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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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sie damals glaubten, der Preuß' sei ihnen doch zu mächtig, es könne alles
doch nichts helfen, wir seien einmal preußisch und würden es bleiben in alle
Ewigkeit, deshalb müßte man laufen lassen, was man nicht halten könne, und
gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn, sagte Deine Großmutter selig,
unsern lieben Herrgott zündet man eine Kerze an, aber dem Teufel zwei.
So war's damals. Aber wie ist es jetzt, seitdem der Franzos mit dem Säbel
rasselt? Ist Dir das ein Nennen und Laufen nach Numpenheim; und die
rennen am meisten, die früher thaten, als wenn sie gar nicht wüßten, wo alle¬
weil der gnädigste Landesvater residirt, wo Rumpenhcim liegt, und daß man
in 2 -- 3 Stunden dort sein kann. Alle mit einander kommen sie und wollen
entbunden sein, von ihrem Eid nämlich; und unser gnädigster Herzog entbindet
sie alle, Einen nach dem Andern, und giebt Decrete und erläßt Resolutionen,
wie vordem auch. Nun, was denkst Du wohl, warum das nicht schon im
October 1866, sondern erst im April und Mai 1867 geschehen ist? El nun.
sie riechen jetzt den Braten und denken, über Nacht kann's anders werden, und
mit dem Einen sich halten und 's mit dem Andern nicht verderben, und das
Eine thun und das Andere nicht lassen, schreibt der Apostel. Warum kommen
die Gewissensbedenken erst nach neun Monaten? El, weil sie wissen, daß,
wenn der Herzog wiederkommt, jeder Angestellte, der nicht von ihm entbunden
worden ist. abgesetzt wird. Denke Dir nur, der Obersanitätsrath entbindet im
Namen des Herzogs alle Doctors im Lande auf einmal und schreibt's oben¬
drein auch noch mit seiner Namensunterschnft in alle Zeitungen. Ja, ja, ich
sag's immer, und die Gräfin Bella hat Recht, der Franzos hat alleweil dem
Preußen den Giftzahn ausgebrochen; er wagt nicht mehr zu beißen. Und
gestern hat mir die Dippenschmidtin erzählt, -- ihr Bub schreibt bei Seiner
Hoheit des Herzogs geheimem Cabinetsdirector -- der Cabinetsdirector ist
schon lange wieder da, und jeden Tag läuft über ein Dutzend Suppliken an
den Herzog bei ihm ein und er schickt sie den Bürgermeistern zum Bericht, und
die Bürgermeister berichten an den Herrn Cabinetsdirector. und der berichtet
an den Herzog, und Seine Hoheit geruhen ihre Resolutionen herunterfließen
zu lassen und gewähren wieder Almosen und Unterstützungen und Gunst und
Gnaden, grade wie früher; und die Rentmeister zahlen das Geld aus an die
Supplicanten. Kurz, es geht alles wieder auf dem alten Fuß, und da der
Preuß' weiß, daß er sich hier doch auf die Dauer nicht halten kann, so hat er
nicht den Muth, dies zu stören; und ich bin fest überzeugt, unsere Zeit wird
wieder kommen."

"Ja, Mama," entgegnete die Tochter, "wenn ich nur Deinen guten Muth
hätte, ich sehe so schwarz und heute morgen erzählte mir noch jemand, der Rent-
meister von Usingen habe, als ihm Geld geschickt wurde, um es Namens des
Herzogs einem solchen Supplicanten auszuzahlen, dasselbe dem Geheimen Ca-


sie damals glaubten, der Preuß' sei ihnen doch zu mächtig, es könne alles
doch nichts helfen, wir seien einmal preußisch und würden es bleiben in alle
Ewigkeit, deshalb müßte man laufen lassen, was man nicht halten könne, und
gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn, sagte Deine Großmutter selig,
unsern lieben Herrgott zündet man eine Kerze an, aber dem Teufel zwei.
So war's damals. Aber wie ist es jetzt, seitdem der Franzos mit dem Säbel
rasselt? Ist Dir das ein Nennen und Laufen nach Numpenheim; und die
rennen am meisten, die früher thaten, als wenn sie gar nicht wüßten, wo alle¬
weil der gnädigste Landesvater residirt, wo Rumpenhcim liegt, und daß man
in 2 — 3 Stunden dort sein kann. Alle mit einander kommen sie und wollen
entbunden sein, von ihrem Eid nämlich; und unser gnädigster Herzog entbindet
sie alle, Einen nach dem Andern, und giebt Decrete und erläßt Resolutionen,
wie vordem auch. Nun, was denkst Du wohl, warum das nicht schon im
October 1866, sondern erst im April und Mai 1867 geschehen ist? El nun.
sie riechen jetzt den Braten und denken, über Nacht kann's anders werden, und
mit dem Einen sich halten und 's mit dem Andern nicht verderben, und das
Eine thun und das Andere nicht lassen, schreibt der Apostel. Warum kommen
die Gewissensbedenken erst nach neun Monaten? El, weil sie wissen, daß,
wenn der Herzog wiederkommt, jeder Angestellte, der nicht von ihm entbunden
worden ist. abgesetzt wird. Denke Dir nur, der Obersanitätsrath entbindet im
Namen des Herzogs alle Doctors im Lande auf einmal und schreibt's oben¬
drein auch noch mit seiner Namensunterschnft in alle Zeitungen. Ja, ja, ich
sag's immer, und die Gräfin Bella hat Recht, der Franzos hat alleweil dem
Preußen den Giftzahn ausgebrochen; er wagt nicht mehr zu beißen. Und
gestern hat mir die Dippenschmidtin erzählt, — ihr Bub schreibt bei Seiner
Hoheit des Herzogs geheimem Cabinetsdirector — der Cabinetsdirector ist
schon lange wieder da, und jeden Tag läuft über ein Dutzend Suppliken an
den Herzog bei ihm ein und er schickt sie den Bürgermeistern zum Bericht, und
die Bürgermeister berichten an den Herrn Cabinetsdirector. und der berichtet
an den Herzog, und Seine Hoheit geruhen ihre Resolutionen herunterfließen
zu lassen und gewähren wieder Almosen und Unterstützungen und Gunst und
Gnaden, grade wie früher; und die Rentmeister zahlen das Geld aus an die
Supplicanten. Kurz, es geht alles wieder auf dem alten Fuß, und da der
Preuß' weiß, daß er sich hier doch auf die Dauer nicht halten kann, so hat er
nicht den Muth, dies zu stören; und ich bin fest überzeugt, unsere Zeit wird
wieder kommen."

