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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Es werden nächstens zwei Jahre, daß das weltbewegende Princip der Na¬
tionalität dem harmlosen Dasein, welches die in der sächsischen Lausitz lebenden
45.000 wendischen Ackerbauer und Kleinbürger geführt hatten, ein Ende machte und
sie zu einer höheren Stufe politischer und nationaler Wirksamkeit und Bedeutung er¬
hob. Am 7. October 1865 erschien die erste Nummer des von I. E. Schmaler (sprich
Smoljü,r) herausgegebenen "slawischen Centralblatts". um "in Berücksichtigung
der täglich zunehmenden Wichtigkeit des Slawenthums" dem über die östliche
Hälfte Europas verbreiteten Stamme ein neues centrales Organ zu schaffen, in
Leitartikeln slawische Fragen zu discutiren. über literarische Arbeiten slawischer
Färbung zu berichten und in bibliographischen, kritischen ze. Artikeln und
Korrespondenzen für die Sache des Slawenstamms thätig zu sein. Ihrem
.centralen" Charakter gemäß erklärte die neue Wochenschrift, dem Princip der
Gleichberechtigung in Sprache und Religion bei den Slawen Geltung verschaffen,
jedoch aus Gründen des "allgemeinen Nutzens" die Discussion über die Noth¬
wendigkeit einer gesammtslawischen Sprache von Zeit zu Zeit anregen zu wollen.
Wahrscheinlich um nach keiner slawischen Seite hin Anstoß zu geben und dem
"allgemeinen Nutzen" möglichst umfangreich zu entsprechen, wurde dieses "Cen-
tralblatt" weder in der einen gesammtslawischen Sprache der Zukunft, noch in
einer der slawischen Zungen der Gegenwart, sondern in der bis jetzt auch bei
den übrigen Sachsen üblichen deutschen Sprache herausgegeben, vielleicht als
Reminiscenz daran, daß diese Sprache auf dem prager Congreß von 1848 die
geeignetste gewesen war, um das Zerstreute zu sammeln und die nach Osten
und Westen versprengten Brüder unter ein Panier zu vereinigen, vielleicht in
Vorahnung der merkwürdigen Thatsache, daß dieselbe Sprache auf dem zweiten,
gegenwärtig in Moskau lagerten Congreß der Slawen noch einmal die Rolle
der Vermittlerin zu übernehmen haben würde.

Schon die ersten Nummern des Schmaler-Pechschen Organs bewiesen, daß
die Vorkämpfer des sächsischen Slawenthums ihrer Genossen in Moskau, Prag
und Lemberg würdig seien. Gleich die zweite Nummer der "Wochenschrift
für Literatur, Kunst, Wissenschaft und nationale Interessen des Gesammtslawen"
thums" ertönte von dem obligaten "Schmerzensschrei". welcher für unterdrückt
gewesene und zu neuem Dasein erwachende Völker üblich geworden ist. Ein
Korrespondent aus der Niederlausitz trägt scharfsinnige Beweist dafür zusammen,
daß es ein Irrthum sei. an einen Culturfortschritt unserer Zeit zu glauben.
Zwar seien die Zeiten vorüber, an denen 30 Wendenfürsten von einem
deutschen Markgrafen an einem Tage meuchlings gemordet, in denen der Ge¬
brauch der "Muttersprache" bei Todesstrafe verboten worden, zwar sei auch
das beliebte Sprichwort "Hau zu, es ist ein Wende" neuerdings etwas außer
Gebrauch gekommen, die deutsche Barbarei habe aber nur ihr Gewand ge¬
wechselt, sie sei im Wesentlichen die alte geblieben und blos in der Form "sub"


Es werden nächstens zwei Jahre, daß das weltbewegende Princip der Na¬
tionalität dem harmlosen Dasein, welches die in der sächsischen Lausitz lebenden
45.000 wendischen Ackerbauer und Kleinbürger geführt hatten, ein Ende machte und
sie zu einer höheren Stufe politischer und nationaler Wirksamkeit und Bedeutung er¬
hob. Am 7. October 1865 erschien die erste Nummer des von I. E. Schmaler (sprich
Smoljü,r) herausgegebenen „slawischen Centralblatts". um „in Berücksichtigung
der täglich zunehmenden Wichtigkeit des Slawenthums" dem über die östliche
Hälfte Europas verbreiteten Stamme ein neues centrales Organ zu schaffen, in
Leitartikeln slawische Fragen zu discutiren. über literarische Arbeiten slawischer
Färbung zu berichten und in bibliographischen, kritischen ze. Artikeln und
Korrespondenzen für die Sache des Slawenstamms thätig zu sein. Ihrem
.centralen" Charakter gemäß erklärte die neue Wochenschrift, dem Princip der
Gleichberechtigung in Sprache und Religion bei den Slawen Geltung verschaffen,
jedoch aus Gründen des „allgemeinen Nutzens" die Discussion über die Noth¬
wendigkeit einer gesammtslawischen Sprache von Zeit zu Zeit anregen zu wollen.
Wahrscheinlich um nach keiner slawischen Seite hin Anstoß zu geben und dem
„allgemeinen Nutzen" möglichst umfangreich zu entsprechen, wurde dieses „Cen-
tralblatt" weder in der einen gesammtslawischen Sprache der Zukunft, noch in
einer der slawischen Zungen der Gegenwart, sondern in der bis jetzt auch bei
den übrigen Sachsen üblichen deutschen Sprache herausgegeben, vielleicht als
Reminiscenz daran, daß diese Sprache auf dem prager Congreß von 1848 die
geeignetste gewesen war, um das Zerstreute zu sammeln und die nach Osten
und Westen versprengten Brüder unter ein Panier zu vereinigen, vielleicht in
Vorahnung der merkwürdigen Thatsache, daß dieselbe Sprache auf dem zweiten,
gegenwärtig in Moskau lagerten Congreß der Slawen noch einmal die Rolle
der Vermittlerin zu übernehmen haben würde.

