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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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cisleithanischen Königreiche und Länder. Um sie völlig mundtodt zu machen,
hätte er freilich auch jene Anordnung der Provinzialstatute sistiren müssen, die
ihnen gestattete, "über kundgemachte allgemeine Gesetze bezüglich ihrer Rück¬
wirkung aus das Wohl des Landes Anträge zu stellen". Davon nahmen nun
fast alle Landesvertretungen Anlaß, ihren Beifall oder Schmerz über diese Rück¬
kehr zum Alten auszusprechen. Nur in Tirol hielt man es für angemessen, das
Werk des Friedens in so ernster Stunde nicht zu beeinträchtigen und erntete
dafür vom Regierungsvertreter das Lob politischer Reife. Anders die Vorarl-
berger, die schon durch das Sinken des Werthes der Staatspapiere und Bank¬
noten ihren Gewerbsfleiß und Handel schwer getroffen fühlten. Die bei der
Eröffnung des Landtags am 23. November 1865 über das Septemberpatent
verlesene kaiserliche Botschaft veranlaßte eine Jnterpellation an den landes-
fürstlicken Commissär über den Zweck seiner Mittheilung, und als dieser die
Sistirung der Neichsvertretung für einen "vollzogenen Staatsact" erklärte, ver¬
langten die Abgeordneten Wohlwend, Ganahl und Seyffertitz noch in derselben
Sitzung die Ernennung eines Ausschusses zur Berichterstattung und Antrag¬
stellung betreffs der Rückwirkungen auf das Wohl ihres Landes.

Am 16. December stand die Verhandlung über eine Adresse an den Kaiser
auf der Tagesordnung. Sie verwies auf das bei Erlassung der Februarver¬
fassung gegebene Versprechen, das vierjährige Wirken des Neichsraths, die ge¬
fährliche Lockerung der Bande des Rechtes und Vertrauens, die schweren Folgen
für die Industrie und Wohlfahrt des Landes, die Macht, Einheit und den
Bestand des Reiches. Mit richtigem Vorgefühle erläuterte hierzu der Bericht,
daß nur eine Reihe von Octroyirungen und ein neuer Absolutismus in Aus¬
sicht ständen. Schließlich wurde der Kaiser um Aufhebung der Sistirung und
Einrufung des Reichsraths gebeten.

Noch vor Beginn der Debatte vertheidigte der landesfürstliche Commissär
v. Barth den Standpunkt des Staatsministers. Der nöthige Ausgleich mit
Ungarn habe die Maßregel herbeigeführt, und wäre erst dort und in Kroatien
die Februarverfafsung angenommen, gelangte auch die Reichsvertretung wieder
zu ihrer alten Geltung. Leider lieh grade der Widerstand dieser beiden Länder
den Vorwand zur Sistirung. Der Wurm saß anderswo, und es war ganz an
der Zeit, ihn mit scharfem Messer bloß zu legen.

Zuerst kam Karl Ganahl auf die finanzielle Frage zu sprechen. Die offi-
ciellen Scribler hätten mit den günstigen Bedingungen eines vom neuen Finanz¬
minister abgeschlossenen Urlebens renommirt. Nun, er habe 61 für 100 er¬
halten, während noch vor zwei Jahren Geld für 94'/- Procent zu haben
war. Das sei der Wärmemesser des Vertrauens. Seit dem 20. September
hätten die östreichischen Staatspapiere einen Minderwerth von 200 Millionen.
Am 1, Mai 1861 sei feierlich vom Throne 'herab das Versprechen erklungen,


cisleithanischen Königreiche und Länder. Um sie völlig mundtodt zu machen,
hätte er freilich auch jene Anordnung der Provinzialstatute sistiren müssen, die
ihnen gestattete, „über kundgemachte allgemeine Gesetze bezüglich ihrer Rück¬
wirkung aus das Wohl des Landes Anträge zu stellen". Davon nahmen nun
fast alle Landesvertretungen Anlaß, ihren Beifall oder Schmerz über diese Rück¬
kehr zum Alten auszusprechen. Nur in Tirol hielt man es für angemessen, das
Werk des Friedens in so ernster Stunde nicht zu beeinträchtigen und erntete
dafür vom Regierungsvertreter das Lob politischer Reife. Anders die Vorarl-
berger, die schon durch das Sinken des Werthes der Staatspapiere und Bank¬
noten ihren Gewerbsfleiß und Handel schwer getroffen fühlten. Die bei der
Eröffnung des Landtags am 23. November 1865 über das Septemberpatent
verlesene kaiserliche Botschaft veranlaßte eine Jnterpellation an den landes-
fürstlicken Commissär über den Zweck seiner Mittheilung, und als dieser die
Sistirung der Neichsvertretung für einen „vollzogenen Staatsact" erklärte, ver¬
langten die Abgeordneten Wohlwend, Ganahl und Seyffertitz noch in derselben
Sitzung die Ernennung eines Ausschusses zur Berichterstattung und Antrag¬
stellung betreffs der Rückwirkungen auf das Wohl ihres Landes.

Am 16. December stand die Verhandlung über eine Adresse an den Kaiser
auf der Tagesordnung. Sie verwies auf das bei Erlassung der Februarver¬
fassung gegebene Versprechen, das vierjährige Wirken des Neichsraths, die ge¬
fährliche Lockerung der Bande des Rechtes und Vertrauens, die schweren Folgen
für die Industrie und Wohlfahrt des Landes, die Macht, Einheit und den
Bestand des Reiches. Mit richtigem Vorgefühle erläuterte hierzu der Bericht,
daß nur eine Reihe von Octroyirungen und ein neuer Absolutismus in Aus¬
sicht ständen. Schließlich wurde der Kaiser um Aufhebung der Sistirung und
Einrufung des Reichsraths gebeten.

Noch vor Beginn der Debatte vertheidigte der landesfürstliche Commissär
v. Barth den Standpunkt des Staatsministers. Der nöthige Ausgleich mit
Ungarn habe die Maßregel herbeigeführt, und wäre erst dort und in Kroatien
die Februarverfafsung angenommen, gelangte auch die Reichsvertretung wieder
zu ihrer alten Geltung. Leider lieh grade der Widerstand dieser beiden Länder
den Vorwand zur Sistirung. Der Wurm saß anderswo, und es war ganz an
der Zeit, ihn mit scharfem Messer bloß zu legen.

Zuerst kam Karl Ganahl auf die finanzielle Frage zu sprechen. Die offi-
ciellen Scribler hätten mit den günstigen Bedingungen eines vom neuen Finanz¬
minister abgeschlossenen Urlebens renommirt. Nun, er habe 61 für 100 er¬
halten, während noch vor zwei Jahren Geld für 94'/- Procent zu haben
war. Das sei der Wärmemesser des Vertrauens. Seit dem 20. September
hätten die östreichischen Staatspapiere einen Minderwerth von 200 Millionen.
Am 1, Mai 1861 sei feierlich vom Throne 'herab das Versprechen erklungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/380>, abgerufen am 01.07.2024.