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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Jahre auf der Stirne geschrieben und aus dem Meere provisorischer Neichs-
gesetzblätter ragen nur zwei Felsklippen empor: das Concordat und das Hceres-
ergänzungsgesetz. Doch auch diese Grundpfeiler vermochten dem Donnersturm
von Solserino kein Halt zu gebieten. Da habe man nun in der Mitwirkung
der Völker bei gemeinsamen Angelegenheiten eine neue Grundlage für die
Monarchie gefunden. Daraus ergebe sich, daß das Octoberdiplom und Februar¬
patent nur ein Ausfluß des allerhöchsten Willens seien und die ungarische Ver-
fassung vom Jahre 1848 innerhalb des Rahmens des ersteren wieder hergestellt
wurde; ein Widerspruch zwischen beiden beruhe sonach auf einem Trugschluß.
Keine bessere Coxsequenz liege in der einseitigen Sistirung der Reichsvertretung,
da auf das nicht sistirte Diplom dieselben Gründe paßten. Man habe sich
eben zur vollen Sistirung nur nicht bekennen wollen. Ueber den Folgen schwebe
zwar das Amtsgeheimniß, es werde sich aber wohl zum provisorischen Absolu¬
tismus der fünfziger Jahre entpuppen, denn vom Reichsrath scheine die Regie-
rung schon jetzt nichts mehr wissen zu wollen, ihr gelten nur mehr die Land¬
tage als die "legalen Vertreter" diesseits der Leitha, und wenn diese zum gleich-
gewichtigen Ausspruch über das Ausgleichsprojcct mit Ungarn berufen werden
sollten, müsse eine neue Octroyirung erfolgen. Aus diesem Wirrsal gebe es
nur eine Rettung, den Rechtsboden, die Verfassung. Nicht dynastische Inter¬
essen, nur jene der Völker könnten heutzutage staatsbildend auftreten, nur die
Neichsvertreiung zur Einheit führen. Man möge ja nicht den Schmeichelworten
trauen, welche den Schwerpunkt des constitutionellen Lebens in die Landtage
verlegen, diesen käme keine Geldbewilligung zu, man wolle nur die Artischocke
blätterweise speisen. Wenn die Ungarn ihrem Eintritt in die Reichsvertretung
ihr angebliches Recht auf Steuerbewilligung und Recrutenstellung entgegensetzten,
so debile man es auch auf jene aus, getrennt müßten beide fallen. Um end¬
lich auch der nationalen Freiheit gerecht zu werden bedürfe es nur der Poli¬
tischen Centralisation mit administrativer Decentralisation. Die "freie Bahn"
dahin zu gelangen, gewähre aber wieder blos die Neichsvertreiung. Nur keine
Octroyirung mehr, außer dem Rechtsboden der Verfassung walte nur Verwirrung,
Chaos, Revolution. Dies sei der Sinn der Adresse, die der Ausdruck eines
verfassungstreuen Landes.

Vierzehn Monate später kam dieselbe Verfassungsfrage auch im tiroler
Landtag zur Sprache und wurde von einem jesuitischen Rabulisten in der Art
behandelt, wie solche Leute die Enischeidungsgründe zu einem Urtheil finden.
Ein deutscher Buckle wird das Ergebniß der Abstimmungen in beiden Landtag-
sälcn nicht übersehen und davon Act nehmen, daß in Innsbruck zu jenem Tar¬
tüffe unter 52 Abgeordneten noch volle 30 standen, während in Bregenz die
Lojoliten nur zwei gegen achtzehn zählten.

Die Freunde des Concordats sollten sich aber auch bei einer andern Ge-


Jahre auf der Stirne geschrieben und aus dem Meere provisorischer Neichs-
gesetzblätter ragen nur zwei Felsklippen empor: das Concordat und das Hceres-
ergänzungsgesetz. Doch auch diese Grundpfeiler vermochten dem Donnersturm
von Solserino kein Halt zu gebieten. Da habe man nun in der Mitwirkung
der Völker bei gemeinsamen Angelegenheiten eine neue Grundlage für die
Monarchie gefunden. Daraus ergebe sich, daß das Octoberdiplom und Februar¬
patent nur ein Ausfluß des allerhöchsten Willens seien und die ungarische Ver-
fassung vom Jahre 1848 innerhalb des Rahmens des ersteren wieder hergestellt
wurde; ein Widerspruch zwischen beiden beruhe sonach auf einem Trugschluß.
Keine bessere Coxsequenz liege in der einseitigen Sistirung der Reichsvertretung,
da auf das nicht sistirte Diplom dieselben Gründe paßten. Man habe sich
eben zur vollen Sistirung nur nicht bekennen wollen. Ueber den Folgen schwebe
zwar das Amtsgeheimniß, es werde sich aber wohl zum provisorischen Absolu¬
tismus der fünfziger Jahre entpuppen, denn vom Reichsrath scheine die Regie-
rung schon jetzt nichts mehr wissen zu wollen, ihr gelten nur mehr die Land¬
tage als die „legalen Vertreter" diesseits der Leitha, und wenn diese zum gleich-
gewichtigen Ausspruch über das Ausgleichsprojcct mit Ungarn berufen werden
sollten, müsse eine neue Octroyirung erfolgen. Aus diesem Wirrsal gebe es
nur eine Rettung, den Rechtsboden, die Verfassung. Nicht dynastische Inter¬
essen, nur jene der Völker könnten heutzutage staatsbildend auftreten, nur die
Neichsvertreiung zur Einheit führen. Man möge ja nicht den Schmeichelworten
trauen, welche den Schwerpunkt des constitutionellen Lebens in die Landtage
verlegen, diesen käme keine Geldbewilligung zu, man wolle nur die Artischocke
blätterweise speisen. Wenn die Ungarn ihrem Eintritt in die Reichsvertretung
ihr angebliches Recht auf Steuerbewilligung und Recrutenstellung entgegensetzten,
so debile man es auch auf jene aus, getrennt müßten beide fallen. Um end¬
lich auch der nationalen Freiheit gerecht zu werden bedürfe es nur der Poli¬
tischen Centralisation mit administrativer Decentralisation. Die „freie Bahn"
dahin zu gelangen, gewähre aber wieder blos die Neichsvertreiung. Nur keine
Octroyirung mehr, außer dem Rechtsboden der Verfassung walte nur Verwirrung,
Chaos, Revolution. Dies sei der Sinn der Adresse, die der Ausdruck eines
verfassungstreuen Landes.

Vierzehn Monate später kam dieselbe Verfassungsfrage auch im tiroler
Landtag zur Sprache und wurde von einem jesuitischen Rabulisten in der Art
behandelt, wie solche Leute die Enischeidungsgründe zu einem Urtheil finden.
Ein deutscher Buckle wird das Ergebniß der Abstimmungen in beiden Landtag-
sälcn nicht übersehen und davon Act nehmen, daß in Innsbruck zu jenem Tar¬
tüffe unter 52 Abgeordneten noch volle 30 standen, während in Bregenz die
Lojoliten nur zwei gegen achtzehn zählten.

Die Freunde des Concordats sollten sich aber auch bei einer andern Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/382>, abgerufen am 22.07.2024.