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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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war dieselbe Säumigkeit in den militärischen Dingen. Die entgegengesetzten
am Hof sich bekämpfenden Einflüsse hatten die Bildung eines homogenen Mi¬
nisteriums verhindert und eine entschieden^ politische Haltung unmöglich ge¬
macht. Man wußte nie, auf welcher Seite der größere und wirksamere po¬
litische Einfluß war. Fürst Hohenlohe, unzweifelhaft von gutem aufrichtigen
Willen beseelt, war nicht im Stand sich die nöthige Autorität zu verschaffen.
Durch sein doctiinäres Januarprogramm hatte er sich selbst die Hände gebunden,
von der entgegenkommenden Haltung der bayrischen Abgeordnetenkammer wußte
er nicht den rechten Nutzen zu ziehen. Es wird eine boshafte, nach keiner Seite
hin schmeichelhafte Aeußerung des Grafen Bismarck erzählt: er sei überzeugt,
daß er mit Herrn v. d. Pfordten schon viel weiter gekommen wäre. Und nun
steht zu fürchten, daß mit der Entfernung des Grafen Tauffkirchm nach Se.
Petersburg dem Fürsten Hohenlohe seine rechte Hand, die Hauptstütze seiner
Politik entzogen werde. Er würde dadurch vollends isolirt, indessen der junge
König planmäßig den Geschäften entrückt und für die Sommermonate in den
Zauber des starenberger Sees und die Bräutigamswonnen der Noseninsel ge¬
bannt ist. Und die Bayrische Zeitung, die bisher mit ihren nationalen Sym¬
pathien muthig den klerikalen Anfeindungen getrotzt hatte, dementirt jetzt das
Gerücht, es werde über den Eintritt der Südstaaten in den norddeutschen Bund
verhandelt, in Ausdrücken, als ob ein solcher Gedanke überhaupt nur in dem
müßigen Gehirn eines ganz ordinären Scribenten habe entspringen können.

Es ist keine Frage, der Eintritt Süddeutschlands in den neuen deutschen
Bund ist wieder weiter in die Ferne gerückt, als man noch vor einigen Wochen
zu hoffen berechtigt war. Während des luxemburger Conflicts ist diese Cven-
iualität ohne Zweifel in Erwägung gezogen worden, je nach dem Gang der
Ereignisse wäre sie unvermeidlich geworden. Die Regierungen waren schon halb
resignirt, mehr noch die Roller. Jetzt ist es Preußen selbst, das die Beschleunig¬
ung jenes Eintritts von sich ablehnt. Die südlichen Höfe scheinen vollkommen
sicher zu sein, daß sie mit unbequemen Zumuthungen für eine Zeit verschont
bleiben, es ist ihnen schwer, ihre Freude darüber zu verbergen. Und freilich hat
Preußen im jetzigen Augenblick seinerseits kein Interesse, daß die Südstaaten,
Wie sie sind, dem neuen Bund sich anschließen; es hat sogar ein Interesse, daß
diese die unpopulären Militärrefvrmen auf eigene Faust, in ihrer Bollsouveränetcit
durchführen, so daß das Odium davon nicht auf Preußen falle, das seinerseits
im Norden Arbeit genug hat für eine Reihe von Jahren. Die deutsche Entwicke¬
lung wird so einen bemerkenswerthen Gegensatz bilden zu dem Gang der Dinge
in Italien. Nicht mit ungeduldiger Eile, aber auch ohne die Gefahren eines
überstürzten Processes, mit langsamen Schritten, aber so, daß das jedesmal Ge¬
wonnene für die Dauer gesichert wird, in Absätzen, in wohlbemessenen Ueber¬
gangsstufen dem Ziele näher zu kommen -- dies scheint der Gedanke der preu-


Grcnzlwten II, 1867. 51

war dieselbe Säumigkeit in den militärischen Dingen. Die entgegengesetzten
am Hof sich bekämpfenden Einflüsse hatten die Bildung eines homogenen Mi¬
nisteriums verhindert und eine entschieden^ politische Haltung unmöglich ge¬
macht. Man wußte nie, auf welcher Seite der größere und wirksamere po¬
litische Einfluß war. Fürst Hohenlohe, unzweifelhaft von gutem aufrichtigen
Willen beseelt, war nicht im Stand sich die nöthige Autorität zu verschaffen.
Durch sein doctiinäres Januarprogramm hatte er sich selbst die Hände gebunden,
von der entgegenkommenden Haltung der bayrischen Abgeordnetenkammer wußte
er nicht den rechten Nutzen zu ziehen. Es wird eine boshafte, nach keiner Seite
hin schmeichelhafte Aeußerung des Grafen Bismarck erzählt: er sei überzeugt,
daß er mit Herrn v. d. Pfordten schon viel weiter gekommen wäre. Und nun
steht zu fürchten, daß mit der Entfernung des Grafen Tauffkirchm nach Se.
Petersburg dem Fürsten Hohenlohe seine rechte Hand, die Hauptstütze seiner
Politik entzogen werde. Er würde dadurch vollends isolirt, indessen der junge
König planmäßig den Geschäften entrückt und für die Sommermonate in den
Zauber des starenberger Sees und die Bräutigamswonnen der Noseninsel ge¬
bannt ist. Und die Bayrische Zeitung, die bisher mit ihren nationalen Sym¬
pathien muthig den klerikalen Anfeindungen getrotzt hatte, dementirt jetzt das
Gerücht, es werde über den Eintritt der Südstaaten in den norddeutschen Bund
verhandelt, in Ausdrücken, als ob ein solcher Gedanke überhaupt nur in dem
müßigen Gehirn eines ganz ordinären Scribenten habe entspringen können.

Es ist keine Frage, der Eintritt Süddeutschlands in den neuen deutschen
Bund ist wieder weiter in die Ferne gerückt, als man noch vor einigen Wochen
zu hoffen berechtigt war. Während des luxemburger Conflicts ist diese Cven-
iualität ohne Zweifel in Erwägung gezogen worden, je nach dem Gang der
Ereignisse wäre sie unvermeidlich geworden. Die Regierungen waren schon halb
resignirt, mehr noch die Roller. Jetzt ist es Preußen selbst, das die Beschleunig¬
ung jenes Eintritts von sich ablehnt. Die südlichen Höfe scheinen vollkommen
sicher zu sein, daß sie mit unbequemen Zumuthungen für eine Zeit verschont
bleiben, es ist ihnen schwer, ihre Freude darüber zu verbergen. Und freilich hat
Preußen im jetzigen Augenblick seinerseits kein Interesse, daß die Südstaaten,
Wie sie sind, dem neuen Bund sich anschließen; es hat sogar ein Interesse, daß
diese die unpopulären Militärrefvrmen auf eigene Faust, in ihrer Bollsouveränetcit
durchführen, so daß das Odium davon nicht auf Preußen falle, das seinerseits
im Norden Arbeit genug hat für eine Reihe von Jahren. Die deutsche Entwicke¬
lung wird so einen bemerkenswerthen Gegensatz bilden zu dem Gang der Dinge
in Italien. Nicht mit ungeduldiger Eile, aber auch ohne die Gefahren eines
überstürzten Processes, mit langsamen Schritten, aber so, daß das jedesmal Ge¬
wonnene für die Dauer gesichert wird, in Absätzen, in wohlbemessenen Ueber¬
gangsstufen dem Ziele näher zu kommen — dies scheint der Gedanke der preu-


Grcnzlwten II, 1867. 51
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/405>, abgerufen am 22.07.2024.