Schon die ersten Nummern des Schmaler-Pechschen Organs bewiesen, daß
die Vorkämpfer des sächsischen Slawenthums ihrer Genossen in Moskau, Prag
und Lemberg würdig seien. Gleich die zweite Nummer der „Wochenschrift
für Literatur, Kunst, Wissenschaft und nationale Interessen des Gesammtslawen»
thums" ertönte von dem obligaten „Schmerzensschrei". welcher für unterdrückt
gewesene und zu neuem Dasein erwachende Völker üblich geworden ist. Ein
Korrespondent aus der Niederlausitz trägt scharfsinnige Beweist dafür zusammen,
daß es ein Irrthum sei. an einen Culturfortschritt unserer Zeit zu glauben.
Zwar seien die Zeiten vorüber, an denen 30 Wendenfürsten von einem
deutschen Markgrafen an einem Tage meuchlings gemordet, in denen der Ge¬
brauch der „Muttersprache" bei Todesstrafe verboten worden, zwar sei auch
das beliebte Sprichwort „Hau zu, es ist ein Wende" neuerdings etwas außer
Gebrauch gekommen, die deutsche Barbarei habe aber nur ihr Gewand ge¬
wechselt, sie sei im Wesentlichen die alte geblieben und blos in der Form »sub«


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[0438] Es werden nächstens zwei Jahre, daß das weltbewegende Princip der Na¬ tionalität dem harmlosen Dasein, welches die in der sächsischen Lausitz lebenden 45.000 wendischen Ackerbauer und Kleinbürger geführt hatten, ein Ende machte und sie zu einer höheren Stufe politischer und nationaler Wirksamkeit und Bedeutung er¬ hob. Am 7. October 1865 erschien die erste Nummer des von I. E. Schmaler (sprich Smoljü,r) herausgegebenen „slawischen Centralblatts". um „in Berücksichtigung der täglich zunehmenden Wichtigkeit des Slawenthums" dem über die östliche Hälfte Europas verbreiteten Stamme ein neues centrales Organ zu schaffen, in Leitartikeln slawische Fragen zu discutiren. über literarische Arbeiten slawischer Färbung zu berichten und in bibliographischen, kritischen ze. Artikeln und Korrespondenzen für die Sache des Slawenstamms thätig zu sein. Ihrem .centralen" Charakter gemäß erklärte die neue Wochenschrift, dem Princip der Gleichberechtigung in Sprache und Religion bei den Slawen Geltung verschaffen, jedoch aus Gründen des „allgemeinen Nutzens" die Discussion über die Noth¬ wendigkeit einer gesammtslawischen Sprache von Zeit zu Zeit anregen zu wollen. Wahrscheinlich um nach keiner slawischen Seite hin Anstoß zu geben und dem „allgemeinen Nutzen" möglichst umfangreich zu entsprechen, wurde dieses „Cen- tralblatt" weder in der einen gesammtslawischen Sprache der Zukunft, noch in einer der slawischen Zungen der Gegenwart, sondern in der bis jetzt auch bei den übrigen Sachsen üblichen deutschen Sprache herausgegeben, vielleicht als Reminiscenz daran, daß diese Sprache auf dem prager Congreß von 1848 die geeignetste gewesen war, um das Zerstreute zu sammeln und die nach Osten und Westen versprengten Brüder unter ein Panier zu vereinigen, vielleicht in Vorahnung der merkwürdigen Thatsache, daß dieselbe Sprache auf dem zweiten, gegenwärtig in Moskau lagerten Congreß der Slawen noch einmal die Rolle der Vermittlerin zu übernehmen haben würde. Schon die ersten Nummern des Schmaler-Pechschen Organs bewiesen, daß die Vorkämpfer des sächsischen Slawenthums ihrer Genossen in Moskau, Prag und Lemberg würdig seien. Gleich die zweite Nummer der „Wochenschrift für Literatur, Kunst, Wissenschaft und nationale Interessen des Gesammtslawen» thums" ertönte von dem obligaten „Schmerzensschrei". welcher für unterdrückt gewesene und zu neuem Dasein erwachende Völker üblich geworden ist. Ein Korrespondent aus der Niederlausitz trägt scharfsinnige Beweist dafür zusammen, daß es ein Irrthum sei. an einen Culturfortschritt unserer Zeit zu glauben. Zwar seien die Zeiten vorüber, an denen 30 Wendenfürsten von einem deutschen Markgrafen an einem Tage meuchlings gemordet, in denen der Ge¬ brauch der „Muttersprache" bei Todesstrafe verboten worden, zwar sei auch das beliebte Sprichwort „Hau zu, es ist ein Wende" neuerdings etwas außer Gebrauch gekommen, die deutsche Barbarei habe aber nur ihr Gewand ge¬ wechselt, sie sei im Wesentlichen die alte geblieben und blos in der Form »sub«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/438>, abgerufen am 24.08.2024.