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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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ßischen Politik, wie sie durch den friedlichen Austrag des luxemburger Handels
ihre Sanction erhalten hat.

Doch erst die Zukunft wird entscheiden, ob diese Politik die richtige ge¬
wesen ist, über die uns im Süden am wenigsten ein abfälliges Urtheil zusteht,,
die wir aber -- und das kann nicht verschwiegen werden, -- fast mehr als
Rückzug empfinden, als die Räumung jener Festung. Eine kriegerische Lösung
ist freilich nicht gewünscht worden und wir jedenfalls hatten nicht das Recht auf
eine solche zu dringen. Aber wenn nun doch ein Gefühl der Befriedigung nicht
auszukommen vermag, so ist es, weil Preußen nicht blos in Luxemburg nach¬
gegeben, sondern auch in Süddeutschland auf eine schon halb gewonnene Position
wieder verzichtet hat. Der Rückschlag für die nationale Sache im Süden ist
nicht zu verkennen, und nur der Gedanke gewährt Ersatz, daß die Befestigung
des norddeutschen Bundes künftig auch uns wieder zu Gute kommen muß.
Zunächst aber bleiben wir uns selbst überlassen. Preußen wird auch den Schein
vermeiden, daß es aufs Neue die Ruhe seiner Nachbarn bedrohend über die Be¬
stimmungen des prager Friedens hinausgreife, es wird seinen gefürchteten Ehr¬
geiz dareinsetzen, das norddeutsche Reich innerlich zu kräftigen, zu verschmelzen
und auszubauen. Es wird inzwischen warten, bis der Süden seinerseits das
Bedürfniß des Anschlusses empfindet und selbst sich für den Anschluß reif ge¬
macht hat. Bon der Initiative des Südens wird der Antrag auf die Ver¬
einigung ausgehen müssen, und schwerlich wird Preußen sobald in die Lage
versetzt sein über diesen Antrag sich zu entscheiden, dazu sind die süddeutschen
Fürsten jetzt wieder viel zu froh ihrer Souveränetät, und zu diesem Entschluß
sind auch die Bevölkerungen Süddeutschlands noch nicht reif. Es ist nicht
daran zu denken, daß von unten ein starker Druck auf die Regierungen
im Sinne des Anschlusses ausgeübt werden wird. Weniger Feindseligkeit
-- diese beschränkt sich nur noch auf kleine Kreise -- aber Trägheit und die
letzten Reste eigensinniger Ueberhebung beherrschen noch immer die große
Masse. Unläugbar ist das politische Urtheil in einem Umwandlungspro¬
cesse begriffen, und es ist zuweilen rührend, in der Nähe zu sehen, wie irr
den einzelnen Individuen dieser Kampf sich wiederholt, wie er in jedem wieder
mit aller Zähigkeit schwäbischer Natur durchgekämpft wird durch einen Wust
von ehrlichen und von sophistischen Bedenken. Aber es ist ein langsamer Pro¬
ceß; der Ausgang des luxemburger Handels hat ihn nicht beschleunigt und
ebensowenig wird die nun eintretende Pause in den äußeren Ereignissen zu
seiner Beschleunigung beitragen. Erst wenn die Frage der materiellen Interessen
wieder brennend wird, dürste auf eine lebhafte Theilnahme der Bevölkerung zu,
rechnen sein.

Zum Glück sind es eben die materiellen Interessen, welche unvermeidlich in
der nächsten Zeit zu einem Fortschritt innerhalb des Provisoriums treiben. Es


ßischen Politik, wie sie durch den friedlichen Austrag des luxemburger Handels
ihre Sanction erhalten hat.

Doch erst die Zukunft wird entscheiden, ob diese Politik die richtige ge¬
wesen ist, über die uns im Süden am wenigsten ein abfälliges Urtheil zusteht,,
die wir aber — und das kann nicht verschwiegen werden, — fast mehr als
Rückzug empfinden, als die Räumung jener Festung. Eine kriegerische Lösung
ist freilich nicht gewünscht worden und wir jedenfalls hatten nicht das Recht auf
eine solche zu dringen. Aber wenn nun doch ein Gefühl der Befriedigung nicht
auszukommen vermag, so ist es, weil Preußen nicht blos in Luxemburg nach¬
gegeben, sondern auch in Süddeutschland auf eine schon halb gewonnene Position
wieder verzichtet hat. Der Rückschlag für die nationale Sache im Süden ist
nicht zu verkennen, und nur der Gedanke gewährt Ersatz, daß die Befestigung
des norddeutschen Bundes künftig auch uns wieder zu Gute kommen muß.
Zunächst aber bleiben wir uns selbst überlassen. Preußen wird auch den Schein
vermeiden, daß es aufs Neue die Ruhe seiner Nachbarn bedrohend über die Be¬
stimmungen des prager Friedens hinausgreife, es wird seinen gefürchteten Ehr¬
geiz dareinsetzen, das norddeutsche Reich innerlich zu kräftigen, zu verschmelzen
und auszubauen. Es wird inzwischen warten, bis der Süden seinerseits das
Bedürfniß des Anschlusses empfindet und selbst sich für den Anschluß reif ge¬
macht hat. Bon der Initiative des Südens wird der Antrag auf die Ver¬
einigung ausgehen müssen, und schwerlich wird Preußen sobald in die Lage
versetzt sein über diesen Antrag sich zu entscheiden, dazu sind die süddeutschen
Fürsten jetzt wieder viel zu froh ihrer Souveränetät, und zu diesem Entschluß
sind auch die Bevölkerungen Süddeutschlands noch nicht reif. Es ist nicht
daran zu denken, daß von unten ein starker Druck auf die Regierungen
im Sinne des Anschlusses ausgeübt werden wird. Weniger Feindseligkeit
— diese beschränkt sich nur noch auf kleine Kreise — aber Trägheit und die
letzten Reste eigensinniger Ueberhebung beherrschen noch immer die große
Masse. Unläugbar ist das politische Urtheil in einem Umwandlungspro¬
cesse begriffen, und es ist zuweilen rührend, in der Nähe zu sehen, wie irr
den einzelnen Individuen dieser Kampf sich wiederholt, wie er in jedem wieder
mit aller Zähigkeit schwäbischer Natur durchgekämpft wird durch einen Wust
von ehrlichen und von sophistischen Bedenken. Aber es ist ein langsamer Pro¬
ceß; der Ausgang des luxemburger Handels hat ihn nicht beschleunigt und
ebensowenig wird die nun eintretende Pause in den äußeren Ereignissen zu
seiner Beschleunigung beitragen. Erst wenn die Frage der materiellen Interessen
wieder brennend wird, dürste auf eine lebhafte Theilnahme der Bevölkerung zu,
rechnen sein.

