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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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leer" geworden -- denn die Inspektoren und Lehrer der wendischen Schulen seien
der Nationalsprache nicht immer gehörig kundig, es gebe Geistliche, welche sie
gar nicht verständen und somit habe "das Unrecht alle Scham" verloren. In
der Ur. 6 desselben Jahrgangs (S. 44) wird dasselbe Thema von einem andern
Korrespondenten, der zugleich für die Kreuzzeitung thätig ist, in maßvollerer
und zahmerer Weise variirt und die Bildung wendischer Theologenvereine, nach
dem Muster des leipziger Vereins für die Universitäten Breslau und Berlin
vorgeschlagen. Obgleich der Correspondent sich dagegen verwahrt, den Zukunft-
träumern der Panslawisten zugezählt zu werden, scheint er der Annahme nicht
fern zu stehen, die Wenden bildeten das eigentliche Salz der Monarchie von
Sachsen und Preußen. Weiß nicht alle Welt, daß der Grundcharakter wendi¬
schen Wesens "conservativ" ist, daß das Königreich Sachsen seine moralisch
und physisch tüchtigsten Rekruten aus wendischen Oltschaflen gewinnt und daß
der gefeierte Held von Diippel, der Pionnier Klinke ein Wende war, der nur
notyoürflig deutsch sprechen konnte! -- Mit diesen beiden Correspondenzen scheint
das Maß dessen, was über die barbarische Slawenbedrückung in der Ober-
und Niederlausitz zu sagen war, übrigens erschöpft zu sein, denn im nächsten
Jahrgang verstummen die Berichterstatter aus der näheren Umgebung der Sand-
felchen Slawenhauptstadt, um Mitarbeitern aus Posen, Prag, Laibach u. s. w.
Platz zu machen und die Mitbrüder im engeren Vaterland" damit zu trösten,
daß, soweit die Sonne scheint, für die gute Sache ihres Stammes gekämpft
werde und daß angesichts der ruhmreichen slawischen Siege in der Ferne, mit
Sicherheit auf einen Tag der Vergeltung in der Nähe gerechnet werden könne.

Soll nach dem Centralblatt geurtheilt werden, so scheinen Zukunft und Ver¬
gangenheit für die Ermuthigung des slawischen Bewußtseins ergiebiger zu sein,
als die Zustände der Gegenwart, denen das Programm des Ceniralblattes doch
nachgerühmt halte: sie zeugten von "der täglich zunehmenden Bedeutung des
Slawenthums".

Nicht weniger als fünfundzwanzig Correspondenzen aus Posen wiederholen
binnen vierzehn Monaten die betrübliche Nachricht von dem Vordringen des deutschen
Elements auf dem Erbe der Söhne Ljechs und was aus den slawischen Provinzen
Oestreichs berichtet wird, steht nach Form und Inhalt der Elegie näher, als dem
Päan. Zwar trug man sich in Posen wie im slawischen Oestreich, beim Aus¬
bruch des preußisch-östreichischen Krieges mit frohen Hoffnungen auf den Fall
des Erbfeindes der slawischen Race, -- aber die Freude dauerte nicht all zu
lange: was hilft es, daß die polnische Nation (Vrgl. Jahrg. 1866 Ur. 24.)
bei dem Ausbruch des deutschen Krieges neutral zu bleiben und eine ein-
heitlich nationale Politik zu befolgen beschlossen hat, daß der Fürst Ladislaus
Czartorisky die Bildung galizischer Freicorps "beinahe" rückhaltslos bevorwortet,
daß posener Landwehrleute ihrem Hauptmann mit dem Bajonnet zu Leibe gehen,


leer" geworden — denn die Inspektoren und Lehrer der wendischen Schulen seien
der Nationalsprache nicht immer gehörig kundig, es gebe Geistliche, welche sie
gar nicht verständen und somit habe „das Unrecht alle Scham" verloren. In
der Ur. 6 desselben Jahrgangs (S. 44) wird dasselbe Thema von einem andern
Korrespondenten, der zugleich für die Kreuzzeitung thätig ist, in maßvollerer
und zahmerer Weise variirt und die Bildung wendischer Theologenvereine, nach
dem Muster des leipziger Vereins für die Universitäten Breslau und Berlin
vorgeschlagen. Obgleich der Correspondent sich dagegen verwahrt, den Zukunft-
träumern der Panslawisten zugezählt zu werden, scheint er der Annahme nicht
fern zu stehen, die Wenden bildeten das eigentliche Salz der Monarchie von
Sachsen und Preußen. Weiß nicht alle Welt, daß der Grundcharakter wendi¬
schen Wesens „conservativ" ist, daß das Königreich Sachsen seine moralisch
und physisch tüchtigsten Rekruten aus wendischen Oltschaflen gewinnt und daß
der gefeierte Held von Diippel, der Pionnier Klinke ein Wende war, der nur
notyoürflig deutsch sprechen konnte! — Mit diesen beiden Correspondenzen scheint
das Maß dessen, was über die barbarische Slawenbedrückung in der Ober-
und Niederlausitz zu sagen war, übrigens erschöpft zu sein, denn im nächsten
Jahrgang verstummen die Berichterstatter aus der näheren Umgebung der Sand-
felchen Slawenhauptstadt, um Mitarbeitern aus Posen, Prag, Laibach u. s. w.
Platz zu machen und die Mitbrüder im engeren Vaterland« damit zu trösten,
daß, soweit die Sonne scheint, für die gute Sache ihres Stammes gekämpft
werde und daß angesichts der ruhmreichen slawischen Siege in der Ferne, mit
Sicherheit auf einen Tag der Vergeltung in der Nähe gerechnet werden könne.

Soll nach dem Centralblatt geurtheilt werden, so scheinen Zukunft und Ver¬
gangenheit für die Ermuthigung des slawischen Bewußtseins ergiebiger zu sein,
als die Zustände der Gegenwart, denen das Programm des Ceniralblattes doch
nachgerühmt halte: sie zeugten von „der täglich zunehmenden Bedeutung des
Slawenthums".

Nicht weniger als fünfundzwanzig Correspondenzen aus Posen wiederholen
binnen vierzehn Monaten die betrübliche Nachricht von dem Vordringen des deutschen
Elements auf dem Erbe der Söhne Ljechs und was aus den slawischen Provinzen
Oestreichs berichtet wird, steht nach Form und Inhalt der Elegie näher, als dem
Päan. Zwar trug man sich in Posen wie im slawischen Oestreich, beim Aus¬
bruch des preußisch-östreichischen Krieges mit frohen Hoffnungen auf den Fall
des Erbfeindes der slawischen Race, — aber die Freude dauerte nicht all zu
lange: was hilft es, daß die polnische Nation (Vrgl. Jahrg. 1866 Ur. 24.)
bei dem Ausbruch des deutschen Krieges neutral zu bleiben und eine ein-
heitlich nationale Politik zu befolgen beschlossen hat, daß der Fürst Ladislaus
Czartorisky die Bildung galizischer Freicorps „beinahe" rückhaltslos bevorwortet,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/439>, abgerufen am 24.08.2024.