„Ja, Mama," entgegnete die Tochter, „wenn ich nur Deinen guten Muth
hätte, ich sehe so schwarz und heute morgen erzählte mir noch jemand, der Rent-
meister von Usingen habe, als ihm Geld geschickt wurde, um es Namens des
Herzogs einem solchen Supplicanten auszuzahlen, dasselbe dem Geheimen Ca-


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[0396] sie damals glaubten, der Preuß' sei ihnen doch zu mächtig, es könne alles doch nichts helfen, wir seien einmal preußisch und würden es bleiben in alle Ewigkeit, deshalb müßte man laufen lassen, was man nicht halten könne, und gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn, sagte Deine Großmutter selig, unsern lieben Herrgott zündet man eine Kerze an, aber dem Teufel zwei. So war's damals. Aber wie ist es jetzt, seitdem der Franzos mit dem Säbel rasselt? Ist Dir das ein Nennen und Laufen nach Numpenheim; und die rennen am meisten, die früher thaten, als wenn sie gar nicht wüßten, wo alle¬ weil der gnädigste Landesvater residirt, wo Rumpenhcim liegt, und daß man in 2 — 3 Stunden dort sein kann. Alle mit einander kommen sie und wollen entbunden sein, von ihrem Eid nämlich; und unser gnädigster Herzog entbindet sie alle, Einen nach dem Andern, und giebt Decrete und erläßt Resolutionen, wie vordem auch. Nun, was denkst Du wohl, warum das nicht schon im October 1866, sondern erst im April und Mai 1867 geschehen ist? El nun. sie riechen jetzt den Braten und denken, über Nacht kann's anders werden, und mit dem Einen sich halten und 's mit dem Andern nicht verderben, und das Eine thun und das Andere nicht lassen, schreibt der Apostel. Warum kommen die Gewissensbedenken erst nach neun Monaten? El, weil sie wissen, daß, wenn der Herzog wiederkommt, jeder Angestellte, der nicht von ihm entbunden worden ist. abgesetzt wird. Denke Dir nur, der Obersanitätsrath entbindet im Namen des Herzogs alle Doctors im Lande auf einmal und schreibt's oben¬ drein auch noch mit seiner Namensunterschnft in alle Zeitungen. Ja, ja, ich sag's immer, und die Gräfin Bella hat Recht, der Franzos hat alleweil dem Preußen den Giftzahn ausgebrochen; er wagt nicht mehr zu beißen. Und gestern hat mir die Dippenschmidtin erzählt, — ihr Bub schreibt bei Seiner Hoheit des Herzogs geheimem Cabinetsdirector — der Cabinetsdirector ist schon lange wieder da, und jeden Tag läuft über ein Dutzend Suppliken an den Herzog bei ihm ein und er schickt sie den Bürgermeistern zum Bericht, und die Bürgermeister berichten an den Herrn Cabinetsdirector. und der berichtet an den Herzog, und Seine Hoheit geruhen ihre Resolutionen herunterfließen zu lassen und gewähren wieder Almosen und Unterstützungen und Gunst und Gnaden, grade wie früher; und die Rentmeister zahlen das Geld aus an die Supplicanten. Kurz, es geht alles wieder auf dem alten Fuß, und da der Preuß' weiß, daß er sich hier doch auf die Dauer nicht halten kann, so hat er nicht den Muth, dies zu stören; und ich bin fest überzeugt, unsere Zeit wird wieder kommen." „Ja, Mama," entgegnete die Tochter, „wenn ich nur Deinen guten Muth hätte, ich sehe so schwarz und heute morgen erzählte mir noch jemand, der Rent- meister von Usingen habe, als ihm Geld geschickt wurde, um es Namens des Herzogs einem solchen Supplicanten auszuzahlen, dasselbe dem Geheimen Ca-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/396>, abgerufen am 22.07.2024.