Zum Glück sind es eben die materiellen Interessen, welche unvermeidlich in
der nächsten Zeit zu einem Fortschritt innerhalb des Provisoriums treiben. Es


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[0406] ßischen Politik, wie sie durch den friedlichen Austrag des luxemburger Handels ihre Sanction erhalten hat. Doch erst die Zukunft wird entscheiden, ob diese Politik die richtige ge¬ wesen ist, über die uns im Süden am wenigsten ein abfälliges Urtheil zusteht,, die wir aber — und das kann nicht verschwiegen werden, — fast mehr als Rückzug empfinden, als die Räumung jener Festung. Eine kriegerische Lösung ist freilich nicht gewünscht worden und wir jedenfalls hatten nicht das Recht auf eine solche zu dringen. Aber wenn nun doch ein Gefühl der Befriedigung nicht auszukommen vermag, so ist es, weil Preußen nicht blos in Luxemburg nach¬ gegeben, sondern auch in Süddeutschland auf eine schon halb gewonnene Position wieder verzichtet hat. Der Rückschlag für die nationale Sache im Süden ist nicht zu verkennen, und nur der Gedanke gewährt Ersatz, daß die Befestigung des norddeutschen Bundes künftig auch uns wieder zu Gute kommen muß. Zunächst aber bleiben wir uns selbst überlassen. Preußen wird auch den Schein vermeiden, daß es aufs Neue die Ruhe seiner Nachbarn bedrohend über die Be¬ stimmungen des prager Friedens hinausgreife, es wird seinen gefürchteten Ehr¬ geiz dareinsetzen, das norddeutsche Reich innerlich zu kräftigen, zu verschmelzen und auszubauen. Es wird inzwischen warten, bis der Süden seinerseits das Bedürfniß des Anschlusses empfindet und selbst sich für den Anschluß reif ge¬ macht hat. Bon der Initiative des Südens wird der Antrag auf die Ver¬ einigung ausgehen müssen, und schwerlich wird Preußen sobald in die Lage versetzt sein über diesen Antrag sich zu entscheiden, dazu sind die süddeutschen Fürsten jetzt wieder viel zu froh ihrer Souveränetät, und zu diesem Entschluß sind auch die Bevölkerungen Süddeutschlands noch nicht reif. Es ist nicht daran zu denken, daß von unten ein starker Druck auf die Regierungen im Sinne des Anschlusses ausgeübt werden wird. Weniger Feindseligkeit — diese beschränkt sich nur noch auf kleine Kreise — aber Trägheit und die letzten Reste eigensinniger Ueberhebung beherrschen noch immer die große Masse. Unläugbar ist das politische Urtheil in einem Umwandlungspro¬ cesse begriffen, und es ist zuweilen rührend, in der Nähe zu sehen, wie irr den einzelnen Individuen dieser Kampf sich wiederholt, wie er in jedem wieder mit aller Zähigkeit schwäbischer Natur durchgekämpft wird durch einen Wust von ehrlichen und von sophistischen Bedenken. Aber es ist ein langsamer Pro¬ ceß; der Ausgang des luxemburger Handels hat ihn nicht beschleunigt und ebensowenig wird die nun eintretende Pause in den äußeren Ereignissen zu seiner Beschleunigung beitragen. Erst wenn die Frage der materiellen Interessen wieder brennend wird, dürste auf eine lebhafte Theilnahme der Bevölkerung zu, rechnen sein. Zum Glück sind es eben die materiellen Interessen, welche unvermeidlich in der nächsten Zeit zu einem Fortschritt innerhalb des Provisoriums treiben. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/406>, abgerufen am 03.07.2024.