Donau den Zeitpunkt für die Verwirklichung dieses Programms in eine Ent¬
fernung gerückt haben, die trotz der „täglich zunehmenden Bedeutung des Slawen-
thums" gar nicht zu ermessen ist. Inzwischen tröstet man sich mit Reminis¬
cenzen aus der vergangenen Herrlichkeit der Slawenherrschaft am baltischen
Meer oder mit dem Zuwachs der slawischen Literatur in Laibach, oder man
registrirt Dutzende berühmter slawischer Componisten und Musttcr, welche allein
das Böhmen der Gegenwart hervorgebracht hat, oder es werden unmaßgebliche
Vorschläge zur Aussöhnung der Polen mit ihren stammverwandten Freunden
und Brüdern den Russen und zur Vereinigung der griechischen orthodoxen mit
der anglikanischen Kirche gemacht, sowie tiefsinnige Betrachtungen über die „fa¬
talistische Bedeutung" Westiußlands (Luhaucns) für das Slawenthum, über die
nationale Bewegung in Rußland und über die Aufgabe dieses Staats gegen¬
über den stammverwandten Brüdern im übrigen Europa angestellt.

Rußland ist überhaupt die eigentliche Heimath der Geister, welche im Cen-
tralblatt ihr lustiges Spiel treiben. Von den praktischen Fragen, mit deren
Lösung die Regierung dieses ungeheuren Reichs sich abmüht, von der steigenden
Finanznoth, der Stockung aller Production, dem entsetzlichen Crcditman^el, dem
Umsichgreifen socialistischer Irrlehren, der zunehmenden Völkern u. s. w. ist nur
sehr ausnahmsweise die Rede. Die Beiührung mit der Brutalität dieser That¬
sachen würde die philosophische Spekulation über die slawischen Aufgaben der
Zukunft nur stören und den klaren Blick des Sehers verdunkeln, der berufen
ist, das Vorübergehende von dem Bleibenden zu unterscheiden. Kann das Cen-
tralorgan des Panslawismus es doch überhaupt nicht mit dem Rußland der zu¬
fälligen, doch dazu durch fremdländische Einflüsse getrübten Erscheinung zu
thun haben! um dieses handelt es sich gar nicht, sondern um das Nußland,
wie es von der slawischen Idee gefordert wird, um das vierte Weltreich zu
gründen und seine weltgeschichtliche Mission zu lösen! Das russische Reich der
Gegenwart kommt nur in Betracht, insoweit es die Keime dieser künftige»
Entwickelung birgt. Zwar läßt sich demselben schon gegenwärtig nachrühmen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/440>, abgerufen am 22.07.2024.